Nüchterne Einheitsappelle

Bei seiner Wahl zum DFB-Präsidenten spart sich Reinhard Grindel die große Rede - auf ihn wartet Arbeit genug

  • Frank Hellmann,
Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Reinhard Grindel ist wie erwartet neuer Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Er beschwor danach einen Wandel und kuschelte doch mit den alten Eliten.

Zu viel Harmonie kann auch schaden. Daher muss es vielleicht gar nicht kontraproduktiv gewesen sein, dass im gleichnamigen Saal des Frankfurter Congress Center nicht alle der stimmberechtigten 255 Delegierten ihr Ja-Kärtchen in die Höhe reckten. Vier Gegenstimmen gab es bei der Wahl von Reinhard Grindel zum neuen DFB-Präsidenten, die aus dem Lager der Liga kamen. Offenbar weder der SC Freiburg noch Borussia Dortmund fühlten sich mit ihren Vertretern an die Absprachen gebunden, dem bisherigen Schatzmeister am Freitag den wichtigsten Job im größten deutschen Sportverband zu übertragen.

Grindel sah darüber locker hinweg. Für den 54-Jährigen zählte beim außerordentlichen Bundestag das große Ganze: »Ich hoffe, dass wir bald alle sagen können, dieser 15. April war der Wendepunkt.« Seiner Antrittsrede fehlte gleichwohl die Aufbruchsstimmung - dafür stellte der Politprofi zu viele Selbstverständlichkeiten wie »Fair Play und Integrität« heraus oder spannte zu simpel den Bogen »von der Bundesliga zur Kreisliga«.

Immerhin warnte der frühere Journalist davor, den Verband ob der trügerischen Mitgliederzahlen nicht »zum Scheinriesen« werden zu lassen, wenn vielerorts Mannschaften wegbrechen würden. Die Konsequenzen aus der Affäre um die Heim-WM 2006 beinhalteten Bekanntes: Beim Generalsekretariat soll eine Stabsstelle Compliance installiert, eine Ethikkommission gegründet, der Finanzbericht veröffentlicht sowie eine eigene GmbH gegründet werden, die alle wirtschaftlich wichtigen Themen - wie den künftigen millionenschweren Ausrüstervertrag - behandeln werde. Er wolle vereinen: »die sportlichen Erfolge, das äußere Erscheinungsbild, aber eben auch die inneren Werte«, so Grindel. Elite und Basis müssten beieinander bleiben.

Grindel gab Männer-Bundestrainer Joachim Löw zudem einen klaren Auftrag für die anstehende EM mit: »Ein gutes Abschneiden wäre eine gute Grundlage, den neuen DFB zu bauen.« Als »Leuchtturmprojekt« begreift er die EM-Bewerbung 2024, die durch das kolportierte Interesse aus Skandinavien nicht einfacher wird.

Wie schwer lenkbar ein Verband mit fast sieben Millionen Mitgliedern ist, offenbarten die anhaltenden Spannungen zwischen Profis und Amateuren. Ligapräsident Reinhard Rauball zeigte sich »irritiert, wie ein Kandidat ohne vorherige Diskussion ausgerufen wurde«. Der Satz kam fast wie ein Peitschenhieb daher. Bezeichnenderweise hatte Vizepräsident Rainer Koch als Amateurvertreter zuvor den Profibetrieb gewarnt, nur auf den Profit zu schauen. »Der Fußball muss zugänglich, anfassbar und bodenständig bleiben.« Rauball und Koch haben sich in ihrer gemeinsamen Zeit als Interimspräsidenten wohl nur mühsam zusammengerauft.

»Da wurde viel für die eigenen Truppen geredet«, stellte Grindel später auf der Pressekonferenz fest, »ich sehe aber keine unüberwindbaren Gegensätze.« Das macht ihm das Arbeiten trotzdem nicht einfacher - ebenso wie die immer noch bestehenden Sympathien vieler für den zurückgetretenen Wolfgang Niersbach. Einige Funktionäre äußerten immenses Bedauern über den erzwungenen Stabwechsel. Der Neue müsse erst noch beweisen, dass er den »beinahe entgleisten DFB-Zug auf neu verlegten Schienen« (Koch) hält.

Als der zwölfte DFB-Präsident Grindel darum bat, »meinen Duz-Freund Wolfgang nicht auf wenige Wochen und eine Pressekonferenz zu reduzieren«, erhielt der 65-jährige Niersbach von der Funktionärsfamilie einen beinahe längeren Applaus als Grindel. Eine Tatsache, die dieser als »menschliche Geste« wertete. Sein Mandat als CDU-Bundestagsabgeordneter wird der Vater zweier Söhne übrigens nicht sofort niederlegen - dazu will er sich erst nächste Woche in seinem Wahlkreis Rotenburg an der Wümme erklären. Dort bleibt auch Grindels Familie wohnen. Das Oberhaupt will für die meiste Zeit ein Zimmer in einem Sporthotel im Frankfurter Stadtwald beziehen, um seine Tätigkeiten zu erledigen.

Rauball mahnte derweil an: »Wer freundliche Patentrezepte anbietet, verspricht zu viel.« Vielleicht hatte Grindel später auf der Pressekonferenz noch diese Mahnung im Ohr, als der so nüchtern wirkende Pragmatiker, befragt nach dem emotionalsten Moment des Tages, lieber an sein Idol Uwe Seeler erinnerte.

Dessen Gratulation habe ihn besonders berührt, denn als gebürtiger Hamburger sei er als Kind an den Rothenbaum gepilgert, um ein Autogramm zu erhaschen. »Die Werte, die er verkörpert, sind bis heute nicht unmodern: Anstand, Bodenständigkeit und Bescheidenheit«, sagte Grindel. Leitlinien für seine Arbeit, die zum schnellen Erfolg verdammt ist, da eine reguläre dreijährige Amtszeit erst beginnt, wenn Anfang November beim ordentlichen Bundestag in Erfurt die nächste Wahl erfolgt. Mit der einfachen Mehrheit will sich Grindel dort nicht begnügen. »Ich würde mir wünschen, dass mich dann alle wählen.«

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