Auf dem Weg nach oben

Transgender in den Philippinen haben bessere Chancen als anderswo auf der Welt

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.
Vermeintlich liberale Länder tun sich schwer mit den Rechten von Transgenderpersonen. Anders in den Philippinen, wo außergewöhnliche Karrieren möglich sind. Drei Begegnungen.

Der Satz ist ihre größte Schwäche und beispiellose Stärke zugleich: »Im Stadtrat kümmere ich mich für Sie um die Rechte von Kindern und Frauen - weil ich eine Frau bin!« Wenn Jom Bagulaya ihr zentrales politisches Statement in die Menge ruft, erlebt sie immer wieder Gelächter. Kinder wie Alte, Frauen wie Männer hören in den Worten der Dame mit dem welligen Haar, Make-up und engem T-Shirt, eine fast komödiantische Pointe. Sie provoziert, erregt, bestätigt Offensichtliches und widerlegt es zugleich.

In Tacloban, einer 200 000-Einwohner-Stadt in der zentralphilippinischen Provinz Leyte, kämpft Bagulaya um Stimmen. Seit Wochen zieht sie durch Nobelviertel und Slums, schüttelt Hände, lächelt in Kameras, verspricht mit ihren Parteikollegen eine zuverlässige Verwaltung und mehr Mitbestimmung. Wie üblich für Politiker. Aber Jom Bagulaya ist nicht wie die anderen. Nach einer Rede vor gut hundert Leuten flüstert sie: »Jeder hier weiß, dass ich im Körper eines Mannes geboren wurde.«

Natürlich sei das ein Problem. Die Philippinen sind ein tiefreligiöses Land, mehrheitlich katholisch, die größte Minderheit bilden Muslime. Als Bagulaya sich als Studentin wie eine Frau zu kleiden begann und Hormontabletten nahm, stand die Beziehung zu ihren Eltern auf dem Spiel. Voller Trotz kandidierte sie einige Jahre später als Stadträtin, verlor deutlich. »Die Leute waren jemanden wie mich nicht gewohnt«, sagt sie heute. Seit die 31-Jährige offensiv mit ihrer Identität umgeht, hat sie jedenfalls Erfolg. Wenn Jom Bagulaya jetzt über Bürgersorge und Frauenschutz spricht, erntet sie Applaus. Auch Konservative finden sie zwar amüsant, aber glaubwürdig. Vor fünf Jahren war sie landesweit erste Transgenderperson, die es zur Berufspolitikerin gebracht hat.

Transgenderpersonen leiden weltweit unter teils auch rechtlicher Benachteiligung. Vieles trifft auch auf Jom Bagulayas Heimatland zu. Und doch steht der Weg in die Mitte der Gesellschaft offen. Durch Menschen wie Jom Bagulaya erleben die Philippinen jetzt die erste Generation Transsexueller, die auch in die Männerdomänen der Arbeitswelt vordringen. Sie schaffen es hier in die Politik, brillieren in Wachstumsbranchen wie dem Callcentergeschäft, werden Bankmanager. Wo sonst auf der Welt wäre das möglich?

In der Hauptstadt Manila öffnet sich im Erdgeschoss eines Büroturms eine Aufzugtür. Eine Frau im kleinen Schwarzen tritt heraus. Ihr Namensschild identifiziert sie als Francisco Panga. Sie stellt sich vor mit: »Hallo, ich bin Kit!« Den Namen hätten ihr Freunde in der Schule gegeben, der heute 35-jährigen gefiel er von der ersten Sekunde an besser als Francisco.

Kit Panga arbeitet für eine international tätige Großbank, als Operations Manager hat sie 33 Mitarbeiter direkt unter sich. Die drahtig-schlanke, 1,86 Meter große Dame spielt eine tragende Rolle in ihrem Unternehmen, errechnet die Auslastung aller Gebäude, plant die Belegung von Konferenzsälen und Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns. Ob sie ein Leben ohne Diskriminierung führt? »Manila ist jedenfalls um Welten besser als New York, Berlin oder Zürich.« In Europa werde Kit Panga zwar in Nachtklubs an der Schlange vorbei direkt auf die Tanzfläche geschleust, würde aber kaum einen Job außerhalb des informellen Sektors finden. In den USA fühlt sie sich vor Gewaltübergriffen nicht sicher. »Und hier spricht man mich höchstens im Supermarkt mit ›Sir‹ an. Aber damit kann ich leben.«

In den Philippinen hat man sich schon lange an Menschen wie Kit Panga gewöhnt. Nicht nur aus der Zwölf-Millionen-Metropole Manila sind Transpersonen kaum wegzudenken. Durch die Glitzerwelt der Fernsehshows und Laufstege, in der fast die Mehrheit der Stars transsexuell ist, ist jeder Philippiner notgedrungen sensibilisiert. Soziologen argumentieren außerdem, dass das offene Ausleben der eigenen Identität auch deshalb weniger problematisch ist als anderswo, weil die philippinischen Sprachen weniger eindeutig zwischen Mann und Frau unterscheiden. Das Wort »bakla« bezeichnet auf Tagalog etwa sowohl feminine Männer, schwule Männer als auch physisch als Männer geborene Frauen. »Tomboy« ist das Äquivalent am anderen Ende des Geschlechterspektrums. »Wir werden nicht unbedingt als irgendeine dritte Spezies gesehen«, meint Kit Panga. »Wir bewegen uns eher in einem fließenden Übergang zwischen zwei Extremen.« So leiden auch Männer weniger unter dem Druck, besonders maskulin sein zu müssen. Geschlechterrollen sind hier weniger definiert. Mit dieser Interpretation steht die philippinische Gesellschaft weltweit einzigartig da.

Umso kurioser erscheint der Gegensatz zwischen relativer Freiheit und einer rechtlichen Benachteiligung: In den Philippinen ist die gleichgeschlechtliche Ehe genauso verboten wie eine Hochzeit zwischen Mann und Frau, sofern ein Partner eine Transgenderperson ist. Jom Bagulaya und Kit Panga müssen jeden Tag die Toilette des Geschlechts benutzen, dem sie sich nicht zugehörig fühlen. In den Philippinen gibt es anders als in der EU kein Gesetz, das umfassend vor Diskriminierung schützt. Wie entstehen trotzdem solche Erfolgsstorys wie die von Panga und Bagulaya? Das fragt sich Brenda Alegre. Sie ist die erste philippinische Forscherin, die sich Transsexualität von einer soziologischen Perspektive nähert. Bevor sie sich Brenda nannte, lautete ihr Vorname Brian. Erst seit sie eine Anstellung an der University of Hongkong erhielt, kann sie auf ihre männliche Identität weitgehend verzichten. »In den Philippinen geht das noch immer nicht.«

Als Brenda Alegre Ende der 1990er Jahre die Uni als eine der Jahrgangsbesten abschloss, musste sie über 50 Bewerbungen schreiben. Eine öffentliche Schule stellte sie als Psychologin ein, forderte aber bald, dass Alegre entweder keine Frauenkleider trage oder die Stelle räume. Ihr Anblick sei nicht gesund für die Kinder. »Ich hab‘ sofort gekündigt.« Monate später heuerte Alegre bei einem Unternehmen in der Callcenterbranche an. Dort brachte sie es zur Personalmanagerin, verantwortlich für 20 000 Personen. Eine steile Karriere, weil Alegre als Führungskraft gut organisiert, zuverlässig und deutlich im Ton war.

Es war aber auch ein höchst unwahrscheinlicher Erfolg. Als Brenda Alegre ihren Callcenterjob schmeißen wollte, um eine Doktorarbeit über die Lebenschancen von Transpersonen zu schreiben, rieten ihr Freunde und Eltern davon ab. »So einen Job bekäme ich nie wieder, sagten alle. Aber mir war das egal.« Es war Alegres Aufarbeitung ihrer persönlichen Geschichte, die sie selbst wie den ständigen Kampf gegen eine sture Mehrheit erzählt. Als fünfjähriger Junge wusste sie, dass sie ein Mädchen war. In der Schule lieh sie sich die Uniformkleider ihrer Freundinnen aus und zog sie heimlich nach Schulschluss im Klassenraum an. An der Uni wagte sie sich auf die Mädchentoilette.

Überflieger wie die Politikerin Jom Bagulaya, die Bankerin Kit Panga oder Brenda Alegre sind die erste Generation von Transpersonen, die mit diesen Klischees brechen konnten. »Wir müssen jetzt eine Vorbildrolle spielen für alle, die nach uns kommen«, sagt Brenda Alegre. Und sie könnten langsam Wellen schlagen. Als das ganze Land am 9. Mai einen neuen Präsidenten und diverse Parlamente bis zur Lokalebene wählte, schaffte es Jom Bagulaya zum zweiten Mal in den Stadtrat von Tacloban. Die Frau, die für ihren Satz über ihr Frausein für Heiterkeit sorgt, hatte vielleicht wirklich die beste Pointe auf Lager. Ihre Authentizität hat eine Nachahmerin. Mit Geraldine Roman, einer Kollegin aus der Liberal Party, gewann erstmals auch im nationalen Parlament eine Transfrau ein Mandat.

Die Katholikin Roman reagiert auf die sture Haltung ihrer Kirche mit einer eigenen Interpretation der Dinge: »Wäre Jesus noch heute am Leben, würde er keine Diskriminierung gutheißen. Dessen bin ich mir sicher.« Roman will eine nationale Bewegung antreiben, die Transgenderpersonen noch sichtbarer macht und endlich ein Anti-Diskriminierungsgesetz durchbringen. So könnte es mit den noch immer bestehenden Benachteiligungen wie Jobabsagen oder oft schlechter Gesundheitsversorgung vielleicht ein Ende nehmen. Jom Bagulaya und Brenda Alegre unterstützen die Pläne von Geraldine Roman.

Nur Kit Panga, die Bankerin, ist skeptisch: »Philippiner machen sich eigentlich eh nicht so viel aus Gesetzen.« Und das hat wohl auch Vorteile. Denn hätten sie erst auf ein aufwendiges Regelwerk gewartet, um ihre Karrieren voranzubringen, wäre es um Transgenderpersonen bis heute still geblieben.

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