Türkei und Russland auf dem Rückweg zum Dialog
Präsident Erdogan entschuldigt sich für Abschuss des Kampfjets
Es musste bis zum Einlenken Ankaras mehr als ein halbes Jahr vergehen. Nach dem Zerwürfnis, das mit dem türkischen Abschuss einer russischen Militärmaschine im November 2015 über Syrien begann, hat der türkische Präsident wiederholt Wiederannäherungsversuche unternommen. So sagte Recep Tayyip gleich nach dem Abschuss, es tue ihm leid. Aber den Satz »Ich entschuldige mich« brachte er nicht über sich. Nun schickte er einen Brief mit der förmlichen Entschuldigung an seinen Amtskollegen Wladimir Putin. Präsidentensprecher Dmitri Peskow zitierte: »Aufrichtiges Mitgefühl mit der Familie des verstorbenen Piloten, tief empfundenes Beileid und Bedauern über das Vorgefallene«.
Aus Putins Sicht muss die Türkei noch Wiedergutmachung für das abgeschossene Flugzeug und Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen des Piloten zahlen. In Erdogans Schreiben heißt es, er teile von ganzem Herzen »den Schmerz der Familie des Piloten Oleg Peschkow«. Dessen Familie sei für ihn eine türkische Familie geworden. Er sei zu jeder Initiative bereit, um diesen Schmerz zu lindern und den entstandenen Schaden zu minimieren.
Zu den Kosten des abgeschossenen Flugzeugs sagte der neue türkische Ministerpräsident Binali Yildirim ohne Umschweife: »Falls erforderlich, werden wir einen Ausgleich für die abgeschossene Maschine zahlen.« Gegen den türkischen Bürger, »dessen Name mit dem Tod des Piloten in Verbindung gebracht« werde, sei ein Gerichtsverfahren angestrengt worden, heißt es im Erdogan-Brief. Alparslan Celik von der rechtsextremen Organisation Graue Wölfe, der offen zugab, den mit einem Fallschirm herunterschwebenden Flieger abgeschossen zu haben, wurde zwei Tage vor Eintreffen des Erdogan-Briefes verhaftet.
Der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin bestätigte die russische Darstellung und fügte hinzu, Russland und die Türkei seien übereingekommen, unverzüglich Schritte zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu unternehmen. Als erster Schritt bietet sich die Reise des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu zu einer Tagung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Schwarzmeerstaaten nach Sotschi an. Am 1. Juli ist dort ein Treffen mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow geplant.
In den sieben Monaten seit dem Ausbruch der Krise in den russisch-türkischen Beziehungen mussten beide Seiten hohe Verluste einstecken. Ende vorigen Jahres verhängte Putin Wirtschaftssanktionen gegen Ankara. Obst- und Gemüselieferungen nach Russland wurden um 90 Prozent reduziert. Für nach Russland einreisende Türken wurde Visumpflicht eingeführt. Schwierigkeiten entstanden für türkische Baufirmen in Russland. Charterflüge zwischen beiden Ländern wurden eingestellt. Russischen Reiseveranstaltern wurde empfohlen, keine Pauschalreisen in die Türkei zu verkaufen, was die türkische Tourismusbranche empfindlich traf. Auch Großprojekte wie die Gasleitung Turkish Stream und der Bau eines Atomkraftwerks in der Türkei fielen dem Hader zum Opfer. Der gegenseitige Warenumsatz fiel von 23,4 Milliarden Dollar auf 4,8 Milliarden. Der russische Export in die Türkei ging um 43 Prozent zurück, der Import aus der Türkei fiel um die Hälfte.
Für Erdogan sei die Wirtschaft aber nicht das Wichtigste, so Experten. Er habe sich mit der halben Welt zerstritten und brauche dringend Verbündete. Dasselbe gelte spiegelbildlich auch für Putin.
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