LINKE wirft Merkel Verharmlosung von Erdogan vor

Bundeskanzlerin auf der Pressekonferenz: Türkei müsse »Gebot der Verhältnismäßigkeit« beachten / Neun-Punkte-Plan gegen »islamistischen Extremismus« vorgestellt

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte am Donnerstag vor Journalisten in Berlin, dass die türkische Regierung in ihrer Reaktion auf den Putschversuch das »Gebot der Verhältnismäßigkeit« achten müsse. Sie zeigte sich laut »Tagesschau« besorgt über die jüngsten Entwicklungen in dem Land. »Die Sorge besteht darin, dass sehr hart vorgegangen wird und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.« Die Bundesregierung habe ein großes Interesse daran, bekräftigte sie.

Die Ko-Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, kritisierte Merkels Äußerungen: »Merkel nennt Erdogans Terror gegen Andersdenkende ›nicht verhältnismäßig‹. Das ist wirklich brutalste Schönfärberei«, schreibt die Politikerin auf Twitter. Auch die LINKEN-Abgeordnete Sevim Dağdelen äußerte sich empört: »Prinzip der ›Verhältnismäßigkeit‹ nicht immer gewahrt? Merkel verharmlost bei der Bundespressekonferenz Erdogans Gegenputsch. Schlimm!«

Dağdelen kritisierte ebenso die angekündigten Maßnahmen der Kanzlerin, um gegen Fluchtursachen vorzugehen: »Merkel will Fluchtursachen bekämpfen? Wieso fängt sie nicht mit dem Stopp von Rüstungsexporten, Bundeswehreinsätzen und TTIP an?«

Kanzlerin Merkel hatte in der Bundespressekonferenz angekündigt, Bürger zurückgewinnen zu wollen, die wegen der Flüchtlingspolitik mit der AfD sympathisieren. »Natürlich haben die Entscheidungen, die wir getroffen haben, auch im Blick auf die Frage unser humanitären Verantwortung, Gegenreaktionen hervorgerufen, und Menschen, die das nicht mittragen«, sagte die CDU-Chefin auf eine Frage zum Aufstieg der AfD am Donnerstag in Berlin. Sie fügte hinzu: »Deshalb werden wir durch Taten alles daran setzen, Menschen, die heute sich vielleicht nicht ausreichend verstanden fühlen, wieder zurückzugewinnen in die Wählerschaft der Parteien, die zum Beispiel heute im Deutschen Bundestag vertreten sind.«

Die Regierungschefin hatte in der Bundespressekonferenz auch über die Sicherheitslage in Deutschland gesprochen. Zur Verbesserung wurde ein Neun-Punkte-Plan gegen islamistischen Extremismus angekündigt. Es werde Übungen geben für »terroristische Großlagen«, in die die Bundeswehr eingebunden werde, kündigte Merkel am Donnerstag in Berlin an. Dies könne unter Führung der Polizei auf der Basis des Grundgesetzes geschehen.

Merkel kündigte zudem an, dass die »Rückführungsanstrengungen« verstärkt werden müssten. Dabei sei zwar schon »einiges erreicht« worden. »Wir sind aber nicht so vorangekommen, wie das gewünscht wird.« Zum Beispiel müsse weiter mit Afghanistan zusammengearbeitet werden, um innerstaatliche Fluchtalternativen zu finden und auch Rückführungen möglich zu machen.

Das Konzept beinhalte außerdem ein »besseres Frühwarnsystem«, das Behörden ein Tätigwerden auch ermögliche, wenn bei Asylverfahren Hinweise auf eine Radikalisierung erkennbar würden. Auf europäischer Ebene forderte Merkel eine schnellstmögliche Vernetzung aller bestehenden Dateien, zudem müsse so rasch wie möglich das europäische Waffenrecht verabschiedet werden. Damit solle der Onlineverkauf von Waffen unterbunden werden.

Zudem müsse die Kooperation mit befreundeten Diensten verstärkt werden, auch um das Kommunikationsverhalten der Täter besser analysieren zu können. Darüber habe sie mit US-Präsident Barack Obama gesprochen, sagte Merkel. »Wir haben es mit einer großen Bewährungsprobe zu tun.«

Zu den mutmaßlich islamistischen Anschlägen von Würzburg und Ansbach sowie in Frankreich und anderen Ländern sagte Merkel, damit würden »zivilisatorische Tabus gebrochen«. Die Taten würden an Orten verübt, »an denen jeder von uns sein könnte«. Es werde alles getan, »um diese barbarischen Taten aufzuklären und die Hintermänner aufzuspüren«.

Dass zwei Flüchtlinge für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, »verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat«, sagte Merkel weiter. Dies verhöhne auch die vielen anderen Flüchtlinge. Die Terroristen wollten erreichen, »dass wir den Blick für das, was uns wichtig ist, verlieren«. Sie wollten »unser Miteinander zersetzen«, indem sie Hass und Angst zwischen den Kulturen und zwischen den Religionen säten.

Zugleich bekräftigte Merkel, am bisherigen Kurs in der Flüchtlingspolitik festzuhalten. Sie habe vor elf Monaten gesagt, dass es keine einfache Sache werde, »die wir nebenbei erledigen können«. Sie stehe aber zu den Grundentscheidungen, »die wir getroffen haben«, sagte sie.

Merkel bekräftigte ihre Äußerung vom vergangenen Jahr: »Wir schaffen das, und wir haben in den letzten elf Monaten viel geschafft.« Sie zeigte sich zuversichtlich, dass auch die neue Herausforderung der islamistischen Gewalt bewältigt werde. nd/Agenturen

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