Hort der Eintracht

Der SWR stellt sich zum 70. Geburtstag gern als modern dar. Jan Freitag über Deutschlands zweitgrößte Landesrundfunkanstalt

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn zusammenwächst, was zusammengehört, wenn also zwei Komponenten verklebt werden, die sich zwar zu nah sind, um getrennt zu sein, aber doch in nächster Nachbarschaft oft fern, ist längst noch keine Wende garantiert. Jedenfalls nicht zwingend zum Guten. Irgendwie kennt man das ja von einer anderen Vereinigung. Im Herbst 1998, als der SDR mit dem SWF zu Deutschlands zweitgrößter Landesrundfunkanstalt fusionierte, hielt sich der Jubel beiderseits des Neckars in Grenzen. Die einen waren schließlich Schwaben, die mit den anderen - neben ein paar Pfälzern vorwiegend Badener - in etwa so gut konnten wie Bayern mit Franken, also tendenziell gar nicht. Der SWR: ein zwangsvereinigter Zankapfel, in wechselseitiger Verachtung erstarrter TV-Koloss von Politikers Gnaden?

Mitnichten! Zum 70. Geburtstag stellt sich der mächtige Sender mit Verwaltungssitz Stuttgart im medialen System föderaler Zwietracht als eine Art Hort der Eintracht dar: effizient, kreativ, zeitgemäß, fast modern, oft sogar einer Meinung, und das ist ein kleines Wunder angesichts der bewegten Geschichte zweier Sender im gleichen Bundesland. Die Summe des SWR nämlich, das waren neben dem oft genug offen reaktionären BR aus München lange Zeit Inbegriffe eines Biedermeier-Konservatismus ganz im Sinne Konrad Adenauers: Arbeit, Familie, Heimat und bloß keine Experimente!

Während der Süddeutsche Rundfunk, ehemals zuständig für die US-amerikanische Besatzungszone, anfangs dem ein oder anderen Sozialdemokraten Zugang zur Führungsebene gewährt hatte, verstand sich der französisch dominierte Südwestfunk spätestens seit 1965 ziemlich unverhohlen als medienpolitischer Arm der CDU. Ging es Friedrich Bischoff als Intendant des ersten deutschen Funkhauses noch durchaus um Inhalte, besonders sein heiß geliebtes Hörspiel, verstanden sich die Nachfolger, allen voran der Herz-Jesu-Konservative Willibald Hilf, gewissermaßen als Sprach- und Bildröhre der Regierungspartei in Stuttgart. Sein Kurs brachte ihm rasch den Spottnamen »Kathedrale St. Megahertz« ein, die zwar reichlich Sendezeit für Radikale vom Holocaustleugner bis hin zu Neoliberalen und Ultraklerikalen anbot, aber zusehends weniger für die Moderationslegende Franz Alt (»Report«), der es 1983 wagte, im Land der Auto- und Waffenbauer für Umweltschutz und Frieden einzutreten.

Weil das Unterhaltungsangebot zugleich zwischen Verherrlichung der eigenen Scholle und »Verstehen Sie Spaß?« verseifte, war die Fusion vor 18 Jahren auch als Rettungsboot in einem Rest gesamtdeutscher Bedeutsamkeit zu verstehen. Natürlich ist der Sender unterm ersten grünen Ministerpräsident der Republik noch immer schwarz wie Baden-Baden zur Nacht, wo der »Schwarzwaldkanal« vor 70 Jahren im Speisesaal des leerstehenden Hotels Elisabeth mit 36 Angestellten auf Sendung ging; verkrustete Strukturen halten nun mal länger als Legislaturperioden. Doch unterm Gründungsintendanten Peter Voß, mehr aber noch seinem aktuellen Nachfolger Peter Boudgoust, hat der SWR nun trotz deren CDU-Mitgliedschaft die Wende zur überparteilichen Qualität geschafft.

Der Jurist aus Mannheim verordnete dem Sender in zehn Jahren Amtszeit zwar einen rigiden Sparkurs, allerdings eher zulasten von Vetternwirtschaft und Radioangebot, weniger des Fernsehprogramms, mit dem der SWR dramaturgisch oft ebenso Maßstäbe setzt wie mit den Kulturkanälen Arte und 3sat, für die der Sender federführend ist. Dafür stehen herausragende TV-Filme wie zuletzt Christian Schwochows erschütternd realistischer Auftakt zur NSU-Trilogie »Mitten in Deutschland«, transmediale Experimente wie das Science-Fiction-Projekt »Alpha 0.7« und der Dokumentarist Daniel Harrich, dessen Werke über Waffenhändler oder das Oktoberfest-Attentat zu den Glanzstücken investigativer Fiktion zählen. Und da ist noch nicht mal die Rede von der Pionierarbeit des SWR für den Nachwuchs, der schon seit 1985 mit einer eigenen Reihe im Dritten gefördert wird und dabei Regisseure von Andreas Dresen über Aelrun Goette bis Sönke Wortmann hervorgebracht hat. Auch wenn gerade das Regionalprogramm wie gewohnt vor kritikloser Heimatduselei überquillt - manchmal wächst doch zusammen, was scheinbar gar nicht zueinander passt: Tradition und Moderne.

Jan Freitag, Jahrgang 1970, ist Autor des »nd«.

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