Linkspartei fordert Sanktionen gegen Erdogan

Dagdelen plädiert für Kontensperrung »wegen brutaler Verfolgungspolitik« / Grüne: Anti-Asyl-Deal mit der Türkei war von Anfang an falsch

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Das autokratische Regime in der Türkei stößt mit seinen Repressionen im Land und den Drohgebärden Richtung Europa auf immer heftigere Kritik. Doch wie darauf reagieren? Die Bundesregierung will den umstrittenen Anti-Asyl-Deal zur Rücknahme von Geflüchteten aus der EU nicht scheitern lassen, weil man keine Alternative dazu sieht. Die Linken und die Grünen haben das Abkommen schon immer kritisiert - und fordern legale Fluchtwege nach Europa. Gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Linkenpolitikerin Sevim Dagdelen nun abermals auch Wirtschaftssanktionen ins Spiel gebracht.

Mit Blick auf den Pro-Erdogan-Aufmarsch am Sonntag in Köln sagte sie der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, es könne »nicht nur um ein Zuschaltverbot bei Demonstrationen gehen. Wir brauchen wegen seiner brutalen Verfolgungspolitik mit Folter und Massenverhaftungen in der Türkei endlich Sanktionen gegen Erdogan. Seine Konten müssen gesperrt werden.« Dagdelen forderte zudem, die Entsendung von Imamen nach Deutschland zu stoppen und die Staatsverträge mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) aufzukündigen: »Wer Ditib in die deutschen Klassenzimmer lässt, lässt quasi Erdogan in die Klassenzimmer.«

Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, forderte die EU auf, sich in der Flüchtlingsfrage von der Türkei unabhängig zu machen. Dafür müssten »legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa« ermöglicht werden. Es sei von Anfang an falsch gewesen, sich dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan »über das Türkei-Abkommen auszuliefern«, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Wer in Aleppo nicht hilft und sich vor geregelter Aufnahme von Flüchtlingen in Europa drückt, wird immer wieder neue Probleme bekommen«, sagte sie.

Grünen-Chef Cem Özdemir warf der Türkei vor, mit ihrer Drohung einer Aufkündigung des Flüchtlingspaktes auch die geplante Visafreiheit für Türken bei Reisen in die EU aufs Spiel zu setzen. »Wenn der türkische Außenminister nun ein Ultimatum setzt, verkennt er, dass der Ball bei der türkischen Regierung liegt«, sagte Özdemir der »taz«. Die Menschen in der Türkei sollten nicht bestraft werden, betonte Özdemir. »Deshalb muss der Visumszwang aufgehoben werden, indem Ankara die vereinbarten Voraussetzungen dafür erfüllt.«

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die Drohungen der türkischen Regierung, den Flüchtlingspakt scheitern zu lassen, derweil scharf kritisiert. »Es bringt jetzt nichts, sich gegenseitig Ultimaten zu stellen und zu drohen«, sagte Steinmeier der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post«. Forderungen nach einem Plan B der EU für den Fall eines Scheiterns des Flüchtlingspakts lehnte Steinmeier ab. »Wir sollten uns an das halten, was vereinbart worden ist.«

Steinmeier betonte, dass die Kriterien für eine Visafreiheit nicht erfüllt sind. »Es gibt Bedingungen für die Visafreiheit, und diese sind allen Seiten bekannt. Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um diese Bedingungen zu erfüllen. Das ist momentan allerdings noch nicht der Fall und die Türkei hat da noch Arbeit vor sich.« Auch die Beitrittsgespräche mit der Türkei dürften nicht auf Eis gelegt werden, sagte Steinmeier. »Verbindungen kappen, das ist das denkbar schlechteste Mittel von Politik.« Eine Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde allerdings die Suspendierung der Beitrittsverhandlungen zur Folge haben, so der SPD-Minister. »Das wäre mit europäischen Werten nicht vereinbar.«

Auch Führende CDU-Politiker haben das Ultimatum der Türkei, das Flüchtlingsabkommen platzen zu lassen, wenn bis Mitte Oktober die Visapflicht nicht gefallen sei, entschieden zurückgewiesen. »Erpressung ist kein Mittel der Politik«, sagte CDU-Vize Thomas Strobl der »Rheinischen Post«. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, warnte Ankara vor eigenen Nachteilen. »Mit derlei Drohungen setzt die Türkei weitaus mehr aufs Spiel als ein Flüchtlingsabkommen«, sagte Krichbaum.

Dagegen rief der Vizepräsident des EU-Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff, die Bundesregierung zu einer diplomatischen Initiative auf. »Die Türkei weiß genau, dass sie ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht hat«, sagte Lambsdorff der Redaktion. Andererseits gelinge es aber auch der Bundesregierung nicht, in dieser heiklen Lage, die Gemüter zu beruhigen. »Jetzt ist Diplomatie gefragt, nicht Gepolter«, sagte der FDP-Politiker.

Unterdessen sich hat das türkische Außenministerium offiziell beim Gesandten der deutschen Botschaft in Ankara über das Verbot einer live übertragenen Rede von Erdogan bei der Kundgebung Köln beschwert. Vertreter des Ministeriums hätten die »Enttäuschung und Verärgerung« darüber »eindringlich« zum Ausdruck gebracht, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu. Das türkische Außenministerium hatte den Gesandten einbestellt, was im diplomatischen Verkehr einer Rüge entspricht.

Da Botschafter Martin Erdmann im Urlaub war, nahm der Gesandte Robert Dölger den Termin wahr. Bei der Pro-Erdogan-Demonstration am Sonntag war die geplante Übertragung einer Rede des Präsidenten verboten worden. Dölger sei im Ministerium dargelegt worden, ein solches Verhalten der Behörden eines »Verbündeten«, der sich auf die gemeinsamen Werte der Demokratie berufe, sei »inakzeptabel«. Dass wegen des Verbots die Botschaft des Präsidenten in Köln habe verlesen werden müssen, wurde laut Anadolu ebenfalls kritisiert. Bereits am Sonntag hatten Vertreter der türkischen Regierung das Verbot der Übertragung scharf kritisiert. Der Justizminister Bekir Bozdag sprach etwa von einer »Schande« für Demokratie und Recht. Agenturen/nd

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