Viktor Orban zu Gast beim guten Freund Helmut Kohl

Umstrittener ungarischer Präsident besucht CDU-Altkanzler / Orban ist unerbittlich gegen Merkels Flüchtlingspolitik / Kohl hatte zuvor seine Amtsnachfolgerin kritisiert

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Der autokratisch regierende ungarische Präsident Viktor Orban trifft Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU): Eine Zusammenkunft, die offiziell als rein privat deklariert wurde. Doch daran gibt es berechtigte Zweifel.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist am Dienstagmittag zu einem Besuch bei Altkanzler Helmut Kohl (CDU) in Ludwigshafen eingetroffen. Er setzt in der Flüchtlingspolitik auf nationale Abschottung und gilt bei dem Thema als einer der heftigsten Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Kohls Einladung an ihn hatte dem Altkanzler Kritik eingebracht.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Kohl die Grenzöffnung für Flüchtlinge kritisiert. »Die Lösung liegt in den betroffenen Regionen. Sie liegt nicht in Europa. Europa kann nicht zur neuen Heimat für Millionen Menschen weltweit in Not werden«, schrieb Kohl im Vorwort zur ungarischen Ausgabe seines Buchs »Aus Sorge um Europa«, das am Sonntag publik wurde.

Auch wenn Kohl Merkel nicht namentlich nannte, wurde die Passage von Beobachtern als Kritik an Merkels Entscheidung vom September 2015 gewertet, in Ungarn festsitzende Flüchtlinge zur Weiterreise nach Deutschland einzuladen. Die Kanzlerin hatte ihren Entschluss damals nicht mit den anderen EU-Mitgliedstaaten abgestimmt.

CDU-Vizechef Armin Laschet wies diese Interpretation zurück. Die zitierte Kritik Kohls an der Grenzöffnung stehe nicht im Widerspruch zu Merkels Politik, sagte er in einem Interview. »Helmut Kohl sagt das, was Angela Merkel seit Monaten sagt – keine nationalen Alleingänge, europäische Lösungen, Schutz der Außengrenze.«

Kohls unmittelbar vor Orbans Besuch in Ludwigshafen lancierten Sätze hatten aber selbst dem Altkanzler ansonsten wohlgesinnte politische Kommentatoren zu kritischen Twitter-Beiträgen veranlasst. Der »Zeit«-Journalist Bernd Ulrich äußerte sich etwa ausnehmend sarkastisch:

#Kohl sagt, die Lösung für die Flüchtlinge liege nicht in Europa? Wo dann? In den Stacheldrahtzäunen seines Freundes #Orban?

— Bernd Ulrich (@berndulrich) 16. April 2016

Auch FDP-Chef Christian Lindner attackierte den innerhalb der liberalen Partei eigentlich hoch angesehenen Helmut Kohl via Twitter:

Problematisch, dass #Kohl dafür einem Politiker eine Plattform bietet, der wieder in nationalen + nicht europäischen Kategorien denkt...CL

— Christian Lindner (@c_lindner) 19. April 2016

Hinter einer Absperrung rund 30 Meter von Kohls Haus entfernt empfingen etwa 20 Demonstranten den autokratischen Präsidenten Orban mit Pfiffen und Sprechchören wie »Orban vertreiben, Flüchtlinge bleiben!«. Neben linken Gegendemonstranten standen einige Meter entfernt auch einige wenige AfD-Anhänger, die ein Plakat ausrollten, auf dem in deutscher und ungarischer Sprache an Kohls Gast gerichtet stand: »Herzlich willkommen!«

Am Montag hatten SPD und Grüne Kohl aufgefordert, in der Flüchtlingspolitik mäßigend auf Orban einzuwirken. Wie lange das Gespräch zwischen beiden dauern sollte, war zunächst nicht bekannt. Der Besuch war als privat deklariert, Presse war nicht zugelassen.

Mit einer Ausnahme: Der ehemalige »Bild«-Chefredakteur Kai Diekmann, der beriets seit Jahren seine enge Freundschaft zu Kohl im Sinne politischer PR-Arbeit zugunsten des Pfälzer CDU-Schwergewichts nutzt, schrieb am frühen Dienstagnachmittag über das Treffen, Ungarns Ministerpräsident habe Merkel seine »besten Wünsche« übermittelt: »Ungarn und ich, als sein Ministerpräsident, sehen sich Seite an Seite mit Berlin und unterstützen Angela Merkel mit weiteren Anregungen, wie unserem Aktionsplan, bei der Bewältigung der aktuellen europäischen Herausforderungen.«

Erst aus den Feinheiten von Diekmanns Text erschließt sich, dass letztlich doch eine politische Brisanz in dem Treffen liegt. So hätten Kohl und Orban in einer gemeinsamen Erklärung deutlich gemacht, »im Hinblick auf die Flüchtlingswelle« sei die Frage, wie Europa und seine Mitgliedstaaten helfen würden. Angesichts einer »drohenden Völkerwanderung« sei alles »eine Frage des Maßes und des Sowohl-als-auch: Wie viele Menschen könne Europa vernünftigerweise aufnehmen und letztlich auch integrieren?« cba/nd

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