Und die Welt ist Wut

Nicolas Stemann bringt Elfriede Jelineks neue Weltabrechnung auf die Bühne der Münchner Kammerspiele

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Uraufführung hält was der Titel verspricht: »Wut« von Elfriede Jelinek in der Inszenierung von Nicolas Stemann ist eine zürnende Anklage an eine Welt, die ihre innere Mitte verloren hat, es ist eine Streitschrift über Gewalt, Krieg und Ideologien.

Schrill, tobend und alle Maßstäbe brechend - so kennt das Publikum die Inszenierungen des Theaterberserkers Nicolas Stemann, der nun an den Münchner Kammerspielen erneut alle Register der Bühnenkunst zieht. Seine Uraufführung von Elfriede Jelineks neuestem Werk »Wut« hält, was der Titel verspricht: Es ist eine zürnende Anklage an eine Welt, die ihre innere Mitte verloren hat, eine Welt, die an den Extremen zwischen den Kämpfern des Dschihads, erstarkenden Rechtsnationalen und Pegida-Demonstranten zerbricht. Kurzum: eine so groteske wie höchst aktuelle Streitschrift über Gewalt, Ausgrenzung, Krieg und Ideologien.

Wer die Texte der Wiener Nobelpreisträgerin kennt, weiß um deren sprachgewaltige Komplexität. Statt auf Figuren und Handlungen setzt sie auf ausufernde Wortkaskaden, Prosaströme, die alles mit sich reißen und in einen Strudel der Assoziationen münden. Neben Karin Baier zählt Stemann zu den derzeit besten Interpreten der Autorin. Er bewies bereits mit seiner schwarzgalligen Inszenierung von »Die Schutzbefohlenen« großes Geschick im Umgang mit Jelineks Vorlagen. Das Stück, dessen Aufführung in der Inszenierung von Tina Leisch an der Uni Wien vergangene Woche von 30 Rechtsextremen der Identitären gestürmt wurde, gilt als das Stück zur Flüchtlingskrise.

Nun hat Stemann aus Jelineks Collagen erneut einen bunten Bilderreigen zustande gebracht: Abwechselnd schlüpfen die Schauspieler (u.a. Zeynep Bozbay, Thomas Hauser, Julia Riedler) in Rollen von »Wutbürgern«, über Kreuzkrieger bis hin zu islamistischen Gotteskriegern. Alle verkünden sie dieselben Proklamationen: »Unser Gott ist der größte« oder »Wir führen uns selbst«. Aus einem Sprecher werden zumeist mehrere, die, unterstützt durch die Musik, zu einem vielstimmigen Chor verschmelzen. Was als leise Unzufriedenheit beginnt, wächst sich zum Bocksgesang schäumender Emotionen aus. Ein Stau aus Zorn, Hass und Destruktionskraft, der sich mehrfach entleert, um sodann wieder neu zu entstehen.

Beherzt greift Stemann dabei zu Karikaturen, etwa von Kleinbürgern, die vor dem heimischen Fernseher »Lügenpresse« schreien, Flüchtlingen »woandershin« schicken wollen oder das Publikum gegebenenfalls auf Hinrichtungen hinweisen, die zwar nicht hier, aber nur wenige Meter weiter zu sehen sind. Der Tod ist schließlich ein fast schon gern gesehener Gast, weil er eine einfache Ordnung in einer undurchsichtigen Zeit verspricht. Während Stemann somit im Vordergrund seiner laborartigen Bühne, einer Mixtur aus Bandkeller, Wohnzimmer und mit Leinwänden bespieltem Show- und Medienpalast (Bühne: Katrin Nottrodt), eine urkomische Parodie entwickelt, tut sich im hinteren Teil ein ironischer Kontrast auf. Ein Mann mit dem Kopf und den Flügeln einer Taube erscheint. Wenig später wird der Bote des Friedens von anderen Akteuren attackiert und anschließend von einer Frau in einer gleißend weißen Burka gestützt. Dass sich dieses Verhältnis im Laufe der Szene umkehrt und die Taube nunmehr ihre Helferin aufrecht halten muss, versteht sich als ein großartiges Bild: Nicht nur der Frieden fällt dem Hass der Islamisten anheim, auch die Frauen sind die Leidtragenden dieses sinnlosen Kampfes, die buchstäblich unter den Folgen der Zerstörung zusammenbrechen. Es ist nur eine von zahlreichen stimmigen Metaphern, die Stemann für Jelineks vieldeutige Textanlage findet.

Krieg und Patriarchat verschmelzen hierin genauso eng miteinander wie immer wieder Vergangenheit und Gegenwart. Geschichte wiederholt sich und wiederholt sich. In ihrer Hybris, sich als Richter an die Stelle Gottes zu setzen, sind in diesem kruden Kosmos alle gleich. Ob AfD-Parteigänger, Dschihadisten oder Beleidiger im Netz, die in einer anderen Szene Scheißhaufen auf Leinwandbilder werfen, bevor in lieblichen Tönen die Zeilen »Shitstorm with love« erklingen - immer wieder stellen Autorin und Regisseur die heutigen Gewalttiraden in den Zusammenhang mit dem historischen Faschismus. »Wir sind Nazis«, ruft man selbstbewusst in den Zuschauerraum. Derweil prangt ein lachender Smiley über der Bühne, geschichtsvergessen und happy.

Indem Stemann permanent mehrere Aktionen nebeneinander laufen lässt, formuliert er zugleich eine überzeugende Hommage an Jelinek: Er zeigt ihre Texte als immerzu in Bewegung, weswegen er darauf hinweist, dass das Stück im Laufe der Proben immer mehr aktuelle Ereignisse in sich aufgesogen habe und sogar noch weiterhin im Entstehen befindlich sei. Theater als work in progress - selbst während der Inszenierung, wo der Regisseur selbst auf der Bühne präsent ist, mal Gitarre spielt, plaudert, einen Teil des Publikums auf die Bühne holt oder mehrfach in Anspielung auf den Böhmermann-Skandal darauf hinweist, dass alles, was es im Augenblick zu sehen gäbe, wirklich nur Karikatur sei. Dies betrifft allen voran die klamaukige Götter-Farce, in der Jesus am Kreuz (mit angenagelter Selfiekamera) unter anderem mit Zeus, Buddha und dem »Spaghetti-Monster« munter feiert, bis der Partyschreck, ein vermeintlicher Mohammed in Minirock, erscheint.

Zugegeben: Manchmal überspannt Stemann den Bogen. Doch sein Sinn für Dramaturgie, das Changieren zwischen laut und leise, Tragik und Komik, Stau und Entladung, zeugt von einem beachtlichen Gespür für Stimmungen und den richtigen Augenblick. Mehr noch: Nachdem sich schon viele seiner Kollegen an Jelinek die Zähne ausbissen, insbesondere Johann Simons, der letzte Hausherr der Münchner Kammerspiele, mit zwei völlig verfehlten Uraufführungen der Dramatikerin, meistert Stemann es mit Verve und Pointenreichtum, deren schwierige Texte zu beleben. Wiederum ist ein gemeinsames Werk entstanden, dem nur ein Prädikat gerecht werden kann: kongenial.

Nächste Vorstellung am 19. April

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