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Das »Märchen« um Anna Skorochod
Die ukrainische Abgeordnete steht im Visier von Korruptionsermitttlungen
Ganz unaufgeregt geht die ukrainische Abgeordnete Anna Skorochod durch ihre Wohnung. Sie hat eine Videokamera in der Hand und filmt jede Kleinigkeit ihres Zuhauses. Man könnte meinen, sie will nun auf einer Wohnungsbörse ihre vier Wände zu einem guten Preis verkaufen oder vermieten.
Doch Frau Skorochod will ihre Wohnung weder vermieten noch verkaufen. Am 5. Dezember hatten Mitarbeiter des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU und der Antikorruptionsbehörden Nabu und SAP ihre Wohnung durchsucht. Und waren fündig geworden. Einen ganzen Berg von Dollarbündeln zeigten die Antikorruptionsfahnder stolz der Öffentlichkeit, die sie in der Wohnung der streitbaren und umstrittenen Abgeordneten gefunden haben wollen.
Skorochod wirft den Fahndern Lügen vor
Man habe eine kriminelle Vereinigung enttarnt, heißt es beim SBU, dem Nationalen Antikorruptionsbüro (Nabu) und der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP). Und an deren Spitze habe die Abgeordnete gestanden. Nach Angaben des SBU hätten Mitglieder dieser Gruppe einem Unternehmer angeboten, für 250 000 US-Dollar dafür zu sorgen, dass der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat gegen ein konkurrierendes Unternehmen Sanktionen verhängt. Die hätten dessen Betrieb weitgehend zum Erliegen gebracht.
»Man hat mich im ganzen Land verleumdet.«
Anna Skorochod Abgeordnete des ukrainischen Parlamentes
»Alles Lüge«, hält Skorochod entgegen. Die von den Fahndern vorgelegten Dollarbündel seien gar nicht in ihrer Wohnung gefunden worden. Die hätten in einer ganz anderen Wohnung gelegen. Und als Beweis, dass die Dollarbündel nicht in ihrer Wohnung gefunden worden seien, macht sie einen Rundgang mit der Videokamera durch ihre eigene Wohnung.
Skorochod ist überzeugt, dass die Durchsuchungen ihrer Wohnung und der Prozess gegen sie politisch motiviert seien. Die Herrschenden wollten »Druck auf die Opposition« ausüben, so Skorochod.
Freilassung nur unter Auflagen
Zu Beginn der Gerichtsanhörung am Dienstag betonte Anna Skorochod, dass alle ihr zur Last gelegten Vorwürfe unwahr seien. »Man hat mich im ganzen Land verleumdet.« Das von Nabu vorgelegte Video sei ein Zusammenschnitt einzelner Fragmente. Außerdem sei die Stimme auf diesem Video gar nicht ihre Stimme. Sie verlange die Veröffentlichung der ungekürzten Version dieses Videos. Dann werde schnell klar, dass sie mit dieser Sache nichts zu tun habe. Sie werde beweisen, dass diese »Märchen« der Akte erfunden seien. Sie habe überhaupt keine Kontakte zum Sicherheitsrat und von der Transportfirma Blasko, gegen die angeblich Sanktionen verhängt werden sollten, höre sie nun zum ersten Mal.
Doch ihr Video und ihre Aussagen überzeugten das Gericht nicht. Das ordnete eine Kaution in Höhe von drei Millionen Hrywnja (rund 60 000 Euro) an. Außerdem verhängte es Auflagen gegen Skorochod. So muss sie sich regelmäßig bei der Ermittlungsbehörde melden, darf die Ukraine nicht verlassen, muss jeden Kontakt zu Zeugen und anderen Verdächtigen vermeiden und ist verpflichtet, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Damit ist auch ihre USA-Reise geplatzt. Der Juristin und Journalistin werden gute Kontakte zur Republikanischen Partei nachgesagt.
Skorochord ist eine scharfe Gegnerin Selenskyjs
Skorochod war 2019 als 29-Jährige für die Präsidentenpartei »Diener des Volkes« in das Parlament gewählt worden. Doch irgendwie stimmte die Chemie zwischen ihr und der Fraktionsmehrheit nicht. Zu oft habe sie sich nicht dem Fraktionszwang gebeugt, begründete Fraktionschef Dawyd Arachamija den Rausschmiss aus der Fraktion im November 2019. Insbesondere ihre Weigerung, der Liberalisierung des Bodenmarktes zuzustimmen, sorgte für großes Aufsehen. Abgeschoben aus der Regierungspartei, zog es die Politikerin in die Partei Für die Zukunft.
Skorochod ist eine der schärfsten Gegner*innen von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Parlament. Sie hatte im November ein Reel auf Instagram gepostet, in dem sie behauptet, Selenskyj sei nicht an einem Frieden interessiert, weil dieser mit Wahlen verbunden sei. Und Wahlen würde Selenskyj verlieren, glaubt sie. Auch ist sie der Auffassung, dass Menschenleben wichtiger als Territorialfragen seien.
Dabei hätte man wissen müssen, dass die mit leiser und charmanter Stimme auftretende Skorochod gewollt oder ungewollt immer wieder mal Aufsehen erregt. So hatte sie sich für einen jungen Mann eingesetzt, der auf seiner Mütze sowjetische Symbolik, also Hammer und Sichel, getragen haben soll. Der Kampf gegen den Kommunismus und die Sowjetunion sei eine Krankheit, hatte sie damals gesagt.
Inhaftierung könnte zu Demos führen
Ihr Ex-Mann, Olexij Aljakin, ursprünglich russischer Staatsbürger, war 2019 auf Betreiben der russischen Staatsanwaltschaft von der ukrainischen Staatsanwaltschaft festgenommen worden. Aljakin, der Anfang der 2000er Jahre stellvertretender Leiter der Industrieabteilung im russischen Ministerium für Staatseigentum war, hatte eine Karriere als Banker versucht, war dann aber gescheitert. Nur seine rechtzeitige Beantragung der ukrainischen Staatsbürgerschaft rettete ihn vor einer Auslieferung nach Russland. Russland hatte ihn im Zusammenhang mit der Pleite der Bank Puschkino, in deren Namen er den Insolvenzantrag gestellt hatte, wegen Betrugsvorwürfen zur Fahndung ausgeschrieben.
Sollten die Strafverfolgungsbehörden weitergehen und die streitbare Abgeordnete inhaftieren, dürften gerade Angehörige von ukrainischen Kriegsgefangenen und Vermissten dagegen protestieren. Skorochod ist mit den Aktivisten, die sich öffentlich für ein stärkeres Engagement für diese Opfer des Krieges einsetzen, sehr gut vernetzt.
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