Politische Punkte wurden nicht erfüllt

Russland sieht sich als Teil der Lösung

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Moskau stützt die Maximalforderungen der Separatisten und bedauert den Bruch der Vereinbarung mit Präsident Janukowitsch von 2014.

Internationales Krisenmanagement sei höhere Mathematik, behauptet ein russischer Diplomat. »Erinnern Sie sich noch an die Extremwertaufgaben, mit denen wir in der elften Klasse gepiesackt wurden? Selbst wenn man rein rechnerisch alles richtig gemacht hatte: Die Gleichung ging nicht auf, wenn die Formel für den Lösungsansatz falsch war.« Die Tragik der Ukraine-Krise, glaubt der Mann, liege darin, dass der damalige Ansatz richtig war, er jedoch verworfen wurde.

Gemeint ist jener Kompromiss, den Deutschland und Frankreich Ende Februar 2014 zwischen dem damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und dessen Gegnern vermittelten: Diese verzichten auf Gewalt, die Macht stimmt einer Reform der Verfassung zu, die den Regionen mehr Autonomie gibt und per Referendum bestätigt wird, anschließend finden Neuwahlen statt.

Präsident Janukowitsch hatte im November 2013 überraschend die Unterschrift unter ein Assoziierungsabkommen mit der EU verweigert. In der Westukraine und in der Hauptstadt kam es daraufhin zu Massenprotesten. Sie - vor allem der Kiewer Euro-Maidan - eskalierten bald zu Straßenschlachten mit Ordnungskräften. Die überwiegend russischsprachigen Regionen im Südosten konterten mit einem Anti-Maidan und forderten Föderalisierung - Umformatierung der Ukraine zu einem Bundesstaat.

Russland begrüßte den Kompromiss ausdrücklich. Moskau, sagt der Diplomat, hätte daher erwartet, dass die Vermittler die Vertragsbrecher zur Ordnungen rufen. Denn nicht einmal 24 Stunden später schufen radikale ukrainische Nationalisten - Moskau sprach von »Faschisten«, die von Washington gesteuert würden - vollendete Tatsachen und zwangen Janukowitsch zur Flucht.

Kremlchef Wladimir Putin und Außenminister Sergei Lawrow sprachen von einem »Staatsstreich«, bei dem der Westen im Hintergrund die Fäden zog. Sie warnten vor den Folgen und behielten Recht. Kurz danach spaltete sich die Krim ab, dann erklärten sich die Regionen Donezk und Lugansk zu souveränen Volksrepubliken.

Westliche Vorwürfe, Moskau habe die Separatisten militärisch unterstützt, weisen Kreml und Außenamt zurück. Russland sei nicht Teil des Konflikts. Russland sei Teil der Lösung, sagt der Diplomat und meint die Verhandlungen im »Normandie-Format« und den Minsker Friedensplan, auf den sich die Konfliktparteien - Kiew und Separatisten - unter Aufsicht der Vermittler Russland, Deutschland und Frankreich 2015 einigten.

Zu den Eckpunkten gehören Kommunalwahlen in den Rebellenregionen. Sie sollten schon vorigen Herbst, dann im Februar 2016 stattfinden. Dass es bis heute keinen konkreten Termin gibt, lasten Moskau und die Separatisten Kiew an. Die Ukraine habe wichtige politische Punkte des Minsk-2-Abkommens bisher nicht vollständig erfüllt. Dazu zählen neben Garantien, dass Teilnehmer der Wahlen nicht verfolgt und bestraft werden dürfen, Konsultationen der Zentralregierung mit den »Volksrepubliken« über Änderungen der ukrainischen Verfassung, die Art und Umfang der Autonomie regeln.

Moskau unterstützt dabei die Maximalforderungen der Separatisten, die faktisch auf eine Föderation, womöglich sogar eine Konföderation hinauslaufen. Denn die so genannten Volksrepubliken verlangen ein Vetorecht bei allen politischen Entscheidungen.

Ihr Russland-Beitritt nach dem Beispiel der Krim stehe dabei nicht auf Moskaus Agenda, glauben selbst kritische Beobachter wie der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer. Statt auf Annexion setze Moskau auf Chaos, durch das die Ukraine aufhört, als Staat zu bestehen. Damit solle nicht nur deren Westintegration, sondern vor allem verhindert werden, dass die NATO ihre militärische Infrastruktur auch an Russlands sensibler Südwestflanke - vor allem im Schwarzen Meer - in Stellung bringt. Diese Befürchtungen seien auch beim Umgang mit der Krimkrise für Moskau entscheidend gewesen.

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