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Ran an die Leute, rein in den Kiez

Um den Rechtspopulisten Paroli zu bieten, touren Politiker wie Raed Saleh durch Kneipen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Früher gehörte Wahlkampf vor Ort zum Standardrepertoire eines jeden Politikers. Wie stark die Entfremdung zwischen Politik und den Bürgern geworden ist, zeigt ein Kneipenbesuch in Spandau.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten in den Umfragen hat die Berliner Politik aufgeschreckt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) reagierte mit einer Kampfansage. »Am 18. September entscheidet sich, ob Berlin soziale Stadt für alle bleibt«, sagte er vor kurzem beim Landesparteitag der Sozialdemokraten. Für den »Tagesspiegel« begab sich in dieser Woche der LINKE-Spitzenkandidat Klaus Lederer in ein Streitgespräch mit Georg Pazderski, der auf Platz 1 der Landesliste der »Alternative für Deutschland« (AfD) zur Abgeordnetenhauswahl kandidiert. Das Gespräch, das nach Angaben des Blattes mehrfach vor dem Abbruch stand, soll an diesem Wochenende veröffentlicht werden.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, der seinen Wahlkreis in Spandau hat, setzt im laufenden Wahlkampf auf einen von vielen Politikern als antiquiert geschmähten Ansatz: Bürgernähe und Präsenz, frei nach dem Motto »ran an die Leute, rein in den Kiez«. »Der AfD sage ich auf der Straße und in den Kneipen den Kampf an«, sagt Raed Saleh, der an diesem Freitag 39 Jahre alt wird. Ohne Krawatte, ohne Jackett, erster Hemdknopf offen - so stürzt sich der forsche Politiker auf die Stammtischbesucher in der Kneipe »Zur Altstadt«. An der Wand hängen Chroniken der Spandauer Geschichte in Fraktur und Blechschilder mit dem »Sarotti-Mohr«. Berührungsängste kennt Saleh nicht. Handshakes hier, Schulterklopfen da. »Hallooooo - Naaaaaa, ich bin der Raed, wie geht's denn?«

Bei den wegen des Sommerwetters diesmal nicht wie normalerweise so zahlreich erschienen Stammtischbesuchern kommt das gut an - obwohl sie nicht alle Freunde der SPD sind. Im Gegenteil. Hauptthema in der Altberliner Kneipe in der Spandauer Einkaufsmeile »Carl-Schurz-Straße« sind die Geflüchteten. »90 Prozent der Gespräche drehen sich darum«, sagt der Wirt Wolfgang Belloff, ein breitschultriger Kumpeltyp mit Glatze. Das »Thema Flüchtlinge« hat jüngst auch den Kanuverein des Wirts gespalten: Am Ende seien »Gutmenschen« und »Nazis« übriggeblieben, sagt Belloff, der selber ein kleines »Thorshammer«-Amulett trägt, kopfschüttelnd. Dabei kannte sich die Gruppe zum Teil seit über 15 Jahren.

Das, was sich in dem Kanuverein abspielte, übertragen einige Stammtischbesucher auf die Gesellschaft allgemein. »Die Ausländer fahren die Ellbogen aus, über die Asylanten wollen wir gar nicht reden«, sagt Ingrid Mooz. Die ältere Frau in weiß-blauer Bluse mit einer Brille mit rotem Rand ist zum Stammtisch gekommen, um sich für ihren Freundinnenkreis argumentativ aufzumunitionieren.

»Das Flüchtlingsproblem ist ein richtiges Problem«, sagt auch Gerhard Raduuz. Der 75-jährige ehemalige Unternehmer - schwarzes Poloshirt, vergoldete Uhr und gepflegter Oberlippenbart - mahnt: »Die Politik muss umdenken - Demokratie heißt Herrschaft des Volkes.« Der Stammtisch nimmt jetzt langsam Fahrt auf - Finger werden wie kleine Schwerter gehoben und geschwungen, Hände flach auf den Tisch geschlagen. Es wird lauter. »Arabische Großfamilien«, »Allparteien-Diktatur«, »die Antifa, die neue SA«, »Korruption« und »Geschacher« sind die Schlagworte, die die vielen vorhandenen Vorurteile kennzeichnen. Immer wieder geht es auch um die »SPD« und deren »Siggi«, also den Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel, dessen Schlinger-Politik zwischen »Pack« und »Pegida-Versteher« niemand nachvollziehen kann.

Raed Saleh ist jetzt in seinem Element. »Es gibt keine Tabus«, feuert er die Stammtischbesucher sogar noch an. Die Spielregeln sind klar: Fast alles darf gesagt werden, aber jeder muss seine Gedanken äußern können. Und dann ist der SPD-Fraktionsvorsitzende dran: Die »Versöhnung« der Gesellschaft, wie es Saleh nennt, ist sein Thema. Saleh bezeichnet es - etwas pathetisch - als die »Aufgabe seiner Generation«. Der Politiker führt seine eigene Geschichte in die Debatte ein. Die Geschichte eines Jungen, der im Westjordanland geboren wurde, aber bereits seit seinem fünften Lebensjahr in Berlin lebt - und schon lange kein Migrant mehr ist, sondern Berliner. Es ist die Geschichte eines erfolgreichen Unternehmers - und ambitionierten Politikers. Mit »Gewaltfrei, Anstand und Pünktlichkeit« skizziert er am Stammtisch seine »neue deutsche Leitkultur«.

Das überzeugt am Ende nicht alle. Aber mit seiner bürgernahen und verständnisvollen Art kann Saleh am Ende folgenden Konsens unter den Besuchern des Stammtisches erzielen: »Wir wollen ein Spandau für alle.« Immerhin.

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