Karlsruhe: BKA-Gesetz teilweise verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht: Befugnisse der Behörde zur Überwachung greifen unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein / LINKE: Niederlage für Große Koalition / Grüne: Rechtliche Debatte über Gestaltung wird nun neu entfacht

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Karlsruhe. Die weitreichenden Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Terrorabwehr sind in weiten Teilen verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe urteilte. Das sogenannte BKA-Gesetz zur heimlichen Überwachung greife in der Praxis unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein, so die Richter.

Das Gericht entschied, dass zahlreiche Regelungen zu unbestimmt sind oder zu weit gehen, dass es an Transparenz oder richterlicher Kontrolle sowie der Pflicht fehlt, das Parlament und die Öffentlichkeit über Maßnahmen zu informieren. Um Terroranschläge zu verhindern, dürfen die Ermittler seit 2009 unter anderem Wohnungen verwanzen und mit Kameras ausspähen. Das geänderte BKA-Gesetz ist auch Grundlage für den »Bundestrojaner«, eine eigens entwickelte Software, die auf der Computer-Festplatte eines Terrorverdächtigen Daten zum Beispiel aus Chats abschöpft.

Nach den Worten von Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof ist dies zwar im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar. Die konkrete Ausgestaltung der Befugnisse durch den Gesetzgeber sei aber in verschiedener Hinsicht ungenügend. Der Senat habe »in etlichen Einzelvorschriften unverhältnismäßige Eingriffe festgestellt«. Die umfangreiche Prüfung der Bestimmungen habe im Ergebnis zu einer Grundsatzentscheidung zum Datenschutzrecht geführt, sagte Kirchhof. Insbesondere treffe das Gericht erstmals Aussagen zur Übermittlung von Daten ins Ausland. Mit der Entscheidung waren die Beschwerden des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP), Abgeordneter der Grünen und anderer Kläger weitgehend erfolgreich.

Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, wertete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie als Niederlage der Großen Koalition, die vor allem in Person des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) das Gesetz in seiner bestehenden Form bis zuletzt verteigte:

Das #BKA-Gesetz in Teilen verfassungswidrig: Nicht einmal ihr »Handwerk« beherrscht(e) die #GroKo (schon 2008!).

— Dietmar Bartsch (@DietmarBartsch) 20. April 2016

Diplomatischer, aber inhaltlich nicht weniger kritisch äußerte sich via Twitter auch Cem Özdemir, der Bundesvorsitzende der Grünen:

Wirksame Sicherheitspolitik und klare rechtsstaatliche Standards widersprechen sich nicht. Wir brauchen beides. @BVerfG #BKA-Gesetz

— Cem Özdemir (@cem_oezdemir) 20. April 2016

Die beiden Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Konstantin von Notz – beide Kläger in Karlsruhe gegen das BKA-Gesetz – begrüßten die Entscheidung. »Es ist eine weitere herbe Niederlage für die Regierungskoalition vor Gericht. Diese hatte 2008 vor der Verabschiedung des Gesetzes alle fachlichen und rechtlichen Bedenken in den Wind geschlagen,« so die Innenexperten. Es gäbe praktisch keinen Bereich des Gesetzes, den das Bundesverfassungsgericht nicht kritisierte. »Indem das Urteil etwa die Bedeutung privater Rückzugsräume zum Schutz der Menschenwürde betont, wird die weitere Diskussion um die rechtliche Ausgestaltung dieses Bereichs angestoßen.«

Das BKA-Gesetz muss nach dem Richterspruch nun bis Ende Juni 2018 stark nachgebessert werden. Die beanstandeten Regelungen dürfen bis dahin zum Teil nur mit deutlichen Einschränkungen angewandt werden. (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) Agenturen/nd

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