Unheilige sächsische Allianzen
Die Naziszene im Freistaat formiert sich neu - und findet zunehmend Anschluss an bürgerliche Kreise
Als im Chemnitzer Ortsteil Einsiedel Protest gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einem früheren Pionierlager begann, sah es noch so aus, als gehe es den skeptischen Bürgern tatsächlich um bauliche Mängel. »Der Protest war nicht rassistisch aufgeladen«, sagt Jens Paßlack von der Mobilen Opferberatung des Kulturbüros Sachsen. Es dauerte aber nur Wochen, bis Aktivisten des »III. Weg« die Veranstaltungen kaperten. Die Folge: Hetze gegen Migranten und Muslime; Blockaden, Patrouillen einer Art Bürgerwehr, Einschüchterung derer, die sich für Flüchtlinge engagierten. Rechtspostillen wie »Compact« priesen Einsiedel als bundesweites Fanal.
In Sachsen ist Einsiedel längst kein Einzelfall. 595 Demonstrationen gegen Asylpolitik gab es 2015, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Bei 200 von diesen, heißt es in einer vom Kulturbüro und der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Studie mit dem Titel »Sachsen rechts unten 2016«, zogen organisierte Nazis die Fäden - was auch heißt: Fast 300 gehen auf das Konto »besorgter Bürger«. Beide Gruppen aber, so der alarmierende Tenor des Papiers, finden im Anti-Asyl-Protest zueinander. Zuvor unauffällige Bürger sähen »keinerlei Abgrenzungsbedarf« mehr gegenüber offen neonazistischen Gruppen, sagt Paßlack. Sein Kollege Markus Kemper spricht von einer »unheiligen Allianz« zwischen Aktivisten aus dem Milieu von Hooligans, Kameradschaften und Parteikadern auf der einen Seite sowie Menschen, die auf der »rassistischen Welle« surften und sich neu politisch engagierten.
Den Boden dafür hat die NPD bereitet, die 2012 vor Flüchtlingsheime und muslimische Einrichtungen zog und Hetze gegen beide Gruppen miteinander verband. 2014 flog sie dennoch knapp aus dem Landtag. Nutznießer sind nun andere Gruppierungen, etwa die Kleinstpartei »III. Weg«. Hervorgegangen aus dem Freien Netz Süd, ist sie im Raum zwischen Bayern, Westsachsen, dem Osten Thüringens und Sachsen-Anhalt sehr aktiv. Eine von ihr erstellte Handreichung sei zu »einer Art Masterplan« für Anti-Asyl-Proteste geworden, sagt Paßlack. Um Leipzig ist auch die Partei »Die Rechte« aktiv. Zuspruch erfährt, während die Mutterpartei NPD dümpelt, kurioserweise zum Teil auch deren Nachwuchsorganisation JN.
Neben derlei Parteistrukturen gibt es im Freistaat aber zahllose informelle Gruppierungen, die sich über soziale Netzwerke organisieren. Die Studie verweist etwa auf Bautzen, wo es eine Handvoll Facebook-Gruppen gibt, einen Ableger der völkisch orientierten Identitären Bewegung und auch einen von Pegida. Diese ursprünglich Ende 2014 in Dresden gegründete Bewegung habe als »Katalysator« gewirkt, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro, der auch anmerkt, zumindest Teile der Szene betrachteten die AfD als ihren »parlamentarischen Arm«. Generell gebe es aber keine »hegemoniale« Kraft, sagt Nattke und spricht von »großer Unübersichtlichkeit« am rechten Rand.
Das freilich darf keinesfalls als Zeichen von Schwäche missverstanden werden. Rechtes Gedankengut erfährt im Freistaat Zuspruch wie lange nicht mehr; die rassistischen Proteste eröffneten einen »Rahmen« für Äußerungen, die zuvor in der Öffentlichkeit undenkbar gewesen wären, sagt Franz Hammer vom Beratungsteam Leipzig der Opferberatung. Und beim Reden bleibt es nicht. Das Kulturbüro registrierte 2015 mindestens 477 rechte Angriffe mit 654 Betroffenen. 285 Taten seien rassistisch motiviert gewesen. Unter massiven Bedrohungen hätten aber auch, wie zuletzt in den Neunzigern, Jugendliche zu leiden, die als nicht rechts gelten, zudem Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Diese würden eingeschüchtert, etwa indem Asylfeinde quasi als »Machtdemonstration« bei ihren Veranstaltungen auftauchen, Namen notieren oder Gespräche störten. Es seien aber auch schon Autoreifen von Aktivisten zerstochen worden, sagen die Opferberater. Das Klima im Land verroht zusehends. »Was uns Sorge macht«, sagt Markus Kemper, ist, dass »man wieder dabei ist, Angstzonen einzurichten.«
Noch allerdings widerstehen viele, betont Michael Nattke. Es gibt Willkommensbündnisse, Kirchengruppen und lokale Initiativen. »Die Mehrzahl der Sachsen«, sagt er, »ist nicht rassistisch eingestellt.«
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