Zu klein und zerstritten

Ein neuer Doppelband versammelt Debatten der Autonomen Antifa aus den vergangenen zehn Jahren

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 6 Min.
Turbulente Zeiten: Die gesellschaftlichen Krisenerscheinungen machen auch vor der Antifa nicht Halt.
Turbulente Zeiten: Die gesellschaftlichen Krisenerscheinungen machen auch vor der Antifa nicht Halt.

Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die AfD bundesweit zur zweitstärksten Partei, in manchen Bundesländern ist sie nach Umfrageergebnissen sogar auf den ersten Platz gerückt. Gleichzeitig ist die antifaschistische Bewegung in vielen Fragen zerstritten und oft an den Rand gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit gedrängt. Diese Diagnose teilen zahlreiche Beiträge der »Antifa-Debatten« der vergangenen zehn Jahre aus Zeitschriften und Online-Portalen, die nun dokumentiert in zwei Bänden vorliegen. »Die dort geführten Diskussionen und Einschätzungen zum drohenden Faschismus, zu Repression, zum Stand antifaschistischer Bewegung wollen wir uns hier genauer anschauen«, heißt es im Vorwort der anonymen Herausgeber*innen vom Immergrün-Verlag zum Projekt der Bände.

Es ist in der Tat sinnvoll, sich die Debatten der vergangenen Jahre mit genauem und auch mit kritischem Blick anzuschauen, auch wenn die dokumentierten Texte nur einen Teilbereich des autonomen Antifaschismus abdecken. Es geht dabei um jenen Teil der Antifa-Bewegung, der sich unabhängig von Staat, Parteien, Gewerkschaften und größeren linken Organisationen organisiert hat. Deswegen sind auch kaum Texte von außerparlamentarischen Bündnissen wie der Interventionistischen Linken und dem Ums-Ganze-Bündnis in den Büchern vertreten.

Organisation und Kriminalisierung

Die über 100 dokumentierten Texte von unterschiedlicher Länge sind thematisch gegliedert, der erste Themenkomplex dreht sich um die Faschisierung in Deutschland und der EU. Ein wichtiger Streitpunkt in den Papieren ist die Frage, wie breit die Bündnisse sein sollen, wenn eine Faschisierung der Gesellschaft droht. Doch ist es überhaupt richtig von Faschisierung zu reden, wenn doch bürgerliche Politik immer auch repressiv und ausgrenzend ist? Auch zu dieser Frage gibt es in den Texten unterschiedliche Antworten. Nicht anders ist es, wenn es um den Stand der Bewegung und antifaschistische Strategiedebatten geht. Meistens sind sich die Schreiber*innen nur in dem einen Punkt einig, dass man zu klein und zerstritten ist. Die in vielen Texten zu findende Forderung, doch nun endlich das Trennende zu überwinden, richtet sich in der Regel immer an die anderen Diskussionspartner*innen. Da nicht wenige der Texte anonym oder mit Alias-Namen unterschrieben sind, muss offen bleiben, ob hinter den Forderungen mehr als die Verfasser*innen stehen.

Ein großer Block der Beiträge widmet sich der Kriminalisierung von Antifaschismus, schließlich sind in Deutschland so viele Antifaschist*innen inhaftiert wie lange nicht mehr. Das Antifa-Ost-Verfahren und der Budapest-Komplex zwingen Antifaschist*innen dazu, sich mit möglicherweise langen Gefängnisstrafen auseinanderzusetzen. Maja, die gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs nach Ungarn deportiert wurde, ist besonders von Repression betroffen. Im Sommer 2025 kämpfte sie mit einen Hungerstreik dagegen an. Zu ihrer Unterstützung gab es in verschiedenen Städten Solidaritätsaktionen. Majas Vater engagierte sich mit einem Protestmarsch von Jena nach Berlin und von Dresden nach Budapest für eine Freilassung.

Ein wichtiger Streitpunkt ist die Frage, wie breit die Bündnisse sein sollen, wenn die Faschisierungder Gesellschaft droht.

Um die nicht immer einfache Kooperation zwischen Angehörigen der Inhaftierten und der Antifa-Bewegung geht es in einem ausführlicheren Text aus Jena in dem Doppelband. Die Verfasser*innen plädieren für eine enge Zusammenarbeit zwischen Antifa-Gruppen und Angehörigen der von Repression Betroffenen. In dem Text wird aber auch deutlich, wie viel historisches Wissen der radikalen Linken verloren gegangen ist. So heißt es dort: »Ältere Mitstreiter*innen aus der DDR-Opposition oder der westdeutschen radikalen Linken sagten uns, dass es zu ihren Zeiten wenig Solidarität aus den Elternhäusern gab.«

Dabei wird vergessen, dass es in der BRD seit den 70er Jahren eine sehr aktive Angehörigengruppe gab. In dieser fanden sich Verwandte von Menschen zusammen, die im Zusammenhang mit linken Aktivitäten inhaftiert worden waren. Diese Angehörigengruppe protestierte über viele Jahre gegen die Haftbedingungen ihrer Söhne, Töchter oder Geschwister und stellte auch die Repressionsmaßnahmen insgesamt infrage. Sie gab über viele Jahre sogar eine eigene Publikation, die »Angehörigeninfo« heraus, die heutzutage unter dem Namen »Gefangeneninfo« weiter existiert. Wenn aktive Linke mittlerweile davon nichts mehr wissen, ist das auch ein Zeichen dafür, wie schlecht linke Geschichte vermittelt wurde.

Historisches Wissen

In den beiden Bänden findet sich auf knapp 50 Seiten ein historischer Exkurs. Es handelt sich dabei um Texte aus den Jahren 1929 bis 1937, vor allem aus anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenhängen, die sich mit der Faschisierung in Deutschland beschäftigten. Besonders interessant ist dabei der Bericht über eine Landagitation von Anarchosyndikalist*innen im Sauerland in den späten 1920er und frühen 30er Jahren. Angesichts der oft rechtsoffenen Proteste von Bäuer*innen in den vergangenen Jahren gibt es hier einige Anknüpfungspunkte für die Gegenwart.

Etwas verwunderlich ist, dass die Herausgeber*innen in der Einleitung zu dem kurzen historischen Block eine Art Triggerwarnung in Bezug auf den kommunistischen Widerstand voranstellen: »Wir möchten hier auch darauf hinweisen, dass wir mit einigen der Dogmen und Zuschreibungen ganz und gar nicht einverstanden sind.« Dabei ist doch klar, dass es sich um Positionen von linken Gruppen vor fast 100 Jahren handelt, die auch aus den damaligen linken Diskussionen erklärbar sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch viele Zuschreibungen in den aktuellen Texten in einigen Jahrzehnten als fragwürdig erscheinen werden.

Angesichts der Fülle der dokumentierten Texte kann hier nur auf wenige eingegangen werden. Allerdings drehen sich manche der von anarchistischen Blättchen oder Webseiten übernommenen anonymen Beiträge vor allem um autonome Befindlichkeiten und tragen wenig zur Debatte über antifaschistische Theorie und Praxis bei.

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Warum musste in eine Textsammlung ein Beitrag aufgenommen werden, der sich mit der Frage befasst, ob Anarchist*innen überhaupt noch Demonstrationen anmelden sollten, die aber keinen direkten Antifa-Bezug haben? Zumindest naiv ist, wenn in einem anonymen Beitrag beschrieben wird, wie ein Unbekannter am Rande einer antirassistischen Protestaktion nach dem rassistischen Anschlag von Hanau im Februar 2020 in Berlin angeblich scherzhaft Demonstrationsteilnehmer*innen fragte, ob sie Waffen brauchen, und die Angesprochenen sich dann darüber tatsächlich Gedanken machen.

Aus dem Scheitern lernen

An solchen Stellen fehlt ein Hinweis, dass in den 70er Jahren Agent Provocateurs des Verfassungsschutzes nachweislich linke Bewegungen kriminalisierten, indem sie am Rande von Demonstrationen Waffen anboten. Auch hier wird wieder deutlich, wie viel linkes Wissen verloren gegangen ist. Diese Lücke kann die Textsammlung nicht schließen. Aber sie dokumentiert sehr gut den desolaten Zustand der antifaschistischen Bewegung in Deutschland. Da gehören die Befindlichkeitstexte eben dazu.

Daneben finden sich in den Bänden sehr informative Texte, beispielsweise über antifaschistische Kaffeefahrten in die sächsische Provinz im Jahr 2022. Auch der Beitrag der Antifa Falkensee über den schwierigen, aber nicht aussichtslosen Widerstand gegen Rechte in der Brandenburger Provinz wäre hier zu nennen. An solche Texte kann man theoretisch und praktisch gut anknüpfen. Davon hätte man sich in der Sammlung mehr gewünscht.

Viele der Beiträge enden mit dem Wunsch, sie sollten zu einer Diskussion beitragen. Die beiden Bände könnten bestenfalls eine solche Debatte über Perspektiven antifaschistischer Theorie und Praxis anstoßen. Sie könnten aber auch aufzeigen, woran solche Debatten immer wieder scheitern und warum sie an ihre Grenzen stoßen.

Anonym (Hg.): Bis alle frei sind. Antifa-Debatten zu Staat, Patriarchat und drohendem Faschismus. Zwei Bände. Verlag Immergrün, 913 S., br., 28 €.

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