Zugunglück fordert zwölftes Opfer

Aiblinger Fahrdienstleiter spielte vor der Katastrophe am Handy

  • Paul Winterer, Bad Aibling
  • Lesedauer: 2 Min.
Er hat es gestanden: Statt sich auf den Job zu konzentrieren, spielte der Fahrdienstleiter vor dem Zugunglück von Bad Aibling Onlinespiele. Am Mittwoch erlag ein weiteres Opfer seinen Verletzungen.

Ein weiteres Opfer des Zugunglücks von Bad Aibling ist gut zwei Monate nach dem Zusammenstoß gestorben. Der 46-Jährige aus dem Landkreis Rosenheim erlag am Mittwoch in einem Münchner Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, wie die Polizei mitteilte. Damit erhöht sich die Zahl der Todesopfer auf zwölf.

Aus Mitleid dürfte nun Wut werden. Denn der Fahrdienstleiter steht plötzlich in einem ganz anderen Licht da. Während dem 39-Jährigen bisher viel Verständnis entgegengebracht wurde, obwohl er ein falsches Signal gab, löst eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft nun Kopfschütteln aus. Der Bahnbedienstete spielte unmittelbar vor der Katastrophe auf seinem Handy Onlinespiele, wie die Staatsanwaltschaft am Dienstag der Öffentlichkeit mitteilte. Der Mann sitzt nun in Untersuchungshaft. Der Fahrdienstleiter habe eingeräumt, auf seinem Handy das Spiel gestartet und gespielt zu haben. Er habe aber bestritten, dadurch abgelenkt worden zu sein, so die Staatsanwaltschaft.

Es ist kaum vorstellbar, was in den Köpfen der Hinterbliebenen der zwölf getöteten Männer und der 85 teils schwer Verletzten nun vorgeht. Ein für die Sicherheit auf der eingleisigen Strecke zuständiger Bahnmitarbeiter schaltet unter Missachtung der Vorschriften sein Smartphone ein - und spielt Online-Spiele. »Es muss aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte dadurch von der Regelung des Kreuzungsverkehrs der Züge abgelenkt war«, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Der Fahrdienstleiter hatte fast 20 Jahre Berufserfahrung. Bahnmanager berichteten, Hinterbliebene hätten ihnen geschrieben, dass ihnen bei aller Trauer um ihre Liebsten auch der Mitarbeiter leidtue. Die Deutsche Bahn sorgte dafür, dass sich der 39-Jährige abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf die Anklage gegen ihn und den Prozess vorbereiten kann. Nun hat er in der U-Haft Gelegenheit dazu.

Die Staatsanwaltschaft wird sich fragen lassen müssen, warum dieses erschütternde Detail erst jetzt bekannt wurde. Nur wenige Tage nach dem Unglück vom 9. Februar hatte sie mitgeteilt, dass sich der Beschuldigte im Beisein seines Anwalts ausführlich zu den Vorwürfen geäußert habe. Das Spielen mit dem Smartphone verschwieg er offenbar. Ohnedies nahm der Druck der Politik auf die Ermittler zu. Vor zwei Wochen platzte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit der Nachricht heraus, dass der Fahrdienstleiter nach Bemerken seines verhängnisvollen Signalfehlers auch noch die falschen Tasten beim Abschicken der Notrufe drückte. Statt die Lokführer der aufeinanderzurasenden Züge zu warnen, ging der Alarm bei den Fahrdienstleitern der Umgebung und in der Zentrale ein. Die Katastrophe war nicht mehr zu stoppen. dpa/nd

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