Wie die AfD entzaubert werden soll

Linkspartei will sich nach großen Wählerverlusten künftig offensiv mit der rechten Konkurrenz auseinandersetzen

  • Aert van Riel, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf ihrem Parteitag hat die LINKE über die strategische Ausrichtung in der Sozial- und Flüchtlingspolitik diskutiert. Für Aufregung sorgte eine Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht.

Auf der Bühne des Magdeburger Parteitags wettert Sahra Wagenknecht gegen den »rechten Ungeist in Europa«. Als Ursache hierfür sieht die Linksfraktionschefin auch die neoliberale Politik der letzten Bundesregierungen. »Diese Politik hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Sozialstaat zerstört«, sagt Wagenknecht. Der Schrecken des Vortags ist ihr an diesem Sonntagnachmittag nicht mehr anzumerken. Nur kurz merkt sie an, dass der Vorwurf des Rassismus gegen Politiker der Linkspartei haltlos sei.

Am Samstag hat ein junger Mann der Linksfraktionschefin während der Rede des Parteivorsitzenden Bernd Riexinger aus kurzer Distanz eine Torte ins Gesicht geworfen. Kurz darauf wird er von Sicherheitskräften abgeführt. Der Anlass für diese Attacke auf Wagenknecht ist in einem Papier nachzulesen, das von Aktivisten durch den Saal geworfen wird. Darin prangert die angebliche Initiative »Torten für Menschenfeinde« Wagenknechts Aussagen über »Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung« in Bezug auf Flüchtlinge an. Auch innerhalb der Linkspartei sind die Aussagen von Wagenknecht umstritten. Doch angesichts des Angriffs auf die Politikerin, die nach dem Tortenwurf sichtlich schockiert in der ersten Reihe vor dem Rednerpult sitzt, solidarisieren sich auch Wagenknechts parteiinterne Kritiker deutlich mit ihr. Kofraktionschef Dietmar Bartsch und die Koparteivorsitzende Katja Kipping stellen sich schützend vor Wagenknecht, damit die Journalisten nicht noch mehr Fotos von ihr in dieser misslichen Lage machen können.

Nachdem Riexinger seine Rede beendet hat, ergreift Kipping, die zuletzt mit Wagenknecht in der Flüchtlingspolitik nicht immer einer Meinung war, das Wort. »Das war nicht nur ein Angriff auf Sahra, sondern ein Angriff auf uns alle«, betont die LINKE-Vorsitzende. Wagenknecht habe gemeinsam mit allen anderen LINKE-Abgeordneten im Bundestag gegen die Asylrechtsverschärfungen der Bundesregierung gestimmt. »Wir weisen zurück, was in diesem Wisch steht.« Besonders ärgert Kipping, Wagenknecht und viele andere im Saal, dass die Fraktionsvorsitzende in dem Schreiben der Aktivisten mit der rechten AfD-Frau Beatrix von Storch verglichen wird, die ebenfalls mit einer Torte beworfen worden war.

Auf ihrem Parteitag will sich die Linkspartei von der AfD abgrenzen. Ignorieren kann man die Rechtspartei nicht mehr, seit sie in zahlreiche Landesparlamente eingezogen ist und in den bundesweiten Umfragen stärker wird. Auch viele Wähler der Linkspartei sind zu den Rechten gewechselt. Viele Arbeiter und Erwerbslose machen inzwischen ihr Kreuz bei der AfD. Dies sind wichtige Gründe für das schwache Abschneiden der LINKEN bei den Landtagswahlen im März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

Bernd Riexinger erklärt in seiner Rede, dass die AfD nicht nur flüchtlings- und islamfeindlich ist, sondern auch für deutsche Geringverdiener und Erwerbslose überhaupt keine passenden Angebote hat. Deren Situation würde die AfD wohl nur verschlechtern. »Sie ist die schlimmste neoliberale Partei der Bundesrepublik«, ruft Riexinger in den Saal. Die AfD sage nichts zur Wohnungsnot und den steigenden Mieten und wolle Reiche und Vermögende noch mehr verhätscheln. Die LINKE will nun vor allem in sozialen Brennpunkten den Kontakt zu abgehängten Menschen suchen. So sollen auch AfD-Wähler wieder zurückgewonnen werden. Hoffnung macht der Linkspartei außerdem, dass nun Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, in die Partei eingetreten ist.

Von ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik will die LINKE nicht abrücken. Im Namen der Humanität sei es geboten, das jedem zustehende Grundrecht auf Asyl aufrecht zu erhalten - natürlich ohne Obergrenzen, heißt es im Leitantrag. Ärger herrscht über diejenigen, die sich verbal immer wieder davon abgrenzen. Frank Puskarev von der Parteiströmung Forum Demokratischer Sozialismus kritisiert, dass der frühere Parteichef und heutige Fraktionsvorsitzende im Saarland, Oskar Lafontaine, vor Kurzem den sogenannten Asylkompromiss aus dem Jahre 1993 verteidigt hat. Der damalige Beschluss der Bundesregierung mit Unterstützung der SPD sei ein Türöffner für Pegida und andere gewesen.

In einem Parteitagsbeschluss spricht sich die LINKE für ein Sofortprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro aus. Damit soll unter anderem den Kommunen geholfen werden, die Integration von Flüchtlingen zu gewährleisten. Zudem würde mit diesen Mitteln der soziale Wohnungsbau angekurbelt. Das Programm richtet sich zugleich an Schutzsuchende sowie an das deutsche Prekariat.

Großer Diskussionsbedarf besteht bei der Antragsberatung. Auch deswegen kann der Zeitplan nicht eingehalten werden. Der Parteitag zieht sich am Samstag bis in die späten Abendstunden hin. In der Partei bestehen seit ehedem unterschiedliche strategische Ansätze zum Umgang mit SPD und Grünen. So will die Strömung Antikapitalistische Linke Änderungen im Leitantrag erreichen, wonach sich die LINKE schärfer von ihrer Konkurrenz im Mitte-links-Spektrum abgrenzen soll. Denn diese sei für die unsoziale Politik verantwortlich und deswegen kein Partner. Entsprechende Änderungsanträge werden allerdings von den Delegierten mehrheitlich abgelehnt.

Es bleibt dabei: Die Linkspartei wird SPD und Grüne vor allem wegen ihrer Sozial-, Außen- und Flüchtlingspolitik kritisieren, ihnen zugleich aber auch Angebote für einen Politikwechsel machen. Dieser ist aber zurzeit auch deswegen unwahrscheinlich, weil Rot-Rot-Grün in Umfragen von einer Mehrheit weit entfernt ist. Der Führung der LINKEN wird somit wohl eine schwierige Debatte über die roten Haltelinien für eine Regierungsbeteiligung vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr erneut erspart bleiben.

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