Erneuerbare werden ausgebremst

Energieexpertin Claudia Kemfert sieht die Klimaschutzziele durch die Ökostrom-Refrom in Gefahr

  • Lesedauer: 4 Min.
Am Freitag will die schwarz-rote Bundesregierung im Bundestag die Reform des EEG beschließen. Laut Claudia Kemfer würde das für Deutschland auch bedeuten, dass die Energiewende deutlich ausgebremst wird.

Am Freitag will die schwarz-rote Bundesregierung im Bundestag die Reform des EEG beschließen. Für den Bundesverband Erneuerbare Energie bildet die EEG-Novelle den stärksten Rückschlag für die Energiewende seit der vorübergehenden Laufzeitverlängerung für deutsche Kernkraftwerke im Jahr 2010. Ist der Alarmismus der Ökostromlobbyisten gerechtfertigt?
Sie ist aus Sicht der Branche nachvollziehbar, da man nun eine gezielte Mengensteuerung vornimmt und ja auch zum Ziel hat, den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich zu begrenzen. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Ausbauziele bei Ausschreibungen sehr häufig nicht erreicht werden. Dies würde für Deutschland bedeuten, dass die Energiewende deutlich ausgebremst wird. Dies geht zu Lasten der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und der Beschäftigten vor allem der Branche der erneuerbaren Energien.

Befürworter der Novelle geben an, dass der Ausbau der Übertragungsnetze nicht mit dem Ausbau der Erneuerbaren mithalte. Schreitet die Energiewende also zu schnell voran?
Nein, da die erneuerbaren Energien nicht zu schnell, sondern wie geplant ausgebaut und genutzt werden. Es gibt keinen Netzengpass, der eine Begrenzung des Ausbaus der erneuerbaren Energien rechtfertigen würde. Es gibt in Deutschland allerdings noch immer einen hohen Anteil von konventionellem Strom. Vor allem der hohe Anteil von Kohlestrom benötigt viele Kapazitäten in den Stromnetzen, da die Kraftwerksleistungen bei wachsenden Anteilen erneuerbarer Energien nicht in ausreichendem Maße reduziert werden. Mehr Stromleitungen nützen somit vor allem Kohlekraftwerken. Dies bestätigen übrigens alle wissenschaftlichen Studien, nicht nur unsere.

Claudia Kemfert

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Mit ihr sprach Simon Poelchau über die Auswirkungen der anstehenden Ökostrom-Reform auf die Branche der Erneuerbaren.
 

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will mit der Reform die Erneuerbaren stärker in den Strommarkt integrieren. Sind Technologien wie Solarenergie und Windkraft mittlerweile ausgereift genug, um gegen die Kräfte des freien Marktes bestehen zu können?
Die Kosten der erneuerbaren Energien, allen voran Windenergie und Solarenergie, sind immer weiter gesunken, zudem sind sie technisch ausgereift. Sie sind oftmals die preiswertere Möglichkeit, Strom zu erzeugen. Global wird mittlerweile mehr Geld in erneuerbare als in konventionelle Energien investiert. Somit sind sie durchaus marktreif. Solange jedoch konventionelle Energien bevorteilt werden und die Rahmenbedingungen nicht so angepasst werden, dass sich alle erneuerbare Energien samt Energiemanagement und mittelfristig Speicher rechnen, wird der sogenannte Markt erneuerbare Technologien eher verdrängen. Es muss faire Marktbedingungen geben, die den Umstieg hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ermöglichen.

Gleichzeitig will die Bundesregierung den Anteil der Erneuerbaren beim Stromverbrauch bis 2025 auf bis zu 45 Prozent steigern. Denken Sie, dass dies mit der jetzigen Novelle machbar ist?
Es wird schwer, da - wie man aus anderen Ländern weiß - die Ausschreibungen kein Garant zum Erreichen der Zubauziele sind. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet selbst damit, dass mindestens zehn Prozent der ausgeschriebenen Menge nicht realisiert werden. Somit müsste man die Ausbauziele deutlich anheben, um die Ziele wirklich zu erfüllen.

Müsste das Ziel aus klimapolitischer Perspektive nicht wesentlich ambitionierter sein? Und wäre auch nicht technisch mehr drin?
Die Klimaziele wird man aus unterschiedlichen Gründen nicht erreichen können. Einerseits wird die EEG-Novelle eher ein Ausbremsen der erneuerbaren Energien zur Folge haben, was in der Tat nicht notwendig wäre, da man technisch sehr viel mehr schaffen könnte. Andererseits ist die Energiewende mehr als nur eine Stromwende, wir benötigen auch eine Verkehrs- und Wärmewende. Die Energiewende bietet enorme wirtschaftliche Chancen, die man so ungenutzt lässt.

Kritiker der Reform warnen vor einem Rückgang der Akteursvielfalt. Wird der Wechsel zum Ausschreibungsmodell tatsächlich Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften vom Markt verdrängen?
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen eindeutig, dass große Anbieter strategische Vorteile haben, da sie finanzstärker sind und sich im Wettbewerb eher behaupten können. Ein wesentlicher Baustein der bisherigen Energiewende war ja gerade die Akteursvielfalt mit vielen Energiegenossenschaften und Bürgerenergien. Die Bundesregierung hat zugegeben, dass die Akteursvielfalt mit Ausschreibungen vermindert wird und nun Vorgaben erlassen, damit Bürgerenergien nicht benachteiligt werden. Es wird nicht leichter für kleinere Anbieter, sie sind eindeutig die Verlierer der Reform.

Machen Ausschreibungen die Energiewende dann wenigstens billiger?
Leider nein. Zwar bekommt man Kostentransparenz und der preiswerteste Anbieter bekommt wohl den Zuschlag, aber es entstehen weitere Kosten wie Transaktions-, Finanzierungskosten oder Kosten durch mögliche Strafzahlungen, die eingepreist werden. Für die Verbraucher wird es ohnehin teurer, da man weitere Kostentreiber beschlossen hat wie Kohle-»Abwrack«-Subventionen oder einen überdimensionierten Netzausbau.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal