»Edward Snowden: ein moderner Held«

Jean-Michel Jarre über seinen jüngsten Coup

  • Lesedauer: 4 Min.
Für einen Track seines am 6. Mai erscheinenden Albums »Electronica 2« gelang es dem französischen Techno-Pionier Jean-Michel Jarre (67), Edward Snowden zur Zusammenarbeit zu gewinnen. Darüber spricht er im »nd«-Interview.

Monsieur Jarre, auf Ihrem neuen Album »Electronica 2 - The Heart of Noise« haben Sie mit vielen namhaften Künstlern zusammengearbeitet. Doch mit der Verpflichtung des sogenannten Whistleblowers Edward Snowden, dem einzigen Nicht-Musiker in diesem illustren Kreis, ist Ihnen ein wahrer Coup gelungen. Wie kam die Kooperation beim Techno-Track »Exit« zustande?

Ich war vor einigen Wochen in Moskau und habe ihn dort besucht. Der Kontakt kam über die Zeitung »The Guardian« zustande. Wir leben heute in einer Welt, wo nicht wir, sondern die Smartphones uns zu beherrschen scheinen. Doch auch die können - wie wir jetzt vor allem durch Edward Snowden wissen - von außen abgehört werden. Die Privatsphäre scheint in der Auflösung zu sein. Man muss sich regelrecht Nischen für sie erkämpfen.

Jean-Michel Jarre

Der Musiker, Komponist und Musikproduzent Jean-Michel Jarre schuf zunächst Filmmusik, ehe er mit seinen Synthesizer-Alben »Oxygène« (1976) und »Equinoxe (1978«) zur Popmusik-Legende wurde.

In Multimedia-Spektakeln visualisierte er zudem seine elektronische Musik. Für einen Track seines neuen Werks »Electronica 2 – The Heart of Sound«, das am 6. Mai erscheint, gelang es dem 67-jährigen Franzosen, den Whistleblower Edward Snowden zur Zusammenarbeit zu gewinnen.

Marc Hairapetian sprach mit Jean-Michel Jarre über diese ungewöhnliche Kooperation.

Als ich das erste Mal von Edward Snowden hörte, wurde ich seltsamerweise an meine Mutter Francette Pejo erinnert. Sie spielte sehr früh eine tragende Rolle in der Résistance. Doch 1941 waren die meisten Leute in Frankreich noch gar nicht für den Widerstand gegen die Nazis bereit. Sie fanden, die Résistance sei gefährlich für die eigene Gesellschaft! Auch heute können Großteile der westlichen Gesellschaft eine Reizfigur wie Edward Snowdon nicht tolerieren. Das finde ich falsch. Er sagte nicht »Stoppt die Technologie!«, sondern »Seid vorsichtig im Umgang mit ihr!«. Das ist ein himmelweiter Unterschied! Er möchte einfach nicht, dass wir alle im Überwachungsstaat enden. Und das möchten wir doch auch nicht, oder? Mutig wendet er sich gegen Populisten wie Donald Trump, der hoffentlich niemals Präsident der USA wird. Für mich ist Edward Snowden wirklich ein moderner Held!

War die Zusammenarbeit mit dem »modernen Helden« einfach? Bisher hatte er alle Künstleranfragen abgelehnt ...

Er liebt einfach elektronische Musik, die ihm schon, als er als Kind nach Computerspielen fast süchtig war, eine wichtige Inspiration war. Es ehrt mich sehr, dass er mir den Zuschlag gab. Er hat verstanden, dass meine fünfjährige Reise rund um die Welt, um Musiker verschiedener Generationen für mein »Electronica«-Projekt zu gewinnen, nicht nur kommerziellen Charakter hat, sondern etwas bewegen will: das Zusammenrücken von Menschen, die sich vielleicht nicht nur im künstlerischen Sinn vorher etwas voneinander abgegrenzt haben. Als er erst einmal »ja« gesagt hatte, war es ganz einfach mit ihm. Wir führten ein ähnlich intensives Gespräch miteinander wie wir beide es gerade tun. Und er sagte mir wörtlich, dass er sich als Ingenieur niemals selbst als »coole« Person empfunden habe, die sogar mal später einen ziemlich rabiaten Techno-Track aufnehmen würde.

Haben Sie auch darüber nachgedacht, vielleicht einmal ein elektronisches Requiem für die Opfer der Terroranschläge in Paris und Brüssel aufzunehmen?

In der Tat wollte ich nach dem Terroranschlag in Paris spontan ein Stück namens »The Night of the Bataclan Club« komponieren, doch ich werde wohl noch etwas Zeit dafür brauchen. Es sind damals Freunde von mir und deren Verwandte gestorben - und ich muss das erst richtig verarbeiten. Somit sind Konzerte die beste Antwort auf die barbarischen Leute, die tatsächlich glauben, mit Terrorismus die Welt in positiver Hinsicht verändern zu können. Meine Zusammenarbeit mit Edward Sowden soll auch eine Anregung sein, dass mein Publikum weiterhin weltweit den Regierungen auf die Finger schaut, aber in einem friedlichen Sinn.

Wird es nach »Electronica 1 & 2« auch Volume 3 geben?

An sich würde es mich reizen, an dem Konzept eines niemals endenden Albums weiterzuarbeiten, doch jetzt konzentriere und freue ich mich erst einmal auf meine Tournee, die mich im Oktober auch nach Deutschland führen wird, wo ich ein sehr treues Publikum habe.

Sie gelten als Workaholic. Können Sie sich überhaupt noch mit Musik entspannen?

Mitunter ist das wirklich schwierig, aber Sie werden lachen. Das 46-minütige Stück »Waiting for Costeau« habe ich 1990 ganz allein für mich komponiert, um einfach zu relaxen und mal runterzukommen. Das gelingt mir sonst nicht, wenn ich komponiere, geschweige denn Musik höre. Es kam bei den Hörern meines dem Meeresforscher Jacques-Yves Costeau gewidmeten Tonträgers so gut an, dass ich seit geraumer Zeit auch Auszüge daraus zu Beginn meiner Konzerte spiele, damit sie sich das Publikum entspannen kann, bevor das Spektakel losgeht.

Jean-Michel-Jarres »Electronica World Tour« führt ihn im Oktober und November auch nach Deutschland, u. a. zum Auftakt am 16. Oktober nach Frankfurt am Main (Festhalle), am 20. Oktober nach Berlin (Mercedes-Benz Arena) und zum Abschluss am 21. November nach Münster (Münsterlandhalle).

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