»Obama hat die Strategie nur angepasst«

Elier Ramírez Cañedo über wachsende Ungleichheit in Kuba und veränderte politische Rahmenbedingungen

  • Lesedauer: 6 Min.

Vor dem VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im vergangenen April wurde auch in kubanischen Medien über neue Gesichter in der politischen Führung spekuliert. Im engeren Kreis blieb indes alles beim Alten, eine Überraschung auch für Sie?

Ich sehe das ein wenig anders. Es gab eine gewisse Erneuerung und es gibt auch neue Gesichter zum Beispiel im Politbüro. Noch mehr Erneuerung und Verjüngung gab es im neu zusammengesetzten Zentralkomitee. Richtig ist, dass es eine Erwartungshaltung gab, die noch über die vorgenommene Erneuerung hinausging. Die Erneuerung vollzieht sich allmählich, wie das Präsident Raúl Castro auch gesagt hat. Sie wird Zug um Zug weitergehen und dabei wird nicht bis zum kommenden Parteikongress gewartet. Der ist erst für 2021 vorgesehen. Bis dahin ist lange hin und ich gehe davon aus, dass sich in dem Zeitraum ein paar der historischen Figuren aus den Zeiten der Revolution 1959 zurückziehen werden. Der personelle Erneuerungsprozess ist im Gang, im Politbüro, im Zentralkomitee und in den staatlichen Institutionen im Allgemeinen. Ein Zeichen dafür ist, dass sämtliche erste Parteisekretäre in den Provinzen des Landes mit der Revolution groß geworden sind und mithin nach 1959 geboren wurden. Das gilt auch für Miguel Díaz-Canel, den ersten Vizepräsidenten des Staats- und des Ministerrats, der Jahrgang 1960 ist.

Es ist ein Transformationsprozess ohne Eile, aber auch ohne Pause?

Genau. So funktioniert das hier und nicht nur in der Partei, sondern auch im Parlament und den Institutionen.

Die Debatte auf dem Kongress drehte sich vor allem um die Folgen der seit 2011 stattfindenden Privatisierungen, die auf dem damaligen Parteikongress im Rahmen der sogenannten Lineamientos (Richtlinien) freigegeben wurden. Seitdem wachsen der Privatsektor und mit ihm die Einkommensungleichheit, ein aus Marktwirtschaften bekanntes Phänomen. Für eine sozialistische Gesellschaft birgt das jedoch noch mehr Sprengstoff, oder?

Das Problem ist nicht ohne und das ist allen klar. Nach der Revolution wurde viele Jahre eine Politik des extremen Egalitarismus verfolgt, eine maximale Einkommensgleichheit angestrebt. Das führte auch zu einer Art Ungleichheit: Eine Person, die mehr arbeitete, bekam dasselbe Einkommen wie eine, die weniger arbeitete. Mehr oder weniger jeder hat denselben Lohn bezogen, dieselbe Gesundheitsversorgung, denselben Bildungszugang, dieselben sozialen Leistungen in Anspruch nehmen können, unabhängig von seiner Leistung. Das war das andere Extrem. Egalitarismus ist nicht Gleichheit.

Im Transformationsprozess, in dem wir jetzt sind, entfernen wir uns von diesem Extrem, wollen aber das andere vermeiden. Nun soll jeder nach seinen Fähigkeiten entlohnt werden, aber jeder seine Bedürfnisse gedeckt bekommen. Es gibt ein klares Bewusstsein in der Regierung darüber, dass der wachsende Privatsektor Ungleichheit schafft und die Gesellschaft nach sozialen Schichten ausdifferenziert. Das betrifft nicht nur die Personen, die direkt im Privatsektor arbeiten, sondern auch das ganze Umfeld.

Wie lässt sich die Ungleichheit bekämpfen?

Die Idee ist, ausgehend von einer Besteuerung dieses Sektors eine fiskalische Kontrolle zu erreichen und die Steuereinnahmen für eine bessere Umverteilung des Reichtums einzusetzen und so allgemein den Lebensstandard zu erhöhen. So soll allmählich das Lohnniveau in den anderen Sektoren angehoben werden können. Zum Beispiel die Löhne im öffentlichen Gesundheitssektor, um die Arbeitsplätze dort attraktiver zu machen und der Abwanderung gegenzusteuern. Das ist ein strategischer Sektor für Kuba, dasselbe gilt für die Bildung und den Wissenschaftsbereich. All diese Sektoren befinden sich am unteren Ende der Lohnskala verglichen zu dem, was sich beispielsweise im Tourismus verdienen lässt. Auch die Remesas, die Geldsendungen von Exil-Kubanern an ihre Verwandten auf der Insel, führen zu einer wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit, da nicht alle über zahlungskräftige Verwandte im Ausland verfügen. Auch hier wird versucht, mit fiskalischen Mitteln die Konzentration des Reichtums zu begrenzen und durch Regulierung und Besteuerung etwas entgegenzusetzen.

Mit Erfolg?

Mit Teilerfolgen. Wir sind uns der Brisanz der Ungleichheit bewusst. Es ist unmöglich, soziale Gerechtigkeit ohne Gleichheit zu schaffen, es ist unmöglich Freiheit, ohne soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Deshalb haben wir eine klare Linie: Wir wollen die Errungenschaften der Revolution wie freie Gesundheitsversorgung und kostenlose Bildung aufrechterhalten. Und dafür wollen wir die Steuereinnahmen aus dem privaten Sektor in der Haushaltsplanung vordringlich verwenden.

Nicht nur Kubas Gesellschaft durchläuft eine Transformation, auch die Außenpolitik steht vor neuen Herausforderungen. Wie sehen Sie den Wechsel in der Strategie der USA, die unter Barack Obama spätestens seit Dezember 2014 auf Annäherung setzen?

Wir kennen ähnliche Ansätze in den Beziehungen zwischen Kuba und den USA seit der Revolution 1959. Es gibt und gab immer wieder Konzessionen vonseiten der USA, um einen vorübergehenden Modus Vivendi mit dem sozialistischen Kuba zu finden. 1968 in der Präsidentschaft des Demokraten Lyndon B. Johnson gab es zum Beispiel die Formel »people to people«, mit der eine Annäherung propagiert wurde. Auch unter dem Demokraten Jimmy Carter (1977-81) wurde ein Prozess der Normalisierung der Beziehungen begonnen. 2004 sagte Carter in einem Interview, dass er immer gedacht habe und immer noch denke, dass mit diplomatischen, kommerziellen und kulturellen Beziehungen ein Wandel auf Kuba erreicht werden könnte. Aus der Zeit vor der Ära von Bill Clinton (1993-2001) gibt es viele Dokumente, die auf diese Richtung zielen. Diese Versuche sind damals alle gescheitert. In einem Teil der herrschenden Elite in den USA hat sich nun ein neuer Konsens gebildet - einen neuen Ansatz zu finden, ohne das strategische Ziel aufzugeben: Regimechange in Kuba.

Ist das auch das Ziel von Obama?

Ja. Obama hat in einem Akt politischer Kühnheit einen Strategiewechsel eingeleitet, den er in seiner Rede am 17. Dezember 2014 öffentlich gemacht hat. Der Ansatz ist klar: Es handelt sich um eine profunde taktische Anpassung der Strategie, ohne am Ziel etwas zu ändern. Zwei Tage nach der historischen Rede wurde Obama auf einer Pressekonferenz von vielen Journalisten nach der Bedeutung seiner Ankündigung gefragt: Wie lässt sich speziell Kuba verändern? Seine Antwort: Es wird langsam gehen, langsamer, als ich es mir wünsche. Aber auf diese Änderung, auf den Regimechange zielt auch Obamas Ansatz.

Verändert hat sich auch das politische Panorama in Südamerika. In Brasilien und Argentinien haben neoliberale Regierungen das Ruder übernommen, Venezuela steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Was bedeutet das für Kuba?

Das ist selbstverständlich besorgniserregend für Kuba. Der Traum der kubanischen Revolution bestand ja immer auch darin, die lateinamerikanische Integration voranzutreiben. Mit der Gründung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) 2010 wurde da ein wichtiger Schritt gemacht. Dieser Prozess wird nun durch diese neue Entwicklung negativ betroffen. Die Probleme in Brasilien, Argentinien und Venezuela zeichneten sich schon vor den Regierungswechseln ab und ich gehe davon aus, dass Obamas Rede vom 17. Dezember 2014 und der Strategiewechsel schon eingedenk der sich abzeichnenden Schwäche der lateinamerikanischen Linken vollzogen wurde.

Für Kuba bedeutet das schlicht, dass wir uns in einem neuen Szenario behaupten müssen, das weit weniger vorteilhaft ist als das, was wir bis 2014 hatten. Die USA wussten damals, dass eine ganze Region hinter Kuba stand, vor allem Venezuela unter Präsident Hugo Chávez, der uns viel geholfen hat, aber auch die anderen Linksregierungen von Argentinien, Brasilien, Bolivien und Ecuador zum Beispiel.

Steht Kuba ohne diesen Rückhalt vor einer neuen Krise?

Es wird sicher schwieriger, wir sind verletzbarer geworden. Aber sicher ist auch: Wir haben Bündnispartner über Lateinamerika hinaus wie China und Russland. Selbst das schlimmste aktuell zu befürchtende Szenario träfe Kuba nicht so hart wie der Ausfall des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) 1989, der in die Sonderperiode in Friedenszeiten mündete. Auch das haben wir überstanden und wir sind zuversichtlich, neuen Szenarien gewachsen zu sein.

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