Übernahme statt Sachzwang

Verhandlungen für öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen gehen in die zweite Runde

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Montag in Potsdam ist es so weit. Die diesjährigen Verhandlungen für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen gehen weiter. Die Arbeitgeberseite ist am Zug. Eine einfache Lösung wird es nicht geben.

Nach der Osterpause hat die Tarifbewegung im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen in den letzten Tagen an Dynamik gewonnen. Bundesweit beteiligten sich seit Montag nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di viele tausend Beschäftigte an Kundgebungen und kürzeren Warnstreiks. Andere kamen zum »Streikfrühstück« oder einer »kreativen Mittagspause«. Betroffen waren vor allem Verwaltungen, Stadtwerke, kommunale Kliniken, Bauhöfe und Kindertagesstätten.

Damit demonstrierten die Gewerkschafter von der Nordsee bis in den tiefen Süden vor der für kommenden Montag in Potsdam anberaumten zweiten Verhandlungsrunde Entschlossenheit. Die jüngsten Aktionen waren ein Warmlaufen für einen Konflikt, der sich in diesem Frühjahr länger hinziehen könnte. Von einem »ersten Warnschuss« und »Nadelstichen« spricht Wolfgang Pieper vom ver.di-Bundesvorstand. Seine Organisation gilt in der Tarifgemeinschaft der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst als tonangebende Kraft.

Die Gewerkschaften verlangen für die bundesweit rund 2,3 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen eine Einkommenserhöhung von sechs Prozent, ein pauschales Plus von 100 Euro bei den Ausbildungsvergütungen, eine Übernahmegarantie für die Auszubildenden und den Verzicht auf um sich greifende sachgrundlose Befristungen. Die Arbeitgeberseite verlangt als Gegenleistung für bescheidene Zugeständnisse an der Lohnfront Einschnitte bei den Betriebsrenten im Zuge der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Solche Begehrlichkeiten machen die Gewerkschafter allerdings hellhörig. Viele Beschäftigte im Erziehungsdienst leisteten Teilzeitarbeit und hätten schon damit geringere Rentenansprüche, so Ulf Rödde von der DGB-Bildungsgewerkschaft GEW. »Wenn jetzt auch noch bei der betrieblichen Altersversorgung gekürzt wird, erzeugt das Angst vor Altersarmut.«

Eine Einigung in Potsdam ist nicht in Sicht. So könnte es ein heißes Tarif-Frühjahr werden. Zwar wurde im Bundeshaushalt 2015 ein Überschuss von zwölf Milliarden Euro verbucht und bescheinigen Insider der Bundesregierung in dieser Runde denn auch eine gewisse Kompromissbreitschaft und Sehnsucht nach Ruhe an der Tariffront. Doch die kommunale Arbeitgebervereinigung VKA schlägt andere Töne an. So bezeichnete VKA-Präsident Thomas Böhle die Sechs-Prozent-Forderung als »völlig überzogen«. SPD-Mitglied Böhle gilt als »alter Hase« im Tarifgeschäft. Er steht seit 2004 an der VKA-Spitze und ist hauptamtlich in der von SPD und CSU getragenen Münchner Stadtregierung Chef der lokalen Sicherheits- und Ordnungsbehörde. Schon im monatelangen Arbeitskampf um eine Aufwertung der Arbeit in den Sozial- und Erziehungsdiensten (S+E) im Sommer 2015 war er als Hardliner aufgetreten, der alles in Ruhe aussitzt und auf eine Ermattung der Gewerkschaften setzt.

Vor dem Hintergrund eines Rekordschuldenstands in Höhe von 145 Milliarden Euro stünden die deutschen Kommunen durch Aufgaben der Flüchtlingsintegration unter zusätzlichen finanziellen Belastungen, argumentieren Böhle und seine Mitstreiter gebetsmühlenartig mit Sachzwängen. »Das hat nichts miteinander zu tun. Wenn wir uns darauf einlassen, Beschäftigte gegen Flüchtlinge und die Bevölkerung auszuspielen, haben wir verloren«, erklärt hingegen ein hessischer ver.di-Insider gegenüber »nd«.

Wenig geneigt zu spürbaren Zugeständnissen sind insbesondere die Spitzen der finanziell angeschlagenen Kommunen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW). Hier können mittlerweile fast durch die Bank die Städte, Gemeinden und Landkreise den Aufsichtsbehörden keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen. Jüngst hat beispielsweise die Stadt Düsseldorf finanzielle Zugeständnisse an S+E-Beschäftigte vom letzten Jahr wieder »einkassiert«. Die Stadt Troisdorf bei Bonn plant gar eine Privatisierung ihrer Kitas.

»Das Problem liegt nicht auf der Ausgabenseite, sondern bei der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen«, meint Sabine Uhlenkott von ver.di NRW. Dies sei auch eine Folge von Steuersenkungen seit 1998. Nur durch Maßnahmen wie eine Vermögenssteuer und deutlich höhere Erbschaftssteuer sowie eine nachhaltige Gemeindefinanzreform und einen Schuldenschnitt für hoffnungslos defizitäre Kommunen könne die Misere behoben werden.

Sollte sich an der Tariffront im öffentlichen Dienst in den kommenden Wochen nichts bewegen, liegt der Schulterschluss mit anderen Gewerkschaften nahe. Vor allem die aktuelle Tarifrunde für die 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie könnte den Nährboden für gemeinsame, branchenübergreifende Aktionen bereiten. Damit könnten auch die politischen Forderungen der Gewerkschaften ein starkes gesellschaftliches Echo finden und stünde die organisierte Arbeiterbewegung als gesellschaftlicher Akteur wieder im Mittelpunkt des Geschehens.

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