Kampfansage an Kopflosigkeit

Wissenschaftler gehen islamophoben Angriffen und Haltungen künftig systematisch auf den Grund

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Islamophobie ist schwer messbar. Taten mit entsprechender Motivation weisen eine hohe Dunkelziffer auf. Wissenschaftler aus 25 Ländern wollen diese nun beleuchten.

Schon lange vor Baubeginn war die Ahmadiyya-Gemeinde auf lokale Behörden zugegangen. Bei Bürgerversammlungen hatten ihre Vertreter versucht, Vorbehalte von Anwohnern abzubauen. Mit öffentlichen Aktionen warb die Gemeinde, die ohnehin als liberal gilt, für einen reformorientierten, friedlichen Islam. Es nützte nichts. Anfang des Jahres lag ein totes Schwein neben der Moscheebaustelle. Nicht zum ersten Mal.

75 solcher Angriffe auf Moscheen im Leipziger Stadtteil Gohlis hat das Bundeskriminalamt allein für das Jahr 2015 gezählt. Islamverbände und Antirassismusinitiativen befürchten, dass die Dunkelziffer noch viel höher sein könnte. Licht ins Dunkel soll nun ein Bericht bringen, der Anfang des Monats vor dem EU-Parlament vorgestellt wurde. Im »European Islamophobia Report« geben 37 Wissenschaftler Einblick in das Ausmaß europäischer Islamfeindlichkeit.

»Es gab in der Vergangenheit eine Reihe guter Berichte zu Islamophobie, jedoch nur sporadisch und wenige Länder betreffend«, sagt Farid Hafez. Zusammen mit seinem Kollegen Enes Bayraklı von der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul hat der Politikwissenschaftler von der Uni Salzburg die Studie initiiert. Die aus 25 Länderberichten bestehende Studie soll von nun an jährlich erscheinen und »eine neue Grundlage zur Diskussion über Islamfeindlichkeit in Europa schaffen«, sagt Hafez.

Vor allem infolge der sogenannten Flüchtlingskrise und terroristischer Anschläge in Frankreich hätten Übergriffe auf und das Verbreiten von Stereotypen gegenüber Muslimen zugenommen, schreiben die Autoren der Studie. Islamfeindliche Angriffe in Frankreich hätten sich beispielsweise verfünffacht. In vielen Ländern zeigten Umfragen, dass mittlerweile eine Mehrheit der Bevölkerung Muslimen feindlich gegenüberstehe.

Für Deutschland listen die Wissenschaftler neben islamfeindlichen Straftaten wie Übergriffen auf Moscheen auch die Pegida-Aufmärsche, den Messerangriff auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reger oder die Verbreitung islamophober Klischees in Medien infolge der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht auf.

Als Teil des Problems benennt die Studie allerdings nicht nur rechte Fremdenfeinde, sondern auch die Ignoranz des Staates. »Einer der schwierigsten Aspekte bezüglich der Entwicklung von Islamophobie ist das anhaltende Fehlen von zuverlässigen und flächendeckenden Daten von islamphobischen Vorfällen in Deutschland«, heißt es in der Studie. Der Grund: In Deutschland wie auch in vielen anderen europäischen Ländern werden islamfeindliche Straftaten nicht gesondert polizeilich erfasst. Wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion letzte Woche ergab, soll sich zumindest dies ab 2017 ändern.

Und noch ein Phänomen, das man in Deutschland vor allem aus den östlichen Bundesländern kennt, ist den Wissenschaftlern aufgefallen: Um gegen Muslime Stimmung zu machen, bedarf es im Zweifel gar keiner Muslime. Ähnlich wie in Sachsen sei auch in osteuropäischen Ländern mit verschwindend geringem muslimischen Bevölkerungsanteil wie Litauen, Polen oder Slowenien Islamophobie ein »erfolgreiches Werkzeug, um Menschen zu mobilisieren«.

Gerade wurde im sächsischen Chemnitz der Versuch gestoppt, eine Moschee zu bauen. Der lokale Stadtrat blockiert das Vorhaben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal