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Langsam schwindet die Hoffnung

Sorja Luhansk ist heimatlos, und doch die Sensationsmannschaft im ukrainischen Fußball

  • Denis Trubetskoy, Lviv
  • Lesedauer: 4 Min.
Trotz des Krieges in der Heimat wurde Sorja Luhansk wieder zum Überraschungsteam der ukrainischen Fußballsaison. Am Samstag trafen sich Luhansk und Nachbar Donezk in einem speziellen Pokalfinale.

Am vergangenen Samstag erlebte die Ukraine ein ganz besonderes Pokalfinale. Statt des üblichen Treffens zwischen Schachtjor Donezk und Dynamo Kiew spielten Schachtjor und Sorja Luhansk, ein anderer Verein aus dem immer noch umkämpften Donbass, gegeneinander. Während das reiche Team aus Donezk trotz aller Probleme auf europäischem Spitzenniveau bleibt und noch vor einigen Wochen im Halbfinale der Europa League stand, wurde der klare Außenseiter aus Luhansk im zweiten Jahr in Folge zur Sensation der ukrainischen Liga. Und so war es keine Überraschung, dass sich die Mehrheit der rund 20 000 Zuschauer, die sich beim Finale im westukrainischen Lviv versammelten, eher auf die Seite von Sorja schlug - obwohl Schachtjor seit zwei Jahren die meisten Heimspiele in Lviv austrägt.

Luhansk konnte erneut mit gutem angriffslustigen Fußball überzeugen, der Sorja so erfolgreich macht. Doch Schachtjor war für die Luhansker erwartungsgemäß ein bisschen zu stark: Durch zwei Tore von Oleksandr Gladkij gewann Donezk mal wieder den ukrainischen Pokal.

Eigentlich liegen die glorreichen Zeiten von Luhansk weit zurück. Im Jahr 1972 schaffte Sorja den größten Erfolg der Vereinsgeschichte und gewann ganz überraschend die sowjetische Meisterschaft - ein Moment, der in Luhansk bis heute in Erinnerung bleibt. Doch danach gelang nicht mehr viel: Schnell stürzte der Verein erst in die zweite und dann gar in die dritte sowjetische Liga ab. Ein ähnliches Szenario musste Sorja auch nach der Auflösung der Sowjetunion erleben. Erst 2006 schaffte der Traditionsverein den Wiederaufstieg in die erste ukrainische Liga, nur um drei Jahre später nach dem Tod des Vereinsinvestors vor dem endgültigen Aus zu stehen. Erst in letzter Sekunde konnte sich Sorja retten: Der Klub wurde von Jewhen Geller übernommen, einem umstrittenen Partner des Schachtjor-Besitzers Rinat Achmetow.

Von großen Investitionen war danach nicht mehr die Rede. Aus Sorja wurde ein mittelmäßiger Verein, der sich in erster Linie mit Ex-Spielern von Schachtjor zufriedengeben musste, die in Donezk aussortiert wurden. Umso überraschender ist es, dass die Luhansker gerade jetzt ihre Sternstunde erleben: Wie andere Vereine aus dem Donbass musste Sorja im Frühjahr 2014 seine Heimat verlassen und spielt seitdem in verschiedenen Städten der Ukraine. Zuletzt wurden die Heimspiele von Luhansk meist in Saporischschja ausgetragen. »Es ist für uns viel schwieriger als für Schachtjor. Wir haben nicht so viel Geld und natürlich auch nicht so viele Fans«, sagt Jurij Wernidub, der erfolgreiche Trainer von Sorja Luhansk.

Mit Wernidub, der als Spieler eine Saison in Deutschland beim Chemnitzer FC verbracht hat, erreichte Sorja nicht nur das Finale des ukrainischen Pokals, sondern auch zum zweiten Mal in Folge den vierten Platz in der Liga. Dies bedeutet eine erneute Teilnahme an der Europa League, von der noch vor wenigen Jahren niemand in Luhansk auch nur träumte. »Wir haben nur zwei Punkte Rückstand auf Dnipro - und Dnipropetrowsk stand vor einem Jahr im Finale der Europa League. Das ist unglaublich«, erzählt Sorjas Generaldirektor Serhij Rafailow. »Schade nur, dass unsere Fans in Luhansk die internationalen Spiele wohl nicht erleben werden.«

Daran zweifelt auch Cheftrainer Wernidub nicht. »Wir sollten eigentlich alle friedlich in einem normalen Land leben. Doch langsam schwindet auch bei mir die Hoffnung, dass unser Verein in der nächsten Zeit zurückkehren wird«, sagt der 50-Jährige mit wenig Optimismus. Die pessimistischen Töne sind allerdings verständlich. Einerseits geht der Krieg im Donbass weiter - und keiner weiß, wie der grundsätzliche Konflikt beendet werden kann. Anderseits ist die Lage in der sogenannten Volksrepublik Luhansk generell noch schlimmer als in der Volksrepublik Donezk - vor allem im humanitären Bereich. »Für mich gehören Donezk und Luhansk aber zur Ukraine, so wird es einmal wieder kommen«, glaubt Wernidub.

Auch für Schachtjor war das Treffen mit Luhansk übrigens bedeutend: Nach 12 Jahren verlässt der rumänische Trainer Mircea Lucescu den Verein, dies war sein letztes Spiel bei Schachtjor. »Schön für ihn, dass er sein letztes Spiel gewonnen hat. Denn er ist ein großer Trainer, aus Lucescu ist eine Symbolfigur für unsere Region geworden. Doch ich wollte auf keinen Fall, dass er gewinnt«, sagte Wernidub nach dem Spiel.

Nun muss er darüber nachdenken, wie es mit Sorja in der nächsten Saison weitergeht. Luhansk kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten, wie bei vielen anderen ukrainischen Vereinen werden die Gehälter nicht rechtzeitig gezahlt. Außerdem ist unklar, wo Sorja in der neuen Saison spielen wird. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Fünf Spieler von Luhansk schafften es in den erweiterten EM-Kader der ukrainischen Nationalmannschaft, für mindestens drei von ihnen gilt die Reise nach Frankreich als sicher. »Und darauf sind wir alle stolz«, betont Trainer Wernidub.

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