Aus Rechtsstaat soll rechter Staat werden

Die jüngsten Terroranschläge in Frankreich nimmt die rechte Opposition zum Anlass, die Regierung von Präsident Hollande zu destabilisieren

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausnahmegesetze, Vorbeugehaft, Hausarrest und Ausweisungen - das sind Vorschläge der rechten Opposition zur Sicherheitspolitik. Ihr zynischer Propagandafeldzug bringt die regierende Linke in Bedrängnis.

Sie hätte ein Zeichen des Zusammenhalts der Republik angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus sein können. Schließlich nahmen an der Gedenkmesse am Mittwochnachmittag in der Pariser Kathedrale Notre-Dame für den am Vortag in Saint-Etienne-du-Rouvray ermordeten Pfarrer Jacques Hamel neben Präsident François Hollande und den Ministern der Regierung auch zahlreiche Vertreter der rechten Opposition teil. Angeführt wurden sie von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und seinem Premier François Fillon.

Doch das Bild trog. Tatsächlich nutzt die Opposition die Terrorakte, die sich seit Januar 2015 in immer schnellerer Folge in Frankreich abspielen, zynisch für einen Propagandafeldzug gegen die regierende Linke und vor allem ihren Präsidenten. Indem man sie diskreditiert und destabilisiert, will die Rechte schon heute den Boden für den Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 bereiten. So waren am Abend des 14. Juli noch nicht alle Opfer des Mord-Lkw auf der Uferstraße von Nizza weggeräumt, da prangerte schon der ehemalige Bürgermeister der Stadt und jetzige Präsident der Region, Christian Estrosi, vor laufenden Fernsehkameras die Regierung an: Sie habe Nizza im Stich gelassen und ausreichenden Polizeischutz für das Feuerwerk am Abend des Nationalfeiertages verweigert. Innenminister Bernard Cazeneuve hielt dagegen und erklärte, Nizza habe zur Verstärkung der Kommunalpolizei für den Nationalfeiertag genauso viele Angehörige der Nationalen Polizei bekommen wie vor Monaten beim Karneval von Nizza und kürzlich bei den hier ausgetragenen Spielen der Fußballeuropameisterschaft. Daraufhin wurde er von Estrosi und anderen rechten Politikern der Lüge bezichtigt.

Inzwischen hat die neutrale Polizeiaufsichtsbehörde IGPN als Ergebnis einer Untersuchung festgestellt, dass die Sicherheitsvorkehrungen und die Polizeipräsenz am 14. Juli in Nizza »angemessen und nicht unterdimensioniert« waren. Für die Sommersaison setzt die Regierung 23 500 zusätzliche Kräfte ein - Reservisten der Armee, der Gendarmerie und der Polizei. Nicht nur offizielle Stimmen, auch der zur Opposition gehörende Zentrumspolitiker Jean-Christophe Lagarde mahnt, »nicht in die Falle der Islamisten zu tappen, die Chaos und Schrecken verbreiten und uns gegeneinander aufhetzen wollen«.

Das hält Scharfmacher der Rechten nicht davon ab, mit mehr oder weniger unsachlichen Vorwürfen auf die Regierung einzuschlagen. Der Oppositionsführer und Parteivorsitzende der rechten Republikaner, Nicolas Sarkozy hatte vor Jahren erst als Innenminister und dann als Präsident die Zahl der Sicherheitskräfte um 12 000 Polizisten und Gendarmen verringert. Jetzt fordert er von der Regierung »durchgreifende« und »gnadenlose« Maßnahmen. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn wir stehen im Krieg«, erklärt Sarkozy.

Der sicherheitspolitische Sprecher seiner Partei, Eric Ciotti, fordert in diesem Sinne ein Ausnahmegesetz, um alle als radikalisiert bekannten Islamisten im Land in Vorbeugehaft zu nehmen oder zumindest unter Hausarrest zu stellen und die Ausländer unter ihnen unverzüglich in ihre Heimat abzuschieben. Darüber hinaus sei der Zustrom von Flüchtlingen aus »Risikozonen« unverzüglich »mit allem Mitteln zu stoppen«.

Hervé Morin, ehemaliger rechter Verteidigungsminister und heute Präsident der Region Normandie, wo sich der jüngste Terroranschlag und Mord an einem Pfarrer abgespielt hat, regt an, sich von der Sicherheitspolitik Israels »inspirieren« zu lassen. »Frankreich hat jahrzehntelang in Frieden gelebt«, meint er. In dieser Zeit habe Israel opferreiche Erfahrungen mit dem Terrorismus gemacht und gelernt, sich auf jede nur mögliche Art dagegen zu schützen. »Davon könnten wir heute lernen.« Ein Zeitungskommentar bringt es auf den Punkt: »Diese Politiker wollen um jeden Preis aus dem Rechtsstaat einen rechten Staat machen.«

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