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Der Hass auf die Unterschicht

Die ZDFneo-Sendung »Blockbustaz« präsentiert sich als humorvolle Milieustudie, ist aber ein zutiefst inhumanes Format

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit einem Zuschauerrekord für den Sender ging in dieser Woche die erste Staffel der ZDFneo-Sitcom »Blockbustaz« zu Ende. Selten gab es im deutschen Fernsehen eine Serie, die derart offen die sogenannte Unterschicht verachtet.

Wir haben es doch immer gewusst. In Deutschland gibt es keine Armut im Portemonnaie, sondern nur eine Armut des Geistes. Schließlich lässt sich diese verwahrloste Unterschichtenbande rotzfrech mit Steuergeldern mästen und gönnt sich in der gemütlichen sozialen Hängematte vor dem überdimensionierten Plasmafernseher ein faules Leben mit Dosensekt, Billigbier und Monsterpizza.

Wer meint, solcher Schmonzes ließe sich nur am rechts angehauchten Stammtisch oder bei den Boulevard-Tätern von »Bild« aufschnappen, täuscht sich. Seit einigen Wochen läuft im öffentlich-rechtlichen »ZDFneo« die Sitcom »Blockbustaz«, deren erste Staffel in dieser Woche nach sechs Folgen mit einem neuen Zuschauerrekord für den Spartensender zu Ende ging.

Der Plot ist schnell erzählt: Protagonist Sol (gespielt von Eko Fresh) lebt im Plattenbau in einem Kölner »Problembezirk«. Er träumt von einer Karriere als Rapper, verdingt sich aber lieber als Couch Potatoe und verzockt ständig seine Kohle in der Pizzabude des gerissenen Hardy (Ferris MC). Sols Freundin Jessica (Joyce Ilg) ist die Aufstiegswillige: Sie verdient ihr Geld am Burgergrill und versucht, sich um ihre beiden kleineren Geschwister zu kümmern, während ihr Vater Ronald (Andreas Hoppe) sämtliches Geld für die Schulbücher seiner Kinder versäuft.

Laut Eigenwerbung »beweist der Comedy-erfahrene Regisseur Jan Markus Linhof sicheres Gespür für Situationskomik und Timing«. Ein Autor des »nd« lobte die Sendung als »heiteres Unterschichtenporträt«, die »Zeit« schreibt anerkennend von einer »aufgedrehten Milieudraufsicht«, die »Münchener Abendzeitung« erfreut sich an der »Ghetto-Sitcom mit Kult-Potenzial« und die »Welt« goutiert den Versuch eines »humorvollen Blicks auf die Welt von Sozialhilfe, Kindervernachlässigung und Drogenabhängigkeit«.

Feuer frei für die klassendiskriminierende Kalauerkanone!

Was das Drehbuchautorenteam um Niklas Hoffmann unter Humor versteht, sieht dann in den einzelnen Folgen so aus: Der nach dem Motto »Der Klügere kippt nach« lebende Vater verpfändet seinen Sohn, um seine Schnapsschulden in der Spelunke bezahlen zu können. Bei der rassistischen Nachbarin hängt ein Hitler-Bild an der Wand. Sol will sich vor Arbeit drücken und versucht, seine Sachbearbeiterin beim Jobcenter übers Ohr zu hauen. Auf dem Hausdach wird Gras angebaut. Und das Bällebad bei Ikea fungiert als Kita.

Auch äußerlich sind die Figuren gnadenlos stereotypisiert: Sol sieht stets aus wie ein aufgescheuchter Hund und bedient das rassistische Klischee vom kleinkriminellen Ghettomigranten, Hardy wirkt wie ein abgehalfterter Zuhälterkönig und Ronald kommt daher wie ein stinkender Obdachloser. Mit diesem Ensemble feuert die Sendung volles Rohr aus der klassendiskriminierenden Kalauerkanone oder, wie es bei »Spiegel Online« überraschend scharfzüngig heißt: Die Sendung »tritt nicht einfach nur nach unten, sondern schubst ihre Figuren aus dem 16. Stock und schlägt dann noch einmal mit Baseballschlägern drauf«.

Wenn der Werbetext behauptet, die Sendung erzähle »von den größeren und kleineren Alltagsproblemen seiner schrägen Antihelden«, lässt das nur den Schluss zu: »Blockbustaz« versteht sich allen Ernstes als Satire. Eines haben sie bei »ZDFneo« dabei aber nicht verstanden: Es geht guter Satire nie um das beliebige Austeilen gegen alle Seiten, sondern – das hat Kurt Tucholsky schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts klargestellt – darum, »dem dicken Kraken an den Leib zu gehen« und die Mächtigen anzugreifen.

Dass »Blockbustaz« ein echter Publikumsrenner und die zweite Staffel bereits angekündigt ist, verwundert dennoch nicht. Denn der sich als Jux tarnende Hass auf die Unterschicht ist gesellschaftlich in dieser Form erst seit gut 13 Jahren hoffähig. Dass im deutschen Fernsehen eine solche Serie in den 90er Jahren hätte ausgestrahlt werden können, darf darum mit gutem Recht bezweifelt werden.

Als Margaret Thatcher 1979 in Großbritannien an die Macht kam, begann dort eine beispiellose Ära der Demontage aller Organisationen und Errungenschaften der Arbeiterklasse, im Zuge derer sich die Hetze gegen Gewerkschaften und Arme zum guten Ton entwickelte. Mit der durch die rot-grüne Bundesregierung ab 2003 initiierten »Agenda 2010«, die den deutschen Sozialstaat in gleicher Weise beseitigen sollte, setzte auch in Deutschland eine bis heute nicht verstummte Unterschichtendebatte ein.

Die Angst vor dem sozialen Absturz weglachen

Seitdem gilt: Wenn jemand nicht von seinem Einkommen leben kann, ist er selbst schuld, liegt diesem Verständnis nach der Gemeinschaft auf der Tasche und verdient es, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, wie es etwa im Jahr 2010 mit dem Langzeiterwerbslosen Arno Dübel geschehen ist, der von »Bild« als »Deutschlands frechster Arbeitsloser« monatelang verächtlich über den Boulevard gezogen wurde. Wo es vorher eine Mitverantwortung für in Not geratene Menschen gab, gelten jetzt fast alle Formen des Transferleistungsempfangs als asozial.

Der sich im Spott äußernde Hass auf »die da unten« wird zu einer Projektionsfläche der Antipathie gegen all jene, die Angst vor ihrem eigenen sozialen Absturz verspüren, der in Zeiten des ausufernden Neoliberalismus für fast alle zur Gefahr geworden ist. Jede Beanspruchung der öffentlichen Finanzen durch wenig Privilegierte soll in dieser Welt vor allem von der Mittelschicht als Affront gegen die eigenen Lebenschancen interpretiert werden.

Genau darum funktioniert »Blockbustaz« so gut. Wenn mit Jessica die einzige wirklich sympathisch dargestellte Figur bürgerlichen Idealen nacheifert und ihr auf dem Weg ins soziale Oben durch den Alkoholikervater oder den Marihuanamacker ständig Steine in den Weg gelegt werden, dann nimmt die Serie die hegemoniale Erzählung über die Armut unserer Tage auf: Nicht die gesellschaftlichen Strukturen bedingen demnach die steigende Ungleichheit, es ist vielmehr die selbst gewählte »Kultur der Unterschicht«, die soziale Aufstiege blockiert.

»Blockbustaz« ist ein zutiefst inhumanes Format, das ausgerechnet diejenigen zu Sündenböcken erklärt, die an dieser Gesellschaft ohnehin schon am meisten zu leiden haben. Die Sitcom versteckt sich hinter dem harmlos anmutenden Mittel des Humors, hetzt damit aber zur Quotenmaximierung die umgarnte Mittelschicht auf die hemmungslos verzerrt dargestellte Sozialfigur der Unterschicht.

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