Mutige Verteidiger der Republik

Die katalanischen Brüder Cànovas zogen als Jugendliche in den Krieg gegen Franco

  • Julia Macher, Barcelona
  • Lesedauer: 6 Min.
Antoni Cànovas, Jahrgang 1920, und sein älterer Bruder Alfons, Jahrgang 1917, gehören zu den wenigen, die noch aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs erzählen können.

Am 18. Juli 1936 trainierten die Brüder Alfons und Antoni Cànovas für die Volksolympiade in Barcelona. Die Wettspiele sollten nie stattfinden, denn in der Nacht zuvor putschte General Francisco Franco gegen die spanische Republik. Der Spanische Bürgerkrieg begann. Der blutige Konflikt sollte auch das Leben der beiden Brüder prägen - bis heute. Die rechte Faust zum Gruß erhoben, die linke auf die Stuhllehne gestützt, dann ein schelmischer Blick: »Steht uns immer noch gut, oder?« Antoni Cànovas, Jahrgang 1920, und sein älterer Bruder Alfons, Jahrgang 1917, umarmen sich herzlich. Seit sie in Pflegeheimen leben, sehen sie sich selten; aber wenn, dann darf die kämpferische Reminiszenz nicht fehlen: »Salut, company!« - »Sei gegrüßt, Genosse.«

Die Erinnerungsstätte Memorial Demòcratic hat eine Handvoll ausländischer Journalisten eingeladen. Der lange Zeit ins Vergessen gedrängte Bürgerkrieg soll wieder öffentlich gewürdigt werden; die beiden Brüder gehören zu den wenigen, die noch aus dieser Zeit erzählen können.

Am 18. Juli 1936 übten Alfons, 17 Jahre alt und passionierter Wasserballspieler und sein Bruder Antoni, 15, Jugendmeister im Brustschwimmen, im Stadion auf Barcelonas Hausberg Montjüic den Einzug der Olympioniken. Am Folgetag sollte die Volksolympiade eröffnet werden, 6000 Sportler aus aller Welt waren zu der Protestveranstaltung zu den Olympischen Spielen in Berlin angereist. Doch die Probe wurde abgesagt, in Melilla hatte der Generalstabschef Francisco Franco geputscht. Ein Ärgernis für die beiden Jungs, die missmutig nach Hause, in das Fischerviertel Barceloneta zurückkehrten.

In der Nacht weckten Schüsse die Familie. Ein Teil des in Barcelona stationierten Militärs hatte sich dem Putsch angeschlossen, der Gouverneur versuchte Ordnung herzustellen, Arbeiterorganisationen riefen zur Verteidigung der Republik auf. Heimlich schlichen sich Antoni und Alfons aus dem Haus, um sich als Freiwillige zu melden. »Wir waren jung, wollten unbedingt etwas erleben - eine Olympiade oder etwas anderes«, erinnert sich Antoni, »so wurden wir zu mutigen Verteidigern der Republik.« Die beiden lachen: Für klare politische Überzeugungen waren sie zu jung.

»Als wir zurück nach Hause kamen - noch schockiert über die Toten, die wir gesehen haben, aber trotzdem natürlich stolz -, gab es erst einmal ein fürchterliches Donnerwetter von der Mutter«, erzählt Alfons und zieht unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. Der Vater, Mitglied der anarchistischen CNT, nahm die Sache gelassener, sagt der Bruder: »Er hat uns bloß angeguckt und gesagt: ›Macht, was ihr wollt, verhindern kann ich es sowieso nicht - aber egal was ihr tut, tut es immer fürs Volk.‹ Das habe ich mir zeitlebens zu Herzen genommen.« Dieser Glaubenssatz über alle ideologischen Grenzen hinweg sollte für Antoni eine ganz besondere Bedeutung haben: Der jüngste Sohn hatte sich zufällig bei der sozialistischen Jugend eingeschrieben, wurde so zunächst Mitglied der PSUC und später der Kommunistischen Partei, eben jener Partei, die sich während des Krieges zu erbitterten Gegnern der Anarchisten entwickeln sollte.

»Der Zufall hat unser Leben immer mehr bestimmt, als man vermuten könnte: Ich bin in erster Linie Kommunist geworden, weil ich neben kommunistischen Genossen gekämpft, von ihnen gelernt habe und die Partei mir oft aus der Patsche geholfen hat - mein Vater hätte das verstanden.« Bei seinem Bruder Alfons war es der Liebeskummer, der ihn weg von zu Hause trieb. »Ich hatte mich mit meiner Freundin verkracht und wollte ihr eins auswischen: Sie sollte sich ein paar Tage Sorgen machen.« Wer den beiden zuhört, wie sie von den Monaten an der Front erzählen, von der Panik, wenn neben ihnen die Kugeln einschlugen, vom ungeschickten Hantieren mit dem Gewehr, vom blinden Ins-Nichts-Schießen, versteht, warum Heldengeschichten immer erst hinterher entstehen: Im Chaos des Moments ist kein Platz dafür.

Antoni nahm an der Schlacht um Mallorca teil (»Dort habe ich zum ersten Mal eine nackte Frau gesehen: Eine schwedische Volksolympionikin, die sich den Milizen angeschlossen hatte: Ich war so aufgeregt, dass ich die Augen zugepresst habe.«); er kämpfte an der Front von Aragón.

Seinen Bruder traf er erst bei der Schlacht um den Ebro wieder, im Januar 1938. Just an dem Tag, als die Brüder sich wieder in die Arme schlossen, bombardierten sechs dreimotorige Flugzeuge aus Mussolinis in Mallorca stationierter Luftwaffe ihre Heimatstadt Barcelona. Bei dem Angriff starben 170 Zivilisten. Es sei die bisher schlimmste der faschistischen Racheaktionen gewesen, schrieb tags darauf die katalanische Tageszeitung »La Vanguardia«, »eine militärisch ungehörige und zugleich erbärmliche Aktion«. Auch Antonis und Alfons Vater war unter den Opfern. Er beackerte gerade das kleine Stückchen Garten, auf dem die Familie Kartoffeln pflanzte. »Wenn Glück und Unglück so nahe beieinanderliegen, prägt das ein Leben«, sagt Alfons und die feste Stimme wird einen Augenblick lang brüchig.

Die Kapitulation der republikanischen Armee sollte 1939 auch das Schicksal der Brüder trennen. Antoni floh mit 400 000 anderen Menschen über die Pyrenäen nach Frankreich, flüchtete nach dem Einmarsch der Deutschen nach Casablanca und zog mit seiner Frau erst 1945 nach Frankreich zurück. Während er in Paris in einem Hinterzimmer für die Kommunistische Partei Koffer mit doppeltem Boden bastelte, mit denen dann Dokumente nach Spanien geschmuggelt wurden, versuchte Alfons im Nachkriegsspanien ein kleines Geschäft aufzubauen. »Ich habe mich manchmal als Feigling gefühlt, weil ich geblieben bin«, sagt er. »Aber einer musste sich doch um unsere Mutter kümmern«, sagt Antoni. Sie schweigen, beide. Weiterkämpfen, um weiterzuleben, auf seine Weise folgte jeder dieser Maxime: Antoni in Paris und Alfons in Barcelona als Geschäftsmann und Wiederbegründer des Schwimmklubs an der Barceloneta: »Für mich ist der Klub immer eine zweite Heimat gewesen; ein Ort, an dem ich glücklich sein und mich frei fühlen konnte.«

Gesprochen haben die beiden nie viel über ihre Kriegserlebnisse, auch nicht, als Antoni 1963 nach einem Straferlass mit seiner Familie nach Barcelona zurückkehrte, in ein graues, ihm eigenartig fremdes Land. Doch irgendwann begannen die Enkel zu fragen; lokale, erinnerungspolitische Initiativen publizierten Bücher über das Leben im Bürgerkrieg. Und 2011 machte AltraItalia die beiden ausfindig. Der antifaschistische Verein suchte Zeugen für eine Klage die Aviazione Legionara, deren Bombardements den Tod von 5000 Barcelonesen verursacht hatten, auch den des Vaters der beiden. Alfons trat schließlich als Nebenkläger auf, froh über diesen Anstoß von außen. »Ich habe manchmal so etwas erwogen, aber niemals geglaubt, dafür Unterstützung zu finden.«

Jaume Asens, der Anwalt, der das immer noch offene Verfahren damals in die Wege leitete, sitzt heute als Stadtrat für die linksalternative Liste Barcelona en Comú im Rathaus. Auch auf seine Initiative hat Barcelona erstmals ein Budget für erinnerungspolitische Maßnahmen geschaffen. Zum 80. Jahrestag hat die Stadt heute vor öffentlichen Gebäuden große Leinwände mit einem zum Symbol für den republikanischen Widerstand gewordenen Foto aufgehängt: Das Porträt einer selbstbewusst in die Kamera blickenden Frau auf dem Dach des Hotel Colón, das Gewehr lässig um die Schulter gehängt, im Hintergrund die Stadt, aufgenommen in den ersten Bürgerkriegstagen. Darauf der Aufdruck: »Ich will Frieden, aber kein Vergessen.« Abends spielen Orchester in der ganzen Stadt Beethovens Ode an die Freude, mit der die Volksolympiade eröffnet werden sollte. Auch Antoni und Alfons Cànovas werden dann im Publikum sitzen, auf Ehrenplätzen. Für die beiden greisen Wassersportler aus der Barceloneta ist es eine kleine Entschädigung für das Spektakel, das wegen Francos Putsch nie stattfinden konnte.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal