Ein Jahr Gnadenfrist

Sechsstufiges Verfahren bis zur Sanktionsverhängung

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Es ist ein exakt vorgezeichneter Weg vom Reißen des Maastricht-Ziels bei der Neuverschuldung bis hin zu Strafen. Zahlreiche Defizitverfahren gegen EU-Länder wurden bereits eingeleitet, aber bislang immer vor der Verhängung von Sanktionen eingestellt.

Das Verfahren wurde im Stabilitäts- und Wachstumspakt aus dem Jahr 1997 festgelegt. Vor allem die deutsche Regierung drängte seiner Zeit darauf, den vier Konvergenzkriterien für die Schaffung eines Währungsraumes eine gewisse Verbindlichkeit zu bringen. Als besonders wichtig gilt das Defizitkriterium: Die Neuverschuldung eines Staates darf im Jahr nicht mehr als drei Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen. Begründet wurde dieses damit, dass hohe Defizite die Inflation anheizen und dadurch die Gemeinschaftswährung schwächen würden. Kritiker sprechen von einer willkürlichen Festlegung oder meinen, ein Zusammenhang von Verschuldung und Währungsschwäche sei weder empirisch noch modellhaft begründbar. Linke Ökonomen meinen, dass der Zwang zum Sparen in Krisenzeiten die Probleme noch verschärfe.

Dennoch regelt der Stabilitäts- und Wachstumspakt exakt, wie ein Defizitverfahren abzulaufen hat. Die Details wurden im Laufe der Zeit je nach politischer Großwetterlage erst entschärft und dann Ende 2011 während der Schuldenkrise erheblich verschärft. Zunächst übermitteln die Euroländer in der ersten Stufe die aktuellen Budgetzahlen an die EU-Kommission. Liegt das Defizit über der Drei-Prozent-Marke, wird geprüft, ob dies auf eine Rezession oder eine schwere Naturkatastrophe zurückzuführen ist. In allen anderen Fällen erstellt die EU-Kommission in der zweiten Stufe einen Bericht an den Finanzministerrat (ECOFIN). Dieser entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, ob besondere Umstände vorliegen, die das hohe Defizit rechtfertigen. Ist dies nicht der Fall, beginnt in der dritten Stufe spätestens drei Monate nach der Datenübermittlung das eigentliche Defizitverfahren. Das betreffende Land bekommt vier Monate Zeit, um Maßnahmen zu ergreifen, und ein Jahr für die Defizitreduzierung. In der vierten Stufe prüfen ECOFIN und EU-Kommission, ob entsprechende Schritte eingeleitet wurden. Wenn nicht, werden Empfehlungen veröffentlicht. Spätestens ein Monat später setzt der Ministerrat in der fünften Stufe das Land mit der Maßgabe in Verzug, das Defizit abzubauen. Kommt es den Vorgaben nicht ausreichend nach, werden spätestens ein Jahr nach der ersten Stufe in der sechsten Stufe Strafen verhängt.

Ein Land, das nicht auf die Empfehlungen im Zuge einer Frühwarnung durch den ECOFIN reagiert, kann zu verzinslichen Einlagen von 0,2 Prozent des BIP verpflichtet werden. Missachtet es die Empfehlungen weiter, kann die Einlage in eine Geldbuße umgewandelt werden. Kurt Stenger

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