Großer Bahnhof für den Klimaschutz

Am Freitag wollen Regierungsvertreter aus 162 Staaten in New York das neue Paris-Abkommen gegenzeichnen

  • Christian Mihatsch und Susanne Schwarz
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch nach der anstehenden Unterzeichnung des Weltklimaabkommens bleibt fraglich, ob Inselstaaten noch zu retten sind.

Eigentlich ist der internationale »Earth Day« traditionell ein Sorgentag. Am 22. April mahnen jährlich Umweltschützer, geloben Konzerne Besserung, machen Politiker traurige Miene zum bösen Spiel. In diesem Jahr herrscht zumindest im UN-Klimasekretariat Hochstimmung. Heute wollen 162 der insgesamt 196 Länder bei einer feierlichen Zeremonie in New York den neuen Weltklimavertrag unterzeichnen - obwohl sie dafür anschließend noch ein ganzes Jahr Zeit hätten.

Damit erzielt das »Paris Agreement« einen Weltrekord. Noch nie wurde ein internationaler Vertrag von so vielen Ländern am erstmöglichen Tag unterschrieben. Der bisherige Rekordhalter ist die UN-Seerechtskonvention - sie wurde im Jahr 1994 von 119 Ländern auf einmal unterzeichnet. Aus Sicht der französischen Umweltministerin Ségolène Royal zeigt die Rekordbeteiligung: »Es ist klar, dass die Entscheider sich die Dringlichkeit der Klimagefahr zu Herzen nehmen. Dies ist ein sehr gutes Zeichen.«

Ziel des Paris-Abkommens ist es, die Klimaerwärmung »auf deutlich unter zwei Grad« zu begrenzen. Dazu müssen die globalen Emissionen »so bald wie möglich« ihren Höhepunkt erreichen und dann schnell sinken, so dass in der »zweiten Hälfte des Jahrhunderts« Emissionsneu-tralität erreicht wird. Die Welt darf dann nicht mehr Treibhausgase emittieren, als wieder absorbiert wird, etwa durch Aufforstung oder die umstrittene Risikotechnologie des Carbon Capture and Storage (CCS), bei der Kohlendioxid unterirdisch gelagert wird. Der Vertrag verpflichtet außerdem alle Länder der Welt, ihre CO2-Emissionen zu begrenzen. Zuvor mussten nur Industrieländer Klimaschutz betreiben, alle anderen - also auch große Verschmutzer wie China oder Indien - waren befreit. Das Paris-Abkommen gilt daher als historisch.

Beschlossen wurde der Vertrag bereits im vergangenen Dezember auf der Weltklimakonferenz in Paris. Nun liegt es in allen nötigen Übersetzungen vor - die Staats- und Regierungschefs oder ihre Vertreter können es offiziell gegenzeichnen.

In Kraft ist das Abkommen aber auch dann noch nicht. Dazu müssen 55 Länder, die mindestens 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf sich vereinen, das Abkommen nicht nur unterschrieben, sondern auch ratifiziert haben. Sprich: den Vertrag mit einem Gesetz zu nationalem Recht machen. Bisher gilt das nur für fünf Länder: Barbados, Belize, die Malediven, Tuvalu und Samoa. Die USA, China, Kanada und Mexiko haben angekündigt, den Vertrag noch dieses Jahr zu ratifizieren. Brasilien, Südafrika und Indien haben die Ratifikation »so bald wie möglich« in Aussicht gestellt. Dann wären knapp 50 Prozent der globalen Emissionen erreicht.

Erste Beobachter frohlocken schon, dass das Abkommen vielleicht noch in diesem Jahr gelten könnte. Eigentlich ist es für die Zeit nach 2020 geplant - was vor einigen Monaten noch als ambitioniert gehandelt wurde. Schließlich hatte der Ratifizierungsprozess beim Kyoto-Protokoll, dem letzten Klimavertrag, acht Jahre gedauert.

Die EU allerdings ist dieses Jahr wahrscheinlich noch nicht dabei. Damit eine entsprechende Richtlinie verabschiedet werden kann, muss jeder einzelne der 28 Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Das könnte interessante Folgen haben: Tritt das Abkommen ohne die EU in Kraft, ist sie bis zur eigenen Ratifikation nur als Beobachter bei den Treffen der Mitgliedsstaaten dabei - obwohl sie in den Klimaverhandlungen bisher immer zu den großen Machern gehörte.

Ob die Anstrengungen, die die Länder im Klimavertrag versprechen, nun ausreichen, um zum Beispiel Inselstaaten vor dem Untergang zu bewahren, steht aber selbst nach einem Inkrafttreten auf einem anderen Blatt. Die Länder wollen, wie es im Abkommen heißt, »Anstrengungen unternehmen«, damit sich das Klima nur um 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten erwärmt. Ob dies überhaupt noch erreicht werden kann, ist aber unklar. Die globale Durchschnittstemperatur hat sich bereits um rund ein Grad erwärmt. Aus Sicht der scheidenden Generalsekretärin des Sekretariats der UN-Klimarahmenkonvention, Christiana Figueres, kommt das Abkommen denn auch »zehn Jahre zu spät« - selbst wenn es nun vielleicht ein paar Jährchen früher als geplant in Kraft tritt. »Paris war der einfache Teil, jetzt kommt der schwierige«, meint Figueres. »Jetzt müssen wir bei jeder Investition eine bewusste Entscheidung treffen.«

Dieses Signal ist mittlerweile bei den internationalen Finanzinvestoren angekommen: Zum einen musste letzte Woche der weltgrößte börsennotierte Kohlekonzern, Peabody, Konkurs anmelden. Zum anderen lagen die Investitionen in erneuerbare Energien 2015 auf einem Rekordhoch: 330 Milliarden Dollar wurden weltweit in Solar- und Windenergie gesteckt. Dies hat mittlerweile auch Folgen für die globalen Emissionen: Diese stagnieren seit zwei Jahren, obwohl die Weltwirtschaft weiter gewachsen ist. Die »Entkoppelung« von Wachstum und CO2-Ausstoß hat begonnen, auch wenn es bis zur Klimaneutralität noch ein weiter Weg ist.

Die gigantische Unterschriftenzeremonie in New York kann den Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel nicht beeindrucken. Für ihn kommt es darauf an, wie die Länder ihre selbstgesetzten Ziele nun in die Tat umsetzen: »Das Paris-Abkommen kann für den Klimaschutz bedeutsam werden - retrospektiv.«

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