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Begreiflicher Terror

Die ARD-Trilogie »Mitten in Deutschland« zum NSU-Komplex ist ein starkes Stück Fernsehgeschichte

  • Olaf Sundermeyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Das größte Lob an dem Werk kam aus Jena: Von Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, die näher an dem Stoff ist, näher an der Biografie der hiesigen Terrorzelle, an den handelnden Personen, auch näher an der versuchten Aufklärung des NSU-Komplexes als jeder andere Politiker in Deutschland. Sie, die Linke, das parlamentarische Gesicht der Antifa in Thüringen, die »Zecke« aus Jena, ist dort zu selben Zeit zur Schule gegangen wie Beate Zschäpe, war schon früh politisch aktiv, als sich auf der anderen Seite junge Menschen zu Nazis radikalisierten. Zugespitzt könnte man sie eine Anti-Zschäpe nennen (wenngleich drei Jahre jünger), die sich für einen radikalen linken Weg entschieden hat. Katharina König twitterte gleich nach Ausstrahlung des ersten Teils der NSU-Trilogie (»Die Täter - Heute ist nicht aller Tage«): »Fazit zum NSUFilm: in weiten Teilen Verfilmung, was bisher über NSU Kerntrio in 90ern bekannt ist. Kaum Fiktion. Nicht mehr. Nicht weniger.«

Ihr nüchterner Befund kommt der höchst möglichen inhaltlichen Anerkennung für die Macher dieses Spielfilms gleich. Denn das, was König längst weiß, was sie selbst erlebt hat, können die allermeisten Menschen in Deutschland nicht erahnen, weshalb sie den rechten Terror des NSU oft nicht begreifen können. Diese Leistung gebührt der NSU-Trilogie, sie macht den Terror begreiflich - für ein Massenpublikum, das Lichtjahre von der Lebenswirklichkeit vom Jena der Nachwendezeit lebt und aufgewachsen ist. Das die Kräfte bis heute nicht verstehen kann, die in dieser besonderen Phase der Geschichte in der ostdeutschen Provinz gewirkt haben, in diesem Fall auf junge Menschen, die sich scharenweise zu Nationalsozialisten radikalisiert haben, und vereinzelt eben zu Terroristen, denen die verbale Gewalt ihrer abwertenden Ideologie nicht genug war. Die sich schließlich dem Motto »Taten statt Worte« verschrieben, und deshalb zu Mördern wurden. Die Zahl derer, die sich als Zeitzeugen an die Nachwendezeit im Osten erinnern können, bewegt sich im Verhältnis zu allen anderen Menschen in diesem Land im einstelligen Prozentbereich. Und täglich wird diese Zahl kleiner. Schon darin liegt die Relevanz dieses Machwerks, das den Radikalisierungsverlauf von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt im Kontext der Zeit nachzeichnet.

Einer, der zu dieser Zeit ebenfalls in der Stadt war, ein rechtsextremer Weggefährte von Terrorhelfer Ralf Wohlleben und zwischenzeitlicher Informant des Verfassungsschutzes, sagte nur wenige Tage, nachdem die beiden Uwes in ihrem Wohnmobil ums Leben kamen: »Die haben ja das umgesetzt, von denen die meisten anderen in der Szene nur träumen, weil sie selbst zu feige sind, es ihnen gleichzutun. Aber grundsätzlich sehnen viele eine Endlösung für Ausländer herbei.« Damit traf er den Kern dessen, was die rechtsextreme Bewegung will, und dem in den vergangenen Jahren in Deutschland niemand mit einem größeren Maß an hasserfüllter Konsequenz gefolgt ist wie die Mörder des NSU. Ein weißes völkisch geprägtes Deutschland in den alten ausgedehnten Grenzen, in dem Danzig wieder eine deutsche Stadt ist, und in dem kein Ali mehr lebt (auf die heutige Zeit übersetzt heißt das: AfD und Pegida mit radikalen Mitteln).

Auch diesen Zusammenhang, die der rechtsextremen Ideologie immanente Gewalt durch Abwertung, die Entmenschlichung der Opfer als Stellvertreter ganzer Bevölkerungsgruppen, macht die NSU-Trilogie begreiflich (»Die Opfer - vergesst mich nicht«): Über die dort ausführlich geschilderte Opferperspektive der Familie des ersten NSU-Toten, Enver Şimşek, Blumenhändler aus Nürnberg. Zugleich ist es eine schonungslose Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Zustände, die das Unverständnis zeigt, mit der ein durch die Mehrheitsgesellschaft geprägter Staat im Konfliktfall Menschen begegnet, die zwar mit uns hier leben, aber einen anderen kulturellen Hintergrund haben als einen deutschen. Der Fall Şimşek macht klar, dass Türken (als eine der zahlreichen Migrantengruppe) keine Lobby haben, dass sie hierzulande schlicht weniger wert geschätzt werden als Herkunftsdeutsche, und dass ein türkischer Blumenhändler in Nürnberg, ein türkischer Kioskbesitzer in Dortmund, der türkische Betreiber eines Internetcafés in Kassel usw., vor allem anonyme Opfer waren, von denen zunächst niemand sonderlich Notiz nehmen wollte. Man stelle sich vor, sie wären deutsche Staatsanwälte gewesen, Bänker oder Politiker, wie die Opfer des linksextremen RAF-Terrors in der alten Bundesrepublik, die den Sicherheitsapparat des ganzen Staates seinerzeit in Alarmbereitschaft gebracht haben.

Eine Opferhierarchie verbietet sich aus moralischen Gründen, auch in der Rückschau, aber in der Bewertung der staatlichen Reaktion hat es sie gegeben. Wie die Geringschätzung von Opfern bei den Aufklärungsversuchen von Verbrechen wirkt, auch das zeigt dieses Werk, das den Terror begreiflich macht. Schließlich lernen wir im dritten Teil (»Die Ermittler - Nur für den Dienstgebrauch«), wie der Staat zu einer Zeit großer Verunsicherung und nicht vorhandener Kontrolle auch seiner eigenen Organe, zugelassen hat, dass einzelne Behörden - hier der Verfassungsschutz - selbstständig und hemmungslos wirken konnten, und so einen gehörigen Teil zum Zustandekommen des Terrors beigetragen hat. Auch das macht diesen begreiflich.

Trotz aller unbeantworteten Fragen in der anhaltenden Aufklärung des NSU-Komplexes, die natürlich auch diese Spielfilm-Trilogie nicht beantworten kann, versteht der bislang Unbeteiligte zumindest das Prinzip, aus dem die zahllosen Ungereimtheiten entstanden sind. Zugleich ist die Trilogie eine subtile Mahnung dafür, ähnliche Zustände nicht wieder entstehen zu lassen, in denen sich Sicherheitsbehörden der demokratischen Kontrolle entziehen.

Die ARD-Trilogie »Mitten in Deutschland« ist ein starkes filmisches Vermächtnis. Es ist Anschauungsmaterial für viele Jahre. Und vielleicht muss sie bald um einen vierten Teil ergänzt werden: »Der Prozess - Ein Land urteilt über den Terror.«

Olaf Sundermeyer ist Buchautor (»Rechter Terror in Deutschland - Eine Geschichte der Gewalt«) und Filmemacher (Co-Autor der ARD-Dokumentation »Dunkles Deutschland - Die Front der Fremdenfeinde«).

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