Bauchschmerzen bei der Bürgerenergie

Die Bundesregierung will bis zur Sommerpause die Ökostromreform fertig haben

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.
350 Seiten umfasst die Vorlage zur Ökostrom-Reform. Dieses Regierungsprojekt verhindert die Energiewende, meint die Opposition.

Vor der Sommerpause des Bundestags wirft die große Koalition die Gesetzesmaschine an: Am Freitag wurden im Eilverfahren nicht nur die Reform der Erbschaftssteuer und das Fracking-Gesetzespaket beschlossen. Beraten wurde auch die ebenso umstrittene Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) - wenn auch nur in erster Lesung. Das Ziel von Union und SPD ist es aber, am 8. Juli, dem letzten Sitzungstag vor der Parlamentspause, die 350-Seiten-Vorlage nicht nur vom Bundestag, sondern am selben Tag auch noch vom Bundesrat abnicken zu lassen.

Dass sich im Stromsystem in den letzten Jahren grundlegend etwas gewandelt hat, ist inzwischen jedem klar geworden: Wenn von Solar, Wind und anderen Erneuerbaren jetzt schon jede dritte Kilowattstunde stammt, ist es nur logisch, dass diese »langfristig die zentrale Rolle in der Stromerzeugung« übernehmen (müssen), wie es im Gesetzentwurf heißt.

Die Vorstellungen allerdings, was diese »zentrale Rolle« für die übers EEG laufende Förderung der Erneuerbaren bedeutet, gehen deutlich auseinander, wie die Debatte zeigte.

Für Katja Kipping, die für die Linksfraktion sprach, ist die vorgelegte EEG-Novelle eher ein »Energiewendeverhinderungsgesetz«. Sie beklagte vor allem, dass die Bürgerenergie ausgebremst werde. Die im Gesetz geplante Ausschreibungspflicht benachteiligte die Bürgerprojekte, die eben nicht wie die großen Konzerne die notwendigen Planungskosten aus der Portokasse bezahlen könnten. Dabei stünde die Bürgerenergie, so Kipping, in der Nähe zu den Verbrauchern und für eine Unabhängigkeit von den Konzernen. »Dezentral und erneuerbar - so geht die Energiewende«, betonte sie.

Für den grüne Fraktionsvize Oliver Krischer wird die EEG-Novelle dafür sorgen, dass die Windenergie dasselbe Schicksal ereilt wie zuvor der Solar- und Bioenergie, dass nämlich ihr Zuwachs um die Hälfte reduziert wird. Eine Konsequenz des neuen EEG werde sein, dass die Klimaziele, die Deutschland sich gesetzt hat, »definitiv und endgültig nicht erreichen können«, erklärte Krischer mit Bezug auf entsprechende Berechnungen von Klimaexperten. »Die ganze Welt setzt auf Erneuerbare, nur in Deutschland fahren wir in eine andere Richtung.«

Zu einer Glaubens-Debatte entwickelt sich langsam der Streit, ob der fehlende Netzausbau das Wachstum der Erneuerbaren drosselt oder ob das Netz für den Transport des Ökostroms ausreichen würde, wenn diese nicht durch konventionell erzeugten Atom- und Kohlestrom im Sinne des Wortes »verstopft« werden. Ein Ausweg könnte die Idee sein, überflüssigen und damit sehr billigen Ökostrom regional nahe zu speichern oder damit E-Autos zu »betanken« oder gar Wärme zu erzeugen. Letzteres fällt unter den Begriff der sogenannten »Sektorkopplung«, wo Ökostrom helfen soll, andere Bereiche wie den Gebäudebestand oder den Verkehr klimafreundlicher zu gestalten. Ob es dafür eine entsprechende »Experimentierklausel« im EEG geben wird, ist noch nicht klar.

Gerade die Bauchschmerzen bezüglich der Bürgerenergie sind inzwischen offenbar auch bei einigen Abgeordneten der Koalition angekommen. Der Vizechef der SPD-Fraktion, Hubertus Heil, deutete an, dass man sich in den kommenden zwei Beratungswochen überlegen werde, wie die sogenannte Akteursvielfalt, sprich die Bürgerenergie, erhalten bleiben könne. Es ginge dabei nicht darum, den Übergang zu den Ausschreibungen generell zu verhindern, aber es müsse für alle »faire Chancen« geben. Heil sprach sich auch dafür aus, die für 2017 vorgesehene einmalige Absenkung der Vergütungen für Windkraft an Land um fünf Prozent noch einmal zu überdenken, diese könne noch gestreckt werden.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ging im Bundestag auf derlei Vorschläge wenig bis gar nicht ein. Vielleicht ist vor allem er derjenige, der von der SPD-Fraktion noch überzeugt werden muss, aus einem »schlechten Gesetz«, wie Krischer sagte, noch etwas Besseres zu machen.

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