Wimmern, Wabern und Schaben

Der Pianist Nils Frahm komponiert traurige Filmscores, macht aber auch verbummelten Postrock

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn der als Superpathos-Experte bekannte Woodkid, ein französischer Komponist und Designer, und der ursprünglich aus Hamburg stammende Pianist und Komponist Nils Frahm (der unter anderem für die zu Recht preisgekrönte Musik zu dem deutschen Film »Victoria« verantwortlich ist) ein Bündnis eingehen, um einen Soundtrack für einen Kurzfilm zu machen, wie klingt dann das Ergebnis?

Am Anfang steht eine Piano-Miniatur (»Winter Morning I«), die irgendwo zwischen dem Spätwerk von Mark Hollis und der seifigen Musik für einen Parfümwerbespot angesiedelt ist. Doch kurze Zeit später mündet die Musik in ein paar lang anhaltende Brumm-, Summ- und Wimmertöne (»Winter Morning II«), 15 Minuten, die wohl ein gerüttelt Maß an Traurigkeit und Nachdenklichkeit beim Hörer evozieren sollen.

Gleichzeitig zu den unheilvoll dräuenden Brumm- und verhaltenen Harmonium-Wimmertönen hören wir die Stimme Robert De Niros, die von den Erfahrung der Auswanderung erzählt und vom Versuch, nicht mehr Flüchtling zu sein, sondern Mensch. »I came here because I wanted a home, where I can find peace, where I can be treated like anyone else, where I can be anyone I want to be«, knarzt De Niro.

Es geht um das Versprechen der Freiheit und eines neuen Lebens, das viele Immigranten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA beginnen wollten. Und um das Risiko, zurückgeschickt zu werden ins Unglück.

Man habe mit dem Film und seiner Musik auch »ein Echo der Flüchtlingssituation in Europa schaffen« wollen, sagt Woodkid. Erlöse aus dem Verkauf der CD gehen an die Organisation Sea Watch, die versucht, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten.

De Niro spielt auch die zentrale Rolle in dem Kurzfilm, der von der neben der Freiheitsstatue gelegenen kleinen Insel Ellis Island erzählt: Zwölf Millionen Einwanderer wurden hier zwischen 1892 und 1954 abgefertigt. Seit das Eiland nicht mehr als ausgelagerte Einreisebehörde fungiert, verrotten einige Gebäude auf ihm langsam vor sich hin.

Überraschenderweise hat der umtriebige Frahm seine Finger aber auch in ganz anderen Projekten. Nonkeen nennt er beispielsweise die Band, in der er gemeinsam mit zwei Freunden (Bass und Schlagzeug) eine ebenso diffuse und unberechenbare wie kontemplativ-verdaddelte Postrock-Variante pflegt, bei der alten analogen Gerätschaften der Vorzug gegeben wird und die sich zur Gänze vom Konfektionsrockquatsch verabschiedet hat. Es herrscht der Geist der improvisierenden Herumbummelei und schläfrigen Verspieltheit. Statt mit zackigen Refrains hat man es mit einem unentschlossenen »Wabern und Schaben, Rutschen und Rieseln« (»Zeit Online«) zu tun. Eine erholsame Musik in einer Zeit, in der sonst alles gnadenlos auf Effektivität getrimmt wird.

Frahms Vater, so liest man, soll übrigens Fotograf sein. Dessen Bilder wiederum wurden schon zur Gestaltung der minimalistisch-abstrakten Cover des Neoklassik- und Tiefenentspannungsjazz-Labels ECM verwendet. Das passt ja irgendwie auch.

Woodkid/Nils Frahm/Robert De Niro: »Ellis - Soundtrack from the Short Film« (Erased Tapes/Indigo) Nonkeen: »Oddments Of The Gamble« (R&S Records/Alive)

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