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Berlin-Charlottenburg: Abriss für die Rendite
Ob Gebäude abgerissen werden können, hängt davon ab, ob sie Renditeerwartungen erfüllen. Das zeigt ein Beispiel in Charlottenburg
An der Bleibtreustraße in Charlottenburg stehen Veränderungen an. Das Eckhaus zur Kantstraße soll abgerissen werden. Bis zum ersten Stock zieht sich ein schwarzer Fassadenblock um das Gebäude, unten sind zwei Restaurants, ein vietnamesisches und ein persisches. Anders als bei Altbauten ist nicht das ganze Grundstück bis oben hin überbaut. Nur auf einem Teil folgen über der ersten Etage noch vier weitere Stockwerke, anders als der Riegel unten in Weiß.
Das gewöhnungsbedürftige Schwarz-Weiß-Schema zieht sich auch durch das Treppenhaus. Dort sind Wände und Decke schwarz gestrichen, die Treppen sind hell, auf den Treppenabsätzen in den Etagen liegt schwarzer Teppichboden. Auf den ersten Blick ist der Zustand des Gebäudes gut, die Türen sehen neu aus, die Klingelanlage hat sogar eine Kamera.
Während in den unteren Etagen Gewerbe angesiedelt sind, wohnen im vierten Stock Mieter*innen. Doch sie sollen raus. Laura Brücker (Name geändert) ist gerade dabei, die letzten Sachen zu packen, aber eigentlich wartet sie nur auf das Auto, das ihren Hausstand in ihre neue Wohnung in Kreuzberg bringen soll. Sie und ihre drei Mitbewohner müssen zum 1. August ausziehen. Sie selbst habe zwei Jahre hier gewohnt, sagt sie »nd«. Der Mietvertrag war befristet, die Wohnung möbliert. Jeder Mitbewohner hatte einen eigenen Mietvertrag, das günstigste Zimmer hat rund 450 Euro gekostet. Kreuzberg ist für Brücker nur die zweite Wahl: »Ich hätte lieber etwas in Charlottenburg gefunden.«
»Wenn du das Gebäude siehst, denkst du nicht, dass man das abreißen müsste«, sagt Rüdiger Deißler über den 60er-Jahre-Bau. Deißler ist Sprecher für Bauen und Wohnen der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf. Er befürchtet, dass nach Abriss und Neubau im Eckhaus Mieten gefordert werden, die für die normale Bevölkerung nicht bezahlbar sind.
Die Pläne für das Grundstück werden vom Immobilienentwickler Pohl & Prym GmbH vorangetrieben. Eine Anfrage an das Unternehmen blieb unbeantwortet. Auf der Homepage heißt es, das »stilprägende Gebäude« solle in naher Zukunft eine deutliche Aufwertung erfahren. Entstehen dort Miet- oder Eigentumswohnungen? Unklar. Die explodierten Baupreise der letzten Jahre lassen aber, was künftige Mieten betrifft, nichts Gutes erahnen. Selbst landeseigene Unternehmen rechnen bei künftigen Bauprojekten mit kostendeckenden Mieten von bis zu 18 Euro pro Quadratmeter im frei finanzierten Bereich.
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Aber was soll gebaut werden? Ein Visualisierung des neuen Projekts zeigt statt der aktuellen Staffelung in der Höhe eine Vollbebauung über das gesamte Gebäude. Das Bauvolumen soll erheblich erhöht werden. Ist aktuell nur rund ein Drittel der Grundstückfläche mit Gebäuden überbaut, soll dieser Anteil laut einem Informationsschreiben des Bezirksamtes an den Stadtentwicklungsausschuss auf etwa zwei Drittel steigen. Bislang ist die freie Fläche mit einem riesigen Parkplatz im Innenhof belegt. Nicht nur die bebaute Fläche wird größer, auch die Geschossfläche. Sind aktuell 370 Quadratmeter Wohnraum im Gebäude, sollen es danach mehr als 1800 Quadratmeter sein.
Das alles weicht vom gültigen Planungsrecht ab. Der Antrag auf Befreiung von den dort festgelegten Werten wurde gestellt, ist aber noch in Bearbeitung, wie Christoph Brzezinski (CDU), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung von Charlottenburg-Wilmersdorf auf nd-Anfrage mitteilt. Die Abweichung muss vom Bezirk genehmigt werden. In Neukölln werden im Gegenzug dafür Bauherren dazu verpflichtet, einen Anteil an Sozialwohnungen zu errichten. Und in Charlottenburg-Wilmersdorf? Brzezinski erklärt, dass man im Bezirk aktuell an eigenen Leitlinien für den Umgang mit größeren Befreiungen arbeite. In Fällen »einfacher« Blockrandschließungen wie in diesem werde das Instrument vom Bezirk nicht angewandt. Aber: »Hier wird die Grundstückseigentümerin aufgrund des Zweckentfremdungsrechts im Umfang des bisher auf dem Grundstück vorhandenen Wohnraums mietpreislimitierten Ersatzwohnraum schaffen müssen«, so Brzezinski.
Neben der Erhöhung der Baumasse sehen die Pläne für das Grundstück auch eine Entsiegelung des bislang als Parkplatz genutzten Innenhofs vor. Brzezinski sagt, das Grundstück sei aktuell offenkundig unternutzt. »Das Bezirksamt begrüßt eine städtebauliche Entwicklung auf diesem Grundstück, in deren Ergebnisse deutlich mehr Wohnraum geschaffen und zugleich die ökologische Situation des Grundstücks aufgewertet wird, ausdrücklich«, so der Bezirksstadtrat weiter.
Linke-Politiker Deißler hingegen sieht die Pläne grundsätzlich kritisch: »Wir kritisieren jeden Abriss von bezahlbaren Mietwohnungen.« Er meint, man könne auf einen Teil des Gebäudes aufsetzen. »Da hätte niemand etwas dagegen.« Im bereits erwähnten Informationsschreiben des Bezirksamtes heißt es, dass die Aufstockung des Bestandes aus Gründen der Statik, der Barrierefreiheit sowie des Brandschutzes nicht weiterverfolgt worden sei. Jetzt würden Abriss und Neubau verfolgt.
»Wenn du das Gebäude siehst, denkst du nicht, dass man das abreißen müsste.«
Rüdiger Deißler (Linke)
Sprecher für Wohnen und Bauen
Wolfgang Mahnke, von der MieterWerkStatt Charlottenburg, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Abrissgeschehen im Bezirk. Denn Charlottenburg-Wilmersdorf gilt als Hotspot für Abriss in der Hauptstadt. Dabei schließe das Zweckentfremdungsgesetz den Abriss von Wohnraum eigentlich prinzipiell aus, wie Mahnke erläutert. Eine mögliche Ausnahme: die geplante Verwertung von Grundstücken. »Da wird gerechnet, ob eine Sanierung des Gebäudes sich für die Eigentümer innerhalb von zehn Jahren lohnen würde«, erläutert Mahnke. Sanierung heißt, dass die Gebäude auf einen zeitgemäßen Stand gebracht werden. Viele ältere Gebäude sind das zwar nach aktuellen Baustandards nicht, aber durchaus bewohnbar. Die Kosten für Investitionen sind – nicht nur was die Bau-, sondern auch was die Immobilien- und Grundstückspreise betrifft – in den letzten Jahren rasant gestiegen. Die hohen Renditeerwartungen sind dementsprechend bei vielen Gebäuden nicht mehr zu realisieren, zumindest nicht bei bezahlbaren Mieten.
Wenn ein Abriss genehmigt wird, dann entweder, wie im Fall der Bleibtreustraße, wenn dafür Ersatzwohnraum geschaffen wird. Oder aber der Eigentümer lässt sich ein Negativattest ausstellen. Mit Letzteren bescheinige das Wohnungsamt, dass sich in dem Gebäude kein schützenswerter Wohnraum befinde und das Zweckentfremdungsverbot somit einem Abriss nicht entgegenstehe, erläutert Mahnke. »Wir kritisieren seit Langem, dass der Bezirk immer Negativatteste gibt.«
Die MieterWerkStatt spricht sich deswegen für eine Überarbeitung der Ausführungsvorschriften aus, in denen die Regelung festgehalten ist. Eine Möglichkeit wäre, den Refinanzierungszeitraum für heutige Investitionen auf 20 bis 30 Jahre auszudehnen. »So, wie es jetzt ist, ist das quasi eine amtliche Abrissprämie. Man wäre als Eigentümer doof, wenn man das nicht macht«, sagt Mahnke.
»Dass durch eine Ausführungsvorschrift eine solche Immobilienrendite festgeschrieben wird, ist ein Skandal«, findet Rüdiger Dreißler. Und bezogen auf das Gebäude in der Bleibtreustraße: »Man könnte sagen, der Kampf würde sich für so ein paar Wohnungen nicht lohnen. Aber es geht ums Prinzip und eben auch um bezahlbaren Wohnraum.«
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