Dreieinhalb Stunden für eine Nullnummer

Verfassungsschutzchef Maaßen berichtete vor NSU-Ausschuss über Versäumnisse im Fall »Corelli«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Dicker Bericht - wenig Inhalt. So lässt sich zusammenfassen, was nun vom Innenministerium zum Fall »Corelli« an den Bundestag ging. Der Untersuchungsausschuss debattierte außer der Reihe darüber.

»Corelli« alias Thomas Richter spitzelte von 1997 bis 2007 für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in der rechten Szene. Er war eine von wohl drei Quellen, die das BfV im NSU-Umfeld hatte. Nach seiner Enttarnung versteckte ihn der Geheimdienst, 2014 verstarb der Ex-V-Mann plötzlich im Alter von nur 39 Jahren. Die Diagnose »Zuckerschock« ist auch unter Fachleuten umstritten.

Vor einigen Monaten überraschte das BfV mit der Nachricht, man habe im Panzerschrank seines V-Mann-Führers ein bislang unbekanntes »Corelli«-Handy gefunden. Zunächst hieß es aus dem Bundesinnenministerium, darauf seien Fotos, Mails und andere Dokumente, die einem »Who is who« der Naziszene glichen. Später nahm man dies zurück, fand jedoch nach und nach SIM-Karten, die von dem V-Mann benutzt worden sind. Wie viele Handys es noch gibt, die von »Corelli« und seinem Führer benutzt wurden, ist ungewiss.

BfV-Chef Hans-Georg Maaßen nahm an der Sitzung des Ausschusses teil. »Jedes EM-Spiel war interessanter«, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Die Vorstellung sei eine »Nullnummer« gewesen. Maaßen steht unter Beschuss. LINKE, Grüne und sogar Abgeordnete der mitregierenden SPD verlangen seit Wochen seine Entlassung. Doch Minister Thomas de Maizière (CDU) schickte nur einen Beamten in die Kölner Geheimdienstzentrale, der nun den geheimen Bericht vorlegte. Vor dem NSU-Ausschuss bedauerte Maaßen die Arbeitsweise seines Amtes und behauptete, der sehr kompetente V-Mann-Führer sei bisweilen überlastet gewesen. Doch habe man den Fall »Corelli« schon 2013 zum Anlass für Reformen im Amt genommen.

Davon ist wenig zu spüren. Erst jetzt hat das Ministerium angewiesen, sämtliche Technik, die BfV-Spitzeln übergeben wird, zu dokumentieren. Petra Pau, Obfrau der Linksfraktion im NSU-Ausschuss, findet dies absurd: Ein Geheimdienst, der nicht einmal die Handys seiner Nazi-V-Leute überblickt, will dem Ausschuss sagen, welche Dokumente und Zeugen beim NSU relevant sind?

Eigentlich beschäftigt sich der Ausschuss derzeit mit einem anderen V-Mann des BfV: Ralf Marschner alias »Primus« galt als Schlüsselfigur der Naziszene in Sachsen und darüber hinaus. Der Mann, jetzt unbehelligt in der Schweiz, soll das 1998 untergetauchte Trio in Zwickau unterstützt haben. Laut Zeugen haben Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bei ihm gearbeitet. Am Donnerstag war ein ehemaliger Geschäftspartner geladen. Ein weiterer Zeuge und Neonazi, der in Marschners Abrisskolonne gearbeitet hatte, wohnte in Zwickau - gegenüber einer NSU-Wohnung.

Am kommenden Dienstag konstituiert sich in Potsdam der bundesweit elfte NSU-Ausschuss. Aus dem Umfeld von Mitgliedern verlautet, die Beratungen sollten großteils ohne Öffentlichkeit stattfinden - durchaus fragwürdig bei einem parlamentarischen Untersuchungsgremium.

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