Jeder zehnte Pflegefall ist ein Sozialfall

Thüringens Kommunen zahlten 52 Millionen Euro

  • Lesedauer: 3 Min.

Erfurt. Die Lohnlücke in der Altenpflege zwischen Thüringen und anderen Bundesländern beginnt sich nach Einschätzung des Thüringer Gesundheitsministeriums und von Pflegekassen langsam zu schließen. »Viel zu lange wurde in Thüringen auf niedrige Löhne gesetzt, auch im Pflegebereich«, sagte Gesundheitsministerin Heike Werner (LINKE) der dpa. Ein Sprecher der Barmer GEK sagte, wenn sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fortsetze, dürfte Thüringen seinen Status als »Billigpflegeland« nicht mehr lange halten.

Nach Angaben Kassensprechers sind seit der Vereinbarung des Thüringer Pflegepakts 2012 für mehr als 70 Prozent der Pflegeeinrichtungen im Land neue Vergütungssätze ausgehandelt worden. So sei es in den Einrichtungen möglich geworden, höhere Löhne an die dort Beschäftigten zu zahlen, sagte ein Sprecher. »Gute Pflege kostet gutes Geld.« Werner sagte, sie begrüße, dass viele Beschäftigte in der Branche in den vergangenen Jahren mehr Gehalt bekommen hätten.

Im Pflegepakt hatten sich Kassen, Ministerium und Arbeitgeber selbstverpflichtet, die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten zu verbessern. Die in Thüringen im Bundesvergleich besonders niedrigen Vergütungen durch die Kassen gelten als Hauptgrund für die besonders niedrigen Gehälter in der Branche, die viele Altenpfleger zum Abwandern in westliche Bundesländer veranlassen. »Wir brauchen in der Pflege die zügige Lohnangleichung an Westdeutschland, daran führt kein Weg vorbei«, sagte Werner.

Allerdings führen höhere Pflegekosten auch zu teils deutlichen Mehrausgaben für Pflegebedürftige und für Kommunen. Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt nur einen pauschalen Teil der Kosten für den Heimplatz oder ambulanten Pflegedienst. Die Differenz müssen Pflegebedürftige aus eigener Tasche zahlen - können sie das nicht, springen die Kommunen mit Sozialhilfe ein. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die sich den Eigenanteil für Pflegeleistungen aus eigenen Mitteln nicht mehr leisten können, steige, sagte Werner.

Bereits jetzt müssen die Sozialämter in Thüringen immer häufiger und in immer größerem Umfang Pflegebedürftigen finanziell unter die Arme greifen. Nach den aktuell verfügbaren Daten des Statistischen Landesamtes gaben die Kommunen für die sogenannte Hilfe zur Pflege im Jahr 2014 etwa 52 Millionen Euro aus. 2012 waren es 43,5 Millionen Euro, im Jahr 2010 etwa 39 Millionen Euro. Inzwischen erhält fast jeder zehnte Pflegebedürftige Sozialhilfe, im Jahr 2014 waren es etwa 8300 Menschen.

Die LINKE-Politikerin Werner warf der Bundesregierung vor, die Kommunen mit den zu erwartenden Mehrkosten bei der Sozialhilfe für Pflegebedürftige im Stich zu lassen. Der Kreis der Menschen, die Anspruch auf Pflegeleistungen haben, sei richtigerweise erweitert worden. »Aber die Bundesregierung hätte natürlich auch einen finanziellen Ausgleich beschließen müssen. Wer bestellt, der muss auch zahlen.«

Die Gesundheitsministerin plädierte zugleich dafür, die Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Krankenversicherung umzubauen, um höhere Belastungen für Kommunen, Pflegebedürftige und deren Familien zu vermeiden. Im rot-rot-grün regierten Freistaat Thüringen leben rund 87 000 Pflegebedürftige. Es gibt 357 Pflegeheime mit etwa 26 000 Betten und 451 ambulante Pflegeeinrichtungen. dpa/nd

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