Berlin: Ein Stolperstein für den Antifaschisten Bruno Schilter

Vor 92 Jahren wurde der antifaschistische Jung­kommunist von der SA ermordet

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit einem Plakat und dem Porträt von Bruno Schilter wurde in der Nachbarschaft für die Veranstaltung vom Donnerstag geworben.
Mit einem Plakat und dem Porträt von Bruno Schilter wurde in der Nachbarschaft für die Veranstaltung vom Donnerstag geworben.

»Mörderkeller« steht auf einem großen Plakat. Ein Pfeil zeigt auf ein Gebäude in der Petersburger Straße 94 in Berlin-Friedrichshain. Davor steht eine Menschenmenge. Der Historiker Oliver Reschke ordnet die historische Aufnahme von 1946 ein: »Dort befand sich das berüchtigte Sturmlokal ›Keglerheim‹, das von den Arbeiter*innen auch ›Ochsensturm‹ genannt wurde.« Reschke spricht am Donnerstagabend in der Insel-Galerie in unmittelbarer Nachbarschaft über die Geschichte des NS-Terrors in Friedrichshain.

Bei seinen Forschungen stieß Reschke auch auf Unterlagen von Bruno Schilter, der sich seit Ende der 1920er Jahre in der KPD und der Roten Hilfe engagierte und in der Nachbarschaft bekannt war. Am Abend des 31. Juli 1933 saß Schilter nach einem Skatabend mit einem Freund auf einer Bank am Petersburger Platz. SA-Männer erkannten ihn und verschleppten ihn in das berüchtigte »Keglerheim«. Hier wurde Schilter schwer misshandelt und anschließend an die nahe gelegene Thaerbrücke gefahren. Zwei SA-Männer richteten ihn dort mit vier Schüssen hin. Schilter wurde nur 26 Jahre alt.

Bruno Schilter war lange vergessen – bis Oliver Reschke im Archiv die Akten fand. Mit der gut besuchten Veranstaltung an diesem Donnerstag sollte nicht nur das NS-Opfer Schilter in der Nachbarschaft bekannt gemacht werden. Reschke schildert sehr anschaulich, wie der NS-Terror im roten Friedrichshain für Angst und Schrecken sorgen sollte. Offiziell hieß es, Schilter sei auf der Flucht erschossen worden. Das war eine häufige Methode der Faschisten, ihre Verbrechen zu tarnen.

»Damit nicht wieder Menschen in Folterkeller gesperrt werden, müssen wir den Rechten frühzeitig entgegentreten.«

Aktivistin der Initiative Antilope Lichtenberg

Reschke berichtet, dass Schilter am 31. Juli 1933 nicht das einzige Opfer war. Über 40 Menschen seien an diesem Tag ins »Keglerheim« verschleppt worden. Es handelte sich dabei oft um Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen, die im Kiez bekannt waren. Die Massenrepression war auch eine Antwort auf eine Mobilisierung der illegalen KPD zum Antikriegstag am 1. August. Deutschland war am 1. August 1914 in den Ersten Weltkrieg eingetreten.

Nach Unterlagen, die Reschke einsehen konnte, sollen am 31. Juli 1933 fünf Menschen ermordet worden sein. Doch nur Bruno Schilter ist namentlich bekannt. Von ihm existiert auch ein Foto. Bei seinen Forschungen konnte sich Reschke auf Unterlagen eines Forscher*innenkollektivs um Karl Früholz stützen, das sich in der DDR mit dem Terror um den SA-Folterkeller befasste. Bereits kurz nach dem Krieg hatte es 1946 vor dem Lokal eine antifaschistische Kundgebung gegeben, von der auch das eingangs erwähnte Foto geschossen wurde. Einer der dortigen Redner war Willi Achsel, der bereits bei der ersten Verhaftungswelle im März 1933 ins »Keglerheim« verschleppt und schwer mithandelt worden war.

Vor allem den Anwohner*innen, die nach 1989 neu nach Friedrichshain gezogen waren, war die Geschichte des Nazi-Folterkellers mitten im Kiez kaum bekannt. Das änderte sich, als 2009 eine Filiale der Neonazi-Kleidungsmarke Thor Steinar in der Petersburger Straße 94 eröffnet wurde und rechte Kundschaft anzog. Auf zahlreichen Kundgebungen gegen den Laden wurde immer wieder an die Geschichte des SA-Folterkellers erinnert. 2013 machte die Filiale dicht. Seitdem bieten Stadtspaziergänge regelmäßig die Möglichkeit, die Spuren des antifaschistischen Widerstands in Friedrichshain zu erkunden.

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Im Kampf gegen die Nationalsozialisten spielten Frauen eine wichtige Rolle, erinnert die Historikerin Trille Schünke-Bettinger am Donnerstagabend in ihrem Vortrag. Sie erwähnt die Kommunistinnen Gertrud Lewke und Hildegard Jadamowitz, aber es waren viel mehr. Im nächsten Jahr will die Stadtteilinitiative »Wir bleiben alle Friedrichshain«, die auch die Veranstaltung organisierte, am 1. August einen Stolperstein für Bruno Schilter einweihen. Er soll vor dem Haus in der heutigen Richard-Sorge-Straße 16 (damals Tilsiterstraße) angebracht werden, wo das NS-Opfer vor 1933 wohnte.

Auf der Veranstaltung am Donnerstagabend bekundet neben Anwohner*innen auch der Pfarrer der Christuskirche in der Richard-Sorge-Straße seine Unterstützung für das Gedenken an Schilter. Dass es sich dabei nicht nur um eine historische Frage handelt, macht eine Aktivistin der Lichtenberger Gruppe Antilope deutlich. Die zivilgesellschaftliche Initiative hat sich gegründet, um den Wahlerfolgen der AfD und rechten Umtrieben im Stadtteil entgegenzutreten. »Damit nicht wieder Menschen in Folterkeller gesperrt werden, müssen wir den Rechten frühzeitig entgegentreten«, erklärt sie.

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