Der letzte Auftritt

Bundestrainerin Silvia Neid will zum Abschied mit den Fußballerinnen in Rio Gold gewinnen

  • Frank Hellmann, São Paulo
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Assistenztrainerinnen Ulrike Ballweg und Steffi Jones oder Torwarttrainer Michael Fuchs haben in dem schwarzen Shirt posiert, auf dem in Großbuchstaben »Germany« aufgedruckt ist und das zur offiziellen Ausstattung deutscher Olympiateilnehmer zählt. Nur Silvia Neid hat sich für das Programmheft, in dem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) über seine Frauen- und Männer-Nationalmannschaft im Zeichen der Ringe informiert, anders gekleidet: stilvoll mit Bluse, Blazer und Kettchen. Sieht definitiv besser aus. Es passt auch besser zum Anlass: Wenn die Fußballerinnen mit dem ersten Gruppenspiel gegen den Außenseiter Simbabwe die sportlichen Wettkämpfe aus deutscher Sicht in der Corinthians-Arena von São Paulo eröffnen, dann läuft gleichzeitig die Abschiedstournee der Bundestrainerin an.

Nur will die 52-Jährige diesen Fakt nicht überbewerten. »Ich bin total entspannt und genieße jeden Tag. Ich verspüre gar keine Wehmut. Ich habe lange genug die Nationalmannschaft betreut.« Für die künftige Leiterin einer Scouting-Abteilung Frauen- und Mädchenfußball liegt der Fokus darauf, die Ära erst am 19. August im berühmten Maracanã in Rio mit dem Finale enden zu lassen. Acht Jahre diente sie als Assistentin unter Tina Theune, besetzte elf Jahre lang die Chefrolle - selbst ihre bald 34-jährige Kapitänin Saskia Bartusiak kann sich ein Nationalteam ohne Silvia Neid nur schwer vorstellen: »Selbst in meiner langen Karriere als Nationalspielerin war sie immer präsent. Und ihre Erfolge sprechen für sich - das muss ihr erst einmal einer nachmachen.«

Zweimal Europameister (2009 und 2013), einmal Weltmeister (2007) als Höhepunkte - der Tiefpunkt ereignete sich ausgerechnet bei der Heim-WM 2011, als die Fußballlehrerin wie nie zuvor ob ihrer fachlichen Fähigkeiten in die Kritik geriet. Die nach eigener Aussage »ganz schwierige Phase« hätte sie ohne die Rückendeckung des damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger kaum durchgestanden.

Zwanzigers Nachfolger Wolfgang Niersbach fädelte vor 16 Monaten handstreichartig die Nachfolgelösung ein: Der DFB-Direktorin Steffi Jones ohne jede Trainererfahrung das Amt zu übertragen, davon zeigte sich auch Silvia Neid (»Ich hätte das nicht gemacht«) im ersten Moment überrascht. Die 43-Jährige ist mittlerweile als zweite Co-Trainerin an ihrer Seite, und längst zeichnet sich ab, dass sie einige andere Akzente setzen will.

Es wäre allerdings zu einfach, nur zu behaupten, unter der meist frohgemuten Frankfurterin werde mehr gelacht als unter der bisweilen etwas sperrig wirkenden Odenwälderin. »Vielleicht lernt man ja als Bundestrainerin, distanzierter zu sein und sich wirklich nur noch zum Sportlichen zu äußern«, sagte sie jüngst. »Als Mensch bin ich ganz anders. Ich bin total lustig, ich tanze unheimlich gerne und bin ein sehr geselliger Mensch.« Trotzdem hat sie eben nicht vor allem und jedem eine Verbeugung gemacht.

Bei einem Hintergrundgespräch in der kanadischen Metropole Montreal zweifelte sie vor einem Jahr ernsthaft die Existenzberechtigung des Olympischen Fußballturniers an, wenn der aus ihrer Sicht wenig professionelle Rahmen - nur 18 Spielerinnen im Aufgebot, kleiner Betreuerstab, Spiele im Drei-Tages-Takt - nicht verbessert würden. Sie, die einst aus dem baden-württembergischen Walldürn auszog, um als Spielerin und Trainerin weltweit beachtete Erfolge im Frauenfußball zu erringen, konnte in diesem Moment nicht aus ihrer Haut.

Obwohl die deutsche Delegation seit dem Wochenende mit den anderen Gruppengegnern (neben Simbabwe noch Australien und Kanada) in einem riesigen Hotel-Betonklotz im Millionen-Moloch São Paulo untergebracht ist (wovon jede Fahrt zu einem Training ungefähr die Länge eines Fußballspiels dauert), betont Silvia Neid nun das Besondere an Olympia: »Jeder fiebert für den anderen mit. Wir sind alle eine große Familie. Das ist ein Wahnsinnsgefühl.«

Ihre Spielerkarriere endete in genau jenem Rahmen. Nur verpasste Deutschland bei den Spielen 1996 nach einem 1:1 gegen Brasilien den Halbfinaleinzug - es war das 111. und letzte Länderspiel der blonden Spielmacherin. »Für mich schließt sich daher ein Kreis.« 20 Jahre später hat sie die Messlatte nicht eben niedrig gelegt. Gold soll es nach dreimal Bronze (2000, 2004 und 2008) bitte sein. Denn ohne das Endspiel würden die deutschen Frauen den Zuckerhut gar nicht zu Gesicht zu bekommen, was ja besonders schade wäre.

Anders als bei der WM 2015 in Kanada kann die Bundestrainerin nicht das Argument anführen, die Spielerinnen seien teils in einem katastrophalen körperlichen Zustand zu ihr gekommen. An den mindestens dreiwöchigen Urlaub jeder Spielerin schloss sich eine fast siebenwöchige Vorbereitung inklusive vier Lehrgängen und einem Testspiel (11:0 gegen Ghana) an - Voraussetzungen, von denen das Männerteam nur träumen kann. Dagegen haben die Frauen definitiv den schwereren Spielplan erwischt: Schon im Viertelfinale ist ein Duell mit den spielstarken Französinnen oder den US-Girls als Weltmeister und Olympiasieger wahrscheinlich. Aber wie sagt Silvia Neid? »Für uns gibt es keine Angstgegner.«

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