Kompromisse sind immer machbar

Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop über Regierungswillen und grüne Visionen

  • Lesedauer: 5 Min.
Nach 15 Jahren in der Opposition wollen die Grünen nach der Abgeordnetenhauswahl endlich wieder regieren. Ramona Pop über ihre Spitzenkandidatur, mögliche Koalitionsoptionen und Schreckgespenster.

Glückwunsch, Frau Pop! Mehr als die Hälfte aller Berliner wollen Sie als Regierende Bürgermeisterin. In einer ähnlichen Lage für Renate Künast gab es »Renate«-Plakate. Sind die »Ramona«-Plakate bereits im Druck?
Wir haben dieses Mal explizit gesagt, wir gehen als Team in den Wahlkampf. Aber ich freue mich natürlich über die guten Umfragen und den Zuspruch.

Sie fahren auf einer Fahrraddemo mit und laufen »Spätis« in Neukölln ab. Das vermittelt Bürgernähe. Aber nennen Sie mir doch mal drei politische Grundsätze, die sie ausmachen.
Das ist für Politiker nicht einfach, weil es immer eine Fülle von Aufgaben gibt. Als Fraktionsvorsitzende bin ich ja Generalistin. Der Gesamtblick ist mir wichtig.

Denken Sie an ein Bewerbungsgespräch.
Ich bin wegen der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen bei den Grünen eingetreten. Die Grünen schauen als einzige Partei über den Tag hinaus - am stärksten in der Umwelt- und Klimapolitik, aber auch beim Thema Finanzen und Nachhaltigkeit. Als Drittes stehe ich für eine weltoffene und liberale Gesellschaft ein. Denn das ist Berlin.

Wie erklären Sie sich ihr vergleichsweise schlechtes Ergebnis auf dem jüngsten Parteitag? Sie wurden mit nur 60 Prozent der Stimmen auf den ersten Listenplatz gewählt …
Wenn man wie ich schon so lange an der Spitze Verantwortung übernimmt, gibt es auch Kritik. Wir Grüne sind uns einig in unseren Zielen und wollen regieren, damit es einen Politikwechsel gibt.

15 Jahre sind die Grünen nun schon in der Opposition. Gibt es auch gute Gründe, nicht die Regierungsverantwortung zu übernehmen und unbequeme Entscheidungen fällen zu müssen?
Wir haben auch aus der Opposition heraus Verantwortung gezeigt und konstruktive Vorschläge gemacht. Zum Beispiel, die Hälfte der Jahresüberschüsse in die Infrastruktur zu investieren. Vor zwei Jahren hat die Große Koalition das noch als finanzpolitischen Irrsinn beschimpft, jetzt macht sie es selbst. Inzwischen fragen wir uns, warum wir immer darauf warten sollen, bis die Koalition zumindest die Hälfte unserer Ideen aufnimmt. Da wollen wir lieber selbst Verantwortung übernehmen.

Was ist Ihre Bilanz von fünf Jahren Großer Koalition?
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ist ein Symbol dafür, was in den letzten Jahren in der Verwaltung schief gelaufen ist. Egal ob Krankenhäuser oder Schulen, überall bleibt alles liegen. Unter Rot-Schwarz hat es fünf verlorene Jahre für Berlin gegeben.

Wenn Sie an der Regierung sind, müssen Sie auch schauen, wo das Geld für die Sanierung von Schulen und mehr Personal für die Bürgerämter herkommt. Gerade in Hinblick auf die Schuldenbremse.
Es ist verrückt: Das Geld ist ja da, wird aber nicht verbaut. Wir müssen unsere Bauämter in die Lage versetzen, dieses Geld auch auszugeben. Da müssen wir ein schnelleres Tempo einlegen. Wir müssen die Jahre bis zur Schuldenbremse nutzen, um in die Substanz unserer Stadt zu investieren. Je länger man alles liegen lässt, desto teurer wird es.

Die letzten Koalitionsverhandlungen sind auch an der Frage der A 100 gescheitert. Werden sie wieder daran scheitern?
Ich sehe keine unüberwindbaren Hindernisse. Es wird sicherlich Auseinandersetzungen geben, zum Beispiel beim Fahrradverkehr. Der politische Kompromiss ist immer machbar.

Was sind nicht verhandelbare Positionen der Grünen?
Ich werde den Teufel tun, und hier jetzt Koalitionsverhandlungen zu führen. Wir konzentrieren uns nun voll und ganz auf den Wahlkampf.

Es scheint eine deutliche Mehrheit für Rot-Rot-Grün zu geben. Schwer vorstellbar, dass Sie so einen Politikwechsel nicht organisieren ...
Die Wahlentscheidungen sind flüchtig geworden, viele Menschen sind noch unentschieden. Eine Zweierkonstellation halte ich nach wie vor für möglich.

In einer Rede haben Sie den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) jüngst lobend erwähnt: Er rede zwar in den Tagesthemen rechts, mache aber auf vielen Baustellen eine pragmatische Politik.
Ich habe festgestellt, dass es in Bayern viele Kommunen und Städte geschafft haben, die Erstaufnahme der Geflüchteten besser, geordneter und humaner zu gestalten als der Senat in Berlin. Bilder wie am LAGeSo hat es dort nicht gegeben.

Haben Sie weniger Berührungsängste mit Schwarz, wenn Sie denken, da wird vernünftig gehandelt?
Wenn Grüne mit Schwarzen reden, ist das kein Schreckgespenst mehr. Aber was die Berliner CDU betrifft: Eine moderne, bürgerliche Großstadtpartei sieht anders aus. Es gibt so gut wie keine Gemeinsamkeiten.

Was sind Ihre Pläne zur Integration?
Ich bin mit zehn Jahren von Rumänien nach Deutschland gekommen, mit Integration tut sich dieses Land nicht leicht. Wenn man seit Monaten in einer Turnhalle lebt, wie kann man da die Kinder zur Schule schicken? Wie kann Integration beginnen, wenn man nicht angekommen ist? Die Willkommensklassen reichen nicht aus, wir haben kein Angebot für jugendliche Flüchtlinge. Da wieder der Vergleich zu Bayern: Die Berufsintegrationsklassen, die zwei Jahre dauern, sind ein gutes Modell, um gleichzeitig Sprache und Berufskompetenzen zu lernen.

Menschen sollten nicht in Turnhallen schlafen, Kinder sollten in die Kita gehen, Jugendliche sollten Bildung bekommen - klingt logisch, ist aber für die Koalition vielleicht nicht nur eine Frage der Organisation.
Da haben Sie recht. Container sollen wohl suggerieren, dass die Menschen nicht lange bleiben. Unser Ansatz ist: Wir gehen mit den Geflüchteten um, als ob sie bleiben würden. Sie müssen hier eine Heimat finden.

Sie haben die Gleichberechtigung als eines Ihrer Kernanliegen beschrieben. Ist es ein Vorteil, die einzige weibliche Spitzenkandidatin zu sein?
In den letzten Tagen sind Widerwärtigkeiten über uns hineingebrochen, weil eine Frau es gewagt hat, eine Männer-Fußball-EM zu kommentieren. Gleichberechtigung ist nicht in Stein gemeißelt, da muss ich gar nicht erst auf die AfD hinweisen. Die muss immer noch erkämpft werden.

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