Gezerre um Gaucks Nachfolge

Spekulationen um neuen Präsidenten nehmen Fahrt auf / Forderungen nach einem rot-rot-grünen Kandidaten

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Bundespräsident Gauck soll sich entschieden haben: Keine zweite Amtszeit, und das trotz bester Chancen auf Wiederwahl. Das Gezerre um eine Nachfolgeregelung beginnt schon vor der offiziellen Absage.

Berlin. Die am Wochenende ins Rollen gekommene Debatte über einen Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck verstärkt die ohnehin vorhandene Unruhe in der Großen Koalition. Angesichts der Bundestagswahl im Herbst 2017 zeichnet sich eine komplizierte Kandidatensuche für die Kür des Staatsoberhaupts ab. Eine gemeinsame Lösung von Union und SPD ist nicht in Sicht - trotz ernstzunehmender Vorschläge wie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Laut »Bild« hat sich Gauck entschieden, bei der Wahl zum Staatsoberhaupt nicht mehr anzutreten. Zu Gaucks Gründen für einen Verzicht zählen demnach sein Alter und gesundheitliche Beschwerden.

»Der Spiegel« schreibt, aus taktischen Gründen könnten die Unionsparteien kurz vor der Bundestagswahl keinen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten mit SPD oder Grünen präsentieren. Kanzlerin Angela Merkel sei sich als CDU-Chefin dieser Erwartung ihrer Partei bewusst, so das Blatt. Als aussichtsreicher Bewerber aus der Union gelte Lammert, er würde von der Fraktionsspitze mitgetragen und könnte auch mit CSU-Unterstützung rechnen.

Union, SPD und Grüne befürworteten eine zweite Amtszeit des parteilosen Ex-Pastors. Auch Merkel sprach sich für eine Wiederwahl aus. Die Bundesversammlung zur Wahl des Staatsoberhauptes tritt am 12. Februar 2017 zusammen. Nach jetzigem Stand wäre dort auch die Durchsetzung eines rot-rot-grünen Bewerbers möglich.

Die LINKE-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger forderten SPD und Grüne deshalb auf, »eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen zu schicken«. Gefunden werden solle »eine Person, die soziale Gerechtigkeit, Weltoffenheit und Frieden glaubhaft verkörpert«. Auch der stellvertretende Fraktionschef Axel Schäfer sprach sich für einen Kandidaten mit Grünen und Linkspartei aus: »Ich bin entschieden dafür, aus der numerischen rot-grün-roten Mehrheit in der Bundesversammlung eine politische und persönliche Mehrheit zu machen«, sagte er der »Welt am Sonntag«. Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion, wandte sich in der »Welt« gegen eine Nachfolgeregelung zusammen mit der Union: »Eine Kandidatin, einen Kandidaten der Großen Koalition halte ich nicht für zielführend.«

Johannes Kahrs vom konservativen Seeheimer Kreis in der SPD sprach sich für Außenminister Steinmeier aus. Dieser genieße eine »hohe Akzeptanz und ist in der Lage, die notwendige Überparteilichkeit herzustellen«, sagte Kahrs der »Welt am Sonntag«. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach brachte seinen Parteifreund Wolfgang Schäuble ins Spiel. »Wolfgang Schäuble hat 44 Jahre parlamentarische Erfahrung, er hat sich in hohen Staatsämtern hervorragend bewährt und genießt auch international ein hohes Ansehen«, so Bosbach gegenüber der »Bild am Sonntag«.

Bis zuletzt wurde eine zweite Amtszeit von Gauck für möglich gehalten. CDU und CSU, SPD, Grüne und FDP forderten ihn zum Weitermachen auf. Doch Gauck ließ sich lange Zeit nicht drängen, fast trotzig hielt er an seinem Zeitplan fest. Vom Frühsommer sprach er, was Interpretationen zulässt. Ob er also im März 2017, dann 77-jährig, als Bundespräsident abtritt, wird Anfang der Woche feststehen. Am Dienstag wolle er die Entscheidung der Öffentlichkeit bekannt geben.

Im März in Peking hatte er es schon einmal auf den Punkt gebracht: Es sei ein schönes Gefühl zu spüren, dass viele sich eine Fortsetzung seiner Arbeit wünschten. »Dabei muss man aber auch seine eigenen physischen und psychischen Kräfte bedenken«, sagte er. Damals war das als Indiz für einen Verzicht gewertet worden, stundenlanges Stehen auf Empfängen etwa macht ihm sichtbar Probleme. Agenturen/nd

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