Gerichtshof-Niederlage für Ursula von der Leyen

EuGH urteilt zum Streit über Veröffentlichung von SMS mit Pfizer-Chef

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, bei einer Pressekonferenz im belgischen Impfstoffwerk des US-Herstellers Pfizer. Was hat sie dem Konzernchef zum Milliardendeal per SMS geschrieben?
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, bei einer Pressekonferenz im belgischen Impfstoffwerk des US-Herstellers Pfizer. Was hat sie dem Konzernchef zum Milliardendeal per SMS geschrieben?

Im Rechtsstreit um die Herausgabe von Textnachrichten an einen Pharma-Konzernchef hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach drei Jahren eine Niederlage kassiert. Ihre oberste EU-Behörde habe keine plausible Erklärung gegeben, warum sie nicht über die von einer Zeitung angeforderten Dokumente verfüge, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch. Den Beschluss der Kommission, die angefragten Nachrichten nicht herauszugeben, erklärten die Luxemburger Richter*innen für nichtig.

Konkret ging es um Nachrichten, die von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla zwischen Januar 2021 und dem 11. Mai 2022 ausgetauscht haben sollen. Während der Pandemie hatte sich die EU inmitten massiver Nachfrage weltweit Impfstoffe für die Mitgliedstaaten gesichert. Als Hauptlieferanten wählte die Kommission mit einem Vertrag im möglichen Wert von bis zu 35 Milliarden Euro das US-Unternehmen Biontech/Pfizer. Viele Aspekte der Beschaffung der insgesamt 1,8 Milliarden Impfstoffdosen wurden vertraulich behandelt, was nicht nur unter Leugner*innen der Corona-Pandemie zu Vorwürfen der mangelnden Transparenz führte.

Eine Journalistin der »New York Times«, Matina Stevis, beantragte daraufhin zusammen mit ihrer Zeitung den Zugang zu sämtlichen Textnachrichten zwischen von der Leyen und Bourla aus diesem Zeitraum. Die Kommission wiegelte mit der Begründung ab, in ihrem Besitz befänden sich keine solchen Dokumente. Das fochten die Journalistin und ihre Zeitung vor dem EU-Gericht an – und hatten mit dieser Nichtigkeitsklage Erfolg.

Der EuGH berief sich auf eine Verordnung über den Zugang zu Dokumenten von EU-Organen, die in der Regel für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Wenn eine Behörde angebe, dass ein bestimmtes Dokument nicht existiere, werde das von den Anfragenden meist als richtig angenommen. Die Aussage der Kommission gegenüber den Petent*innen habe aber »auf Hypothesen oder auf wechselnden oder ungenauen Informationen« beruht, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Zeitung habe dagegen relevante Anhaltspunkte dafür vorgelegt, dass von der Leyen und Bourla sich wiederholt ausgetauscht hätten. So sei die Vermutung der Nichtexistenz der Dokumente entkräftet worden – das dürfe die Kommission also nicht ignorieren.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Brüssel müsse plausible Erklärungen abgeben, warum diese Dokumente angeblich nicht auffindbar seien, betonte die Luxemburger Justiz. Die Kommission habe nicht genau beschrieben, wie oder wo überhaupt nach den Nachrichten gesucht wurde. Auch sei nicht klar, ob diese gelöscht worden seien, ob dies absichtlich oder automatisch geschah oder weil von der Leyens Handy ausgetauscht wurde. Zudem sei nicht plausibel erklärt, warum die Kommission die Chats nicht wichtig genug fand, um sie aufzubewahren.

Die Kommission prüft nach eigenen Angaben, ob sie gegen das Urteil in Berufung geht. Sie kündigte an, erneut über die Herausgabe der Textnachrichten zu entscheiden und dieses Mal »eine ausführliche Begründung« dafür zu liefern.

Die »New York Times« sprach von »einem Sieg für Transparenz und Rechenschaft in der Europäischen Union«. Das Urteil sende »ein mächtiges Signal«, dass auch flüchtige Textnachrichten der Kontrolle der Öffentlichkeit unterliegen müssten, erklärt die Zeitung. EU-Beamt*innen müssten Textnachrichten wie jedes andere offizielle Dokument behandeln.

Das Urteil »verstärkt die wachsende Besorgnis über den stark zentralistischen Führungsstil von von der Leyen«, schreibt das Internetportal »Euractiv«. Die Kommissionschefin habe durch ihre Intransparenz die Demokratie in der EU nachhaltig beschädigt, erklärt Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Europäischen Parlament. Ursula von der Leyen solle jetzt »umgehend ihre Daten veröffentlichen, um weiteren Schaden von der EU und der Glaubwürdigkeit europäischer Politik abzuwenden«.

»Mir fällt nur einziger Grund ein, warum von der Leyen die SMS nicht rausrückt: Irgendwas an diesen Nachrichten war unsauber«, vermutete Jan van Aken, Vorsitzender der Partei Die Linke, am Mittwoch. Damit reihe sie sich als CDU-Mitglied gut in die Maskenaffären ihres Parteikollegen und früheren Gesundheitsminister Jens Spahn ein.

Daniel Freund, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, bezeichnete von der Leyens Erklärung, sie nutze SMS nicht für politische Geschäfte, gegenüber »ZDF heute« als »Ausrede«. Sollte sie die Nachrichten nicht herausgeben, brauche es Konsequenzen – »notfalls auch den Entzug der dienstlichen Smartphone-Nutzung«, fordert Freund.

Falls von der Leyen die Pfizer-SMS gelöscht hat, habe dies für die mächtige Politikerin wohl keine negativen Folgen, vermutet indes der BSW-Politiker Fabio de Masi, der sich an anderer Stelle mehrfach mit dem Pfizer-Deal befasste. »Die Vernichtung von exekutiver Kommunikation muss endlich mit empfindlichen Strafen gesetzlich sanktioniert werden. In Deutschland ebenso wie auf europäischer Ebene!«, erklärte der Ex-Linke auf der Plattform X.

Mit dem Problem der Nicht-Veraktung von ministeriellen Textnachrichten befasst sich auch das Transparenz-Portal »Frag den Staat« seit Langem – im vergangenen Jahr etwa in der »Fördergeldaffäre« der damaligen Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. »Was nicht veraktet wird, kann nicht kontrolliert werden – und Behörden nutzen das systematisch aus, auch in Deutschland. Ob Lindner, Stark-Watzinger oder von der Leyen: Messenger-Nachrichten verschwinden, ohne je in die Akte zu wandern. Doch demokratische Rechenschaft endet nicht beim Chatverlauf«, erklärte »Frag den Staat« zu dem Urteil.

In Sachen Impfstoff-Deals droht von der Leyen weiteres Ungemach des Gerichts der Europäischen Union. Im Herbst legte die Kommission Rechtsmittel gegen zwei Urteile vom 17. Juli 2024 ein, die den Zugang der Öffentlichkeit zu ungeschwärzten Fassungen der Verträge über den Erwerb von Covid-19-Impfstoffen sowie zu Erklärungen über das Nichtvorliegen von Interessenkonflikten betreffen. In den Rechtssachen hatte das Gericht einen weitergehenden Zugang zu den Dokumenten gefordert. Die Kommission beantragte daraufhin die teilweise Nichtigerklärung dieser Urteile. Die endgültige Klärung darüber steht weiterhin aus. Mit Agenturen

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -