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Die hohe Kunst der Verwandlung

Von kauzigen Mimen, ignoranten Kritikern und einer unerfüllten Liebe

  • Lesedauer: 3 Min.

Sie wurde als fünftes Kind eines Bäckermeisters in Schwabing geboren. Obwohl ihre Eltern, deren Vorfahren aus Italien stammten, täglich hart arbeiteten, war ihre Kindheit von Armut geprägt. Zusätzlich litt sie unter dem Spott der Nachbarskinder, die ihr auf der Straße nachriefen: »Na Italiano, lebst a no?«

In der Volksschule gehörte sie zu den besten Schülerinnen ihres Jahrgangs. Gern wäre sie Lehrerin geworden. Doch ihr Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen machte sie auf Anraten ihrer Eltern eine Ausbildung als Textilverkäuferin und arbeitete anschließend in der Kurzwarenabteilung des Kaufhauses von Hermann Tietz, das später unter dem Namen »Hertie« bekannt wurde.

Viel Freude fand sie an dieser Tätigkeit allerdings nicht. Denn ihre heimliche Liebe galt der Musik und dem Theater. Sie spielte mehrere Instrumente und besaß eine ansprechende Stimme. Mit 17 Jahren stand sie zum ersten Mal auf den »Brettern, die die Welt bedeuten«. Und zwar in einem Wirtshaus, in dem sie als Jodlerin, Chorsängerin und Soubrette auftrat. Tagsüber, wenn im Geschäft wenig zu tun war, lernte sie ihre Rollen. Nach Ladenschluss eilte sie zu ihrem neuen Nebenberuf. »Die Männer sind treu, von eins bis drei«, trällerte sie von der Bühne, und das Publikum belohnte sie dafür mit Beifall.

Irgendwann wurde ihr die Doppelbelastung zu viel. Zum Ärger ihres Vaters kündigte sie ihre sichere Stelle als Verkäuferin und widmete sich ganz dem Theater. Sie trat in Einaktern und Bauernkomödien auf, war aber auch als Marguerite Gautier in der »Kameliendame« auf der Bühne zu sehen.

Während dieser Zeit besuchte ein etwas merkwürdig aussehender Mann ihre Vorstellung, der sich bis dahin mit eher mäßigem Erfolg auf einigen deutschen Bühnen als Solist versucht hatte. »Sie, Fräulein, Sie sind als Soubrette aufgetreten«, sprach er sie an. »Des is nix. Eine Soubrette muss kess sein, sie muss an Busen haben. Des is nix für Sie. Sie müssen sich aufs Komische verlegen.« Es dauerte nicht lange, dann war auch sie davon überzeugt. Sie wurde die kongeniale Bühnenpartnerin des Mannes, der sie so freimütig angesprochen hatte. Zuvor jedoch musste sie ihren italienischen Familiennamen Wellano ablegen, weil der, so ihr Partner, nicht nach Theater, sondern nach einer Trapeznummer klinge.

Auf der Bühne parodierte sie fortan die unterschiedlichsten Typen: einen Schusterbuben, einen Firmling, eine Schallplattenverkäuferin, einen Kapellmeister. Namentlich in ihren »Hosenrollen« war sie so überzeugend, dass viele Zuschauer sie tatsächlich für einen Mann hielten. Von manchen Frauen aus dem Publikum bekam sie sogar Heiratsanträge. Obwohl sie einige Stücke selbst schrieb, zeigten sich die Theaterkritiker von ihrer künstlerischen Leistung kaum beeindruckt.

Mit 38 Jahren nahm sie erstmals Schauspielunterricht und trat anschließend auch ohne ihren Partner auf, der verheiratet und überdies ihr Geliebter war. Als er sich um eine jüngere Darstellerin bemühte, sprang sie verzweifelt in die Isar. Nach ihrer Rettung verbrachte sie zwei Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Zwar arbeitete sie danach weiter mit ihrem früheren Partner zusammen, doch sie fand zu ihm kein Vertrauen mehr, so dass beide sich schließlich trennten.

Während des Zweiten Weltkriegs lebte sie vorübergehend auf einer Tiroler Alm und pflegte dort als »Gefreiter Gustl« die Mulis der Gebirgsjäger. Nach dem Krieg war sie vor allem für den Rundfunk, später auch für das Fernsehen tätig.

Ihre Vielseitigkeit und Verwandlungsfähigkeit wurden indes kaum noch gefordert. In Unterhaltungsfilmen spielte sie vornehmlich Hausfrauen und Mütter, nur auf der Theaterbühne konnte sie in ernsten Rollen ihr wahres Können zeigen. Als sie zur Erholung von der Arbeit einen Ausflug ins Gebirge unternahm, erlitt sie eine Gehirnblutung, an deren Folgen sie starb. Sie wurde 67 Jahre alt.

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