Der schlechte Ruf: »La Mannschaft« und deutsche Fans

Vor und nach dem Sieg der DFB-Elf gegen die Ukraine gab es Ausschreitungen in Lille

»La Mannschaft« war in Frankreich lange Zeit Inbegriff für Kampf statt Kunst auf dem Fußballplatz. Spätestens seit dem WM-Titel 2014 wird Deutschland für sein Nationalteam bewundert, der DFB machte »Die Mannschaft« danach zum Markennamen. Zum EM-Auftakt wurde sie ihrer Favoritenrolle gerecht, den guten Ruf haben Nazis und Hooligans in Lille wieder etwas zerstört.

Julian Draxler hat ein ordentliches Spiel gemacht auf der linken offensives Außenbahn gegen die Ukraine. Über den 22-Jährigen liefen viele Angriffe beim 2:0-Sieg am Sonntagabend in Lille. Der Wolfsburger hat viel zum Fazit des gegnerischen Trainers nach der Partie beigetragen: »Wir mussten die Deutschen davon abhalten, ihre Tormaschine anzuwerfen«, rechtfertigte Mykhailo Formenko die vor allem in der zweiten Halbzeit sehr defensive Spielweise seiner Mannschaft und ergänzte: »Wir haben es nicht geschafft.«

In der 78. Minute verließ Julian Draxler für Andre Schürrle den Platz. Kurz danach hatten die sozialen Netzwerke ein neues Thema. »Scheiß Jude« will ein Fernsehzuschauer gehört haben und twitterte seinen Verdacht. Nach unzähligen Tweets einigte man sich dann doch auf »Stark Jule«. Jule ist der Spitzname von Julian Draxler, der für seine gute Leistung entsprechendes Lob von der Bank bekam. Diese Twitter-Diskussion wäre vielleicht nie entstanden, hätte es vor dem Spiel keine Ausschreitungen deutscher Hooligans und ein widerwärtiges Foto in der Innenstadt von Lille gegeben.

Rund dreieinhalb Stunden vor dem Anpfiff hatten etwa 50 Hooligans in der Nähe des Bahnhofs ukrainische Fans angegriffen. Videos, die bald darauf kursierten, zeigen ein brutales Vorgehen. Die Dimension der heftigen Ausschreitungen in Marseille – am Donnerstag erst zwischen Engländern und Franzosen, am Freitag, dem Tag des Spiels England gegen Russland, zwischen den beiden Fangruppen – hatte der Vorfall aber nicht. Dies bestätigten die acht deutschen szenekundigen Polizisten, die während der EM in Frankreich sind.

Nicht gewalttätig, aber ebenso abscheulich ist ein Foto vom Sonntagnachmittag aus Lille. Mehr als 30 Männer posieren vor einer Reichskriegsflagge. Sie sollen überwiegend aus Dresden (»Faust des Ostens« – eine rechtsextreme Fangruppierung von Dynamo) und Zwickau (»Perverse Menschenfresser«) kommen, einige auch aus Leipzig. Heil-Rufe und Hitler-Gruß: Auch nach dem Spiel, beispielsweise auf dem Place de la Gare, zeigten Nazis offen ihre Gesinnung.

Wachsam muss man sein, wegschauen sollte man nicht. Und es ist auch wichtig, Rechte in ihren verschiedenen Betätigungs- oder gar Rekrutierungsfeldern zu identifizieren. So wurden beispielsweise die beiden Dortmunder Neonazis Michael Brück und Matthias Deyda am Sonntagabend auf der Tribüne des Stade Pierre-Mauroy entdeckt. Aber übertriebene Hysterie ist wenig hilfreich. »Scheiß Jude« oder »Stark Jule« – wie schnell kann man sich lächerlich machen, nicht mehr ernst genommen werden oder gar die gegenteilige Wirkung der eigenen Intention erzeugen.

Kurz vor der Halbzeitpause im Spiel gegen die Ukraine versucht die deutsche Fankurve die Nationalhymne anzustimmen. Es blieb bei einem Versuch, der vielleicht nicht mal eine TV-übertragungstaugliche Lautstärke erreicht hat. Wenn Engländer »God save the Queen« im Stadion schmettern, dann schwärmen viele von fantastischer Stimmung. Warum soll das ein Tabu für deutsche Fans sein, die die unglaubliche Rettungsaktion von Jerome Boateng in der 37. Minute gegen den Schuss des Ukrainers Yevhen Konoplyanka ebenso bejubeln wie das Führungstor durch Shkodran Mustafis Kopfball nach zwölf Minuten? Weil schwarz-rot-goldener Fußballtaumel Nährboden für Nationalismus ist, wie nicht wenige befürchten? Wenn man das Spiel den – immer noch deutlich in Unterzahl – Rechten überlässt, dann ist diese Gefahr deutlich größer. In der 82. Minute haben die ukrainischen Fans, fast alle waren in blau-gelb gekommen, ihre Hymne gesungen.

Dass gerade die deutsche Fußball-Nationalmannschaft mit Boateng, Mustafi, Mesut Özil oder Sami Khedira für durchaus Gutes wie gelungene Integration steht, zeigen AfD, Pegida und sonstige rechte Parteien oder Bewegungen mit ihrer Ablehnung. Welch seltsamer Reflex, dass dies viele Linke auch tun. Oder immer noch.

Im Ausland jedenfalls ist die DFB-Elf beliebt. Belgier, Schweden, Italiener, Spanier – viele waren nach Lille gekommen, um den Weltmeister spielen zu sehen. Natürlich auch Franzosen. Und wenn die Gastgeber der Europameisterschaft von »La Mannschaft« sprechen, dann klingt das ganz anders als noch vor ein paar Jahren. »Die Mannschaft« heißt die DFB-Auswahl in Deutschland erst seit 2014. Der Deutsche Fußball-Bund wollte dem Weltmeister einen werbeträchtigen Markennamen verpassen. Die Franzosen nennen die deutsche Nationalelf seit 1982 »La Mannschaft«. Da war es noch ein Inbegriff für Kampf statt Kunst. Im Halbfinale der WM in Spanien führte Frankreich in der Verlängerung mit 3:1, verlor aber doch noch im Elfmeterschießen das Spiel – und vorher schon seinen Spieler Patrick Battiston nach einem brutalen Foul von Torwart Toni Schumacher.

Die »Nacht von Sevilla« ist zwar nicht vergessen. Weil aber mittlerweile die Deutschen den Champagnerfußball wie einst Michel Platini und Co. spielen, schaut man halt gern hin. Mit dem 2:0 gegen die Ukraine, Bastian Schweinsteiger hatte kurz nach seiner Einwechslung in der 90. Minute zum Endstand getroffen, wurde die DFB-Auswahl ihrer Favoritenrolle gerecht. In diesem Spiel und, die bislang gezeigten Leistungen der anderen Teams berücksichtigt, auch für das Turnier. Toni Kroos, der zum Spieler des Spiels gekürt wurde, bleibt aber vorsichtig: »Es war nur das Auftaktspiel.«

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