Protestieren und anbieten

Wo ist das wirtschaftspolitische Zentrum der Linkspartei, wo sind die Antworten auf praktische Fragen? Ein Diskussionsbeitrag

  • Rolf Sukowski
  • Lesedauer: 9 Min.

Vor einer Woche hat sich Tom Strohschneider zur Frage geäußert, was es mit der linken Wirtschaftskompetenz auf sich hat. Damit hat er im Vorfeld der nächsten Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2017 eine sehr interessante Diskussion angestoßen. Und wie wir die Linke in Deutschland kennen, wird diese Diskussion kontrovers werden. Auch beim OWUS-Stammtisch im November vorigen Jahres wurde festgestellt, dass die gesellschaftlichen Linke [ganz bewusst »Linke« klein geschrieben] in Deutschland nicht als wirtschaftspolitische Gestaltungskraft gesehen wird. Gemeinsam mit dem Chefredakteur diskutierten wir damals die Rolle von SYRIZA und anderen linken Bewegungen in Südeuropa.

Woran liegt es nun, dass es diesen »interessegeleiteten Aberglauben« gibt? Ist es eine Mär, die von den Verfechtern der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik in die Welt gesetzt, gehegt und gepflegt wird? Oder sind es vielleicht auch so manche linke Protagonisten, die ihren Beitrag dazu leisten, dass dieser Aberglauben kräftig genährt wird?

Was ist denn nun eigentlich Wirtschaftskompetenz und wie stellt sie sich dar? Vielleicht hängt davon die Erklärung mit ab, wer diese Kompetenz qua Geburt verinnerlicht hat und wer sie aus dem gleichen Grund nie erreichen wird. Der Musterschüler in Fragen Wirtschaftskompetenz ist und bleibt nun mal die FDP, der Wähler hatte dies kurzzeitig vergessen und Brüderle & Co. eine Ruhepause verordnet. Jetzt hebt sie »geläutert« wieder ihr Haupt und versucht in die Parlamente zurückzukehren. Vor einigen Jahren meldete das »Handelsblatt« (April 2011), Minister Brüderle hätte die eigene Politik mit »wirtschaftlicher Vernunft« legitimiert! Der Minister ergänzte seine Erkenntnis mit dem Hinweis »Die FDP muss weiter die Partei von Maß und Mitte sein. Sie hat durch ihren Kurs der Vernunft wichtige Weichenstellungen überhaupt erst möglich gemacht« »Ohne die FDP sähe die Republik anders aus.«

Die FDP ist also das Maß der Mitte – die Wähler hatten allerdings Mittelmaß verstanden. Wichtige Weichenstellungen hat nur die FDP ermöglicht – es wird aber nicht gesagt, wo das befahrene gelbe Gleis hinführt. Jeder Modelleisenbahner weiß, es gibt auch Weichenstellungen, die auf ein Abstellgleis führen. Und am Ende steht ein Prellbock, ungebremst ist der Kontakt damit sehr schmerzhaft – siehe Bundestagswahl 2013.

Uneingeschränkt zustimmen muss man allerdings dem Minister i.R., dass die Republik ohne FDP anders aussehen würde. Das stimmt, wir haben jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn! Tom Strohschneider zählt in seinem Beitrag die Wirtschaftsminister nach ihren Parteibüchern auf. Es waren alles kompetente Männer (legendär soll ein Zwischenruf im Bundestag sein: »Wir hatten einen Bangemann, einen Haussmann, einen Möllemann – wann bekommen wir einen Fachmann?«), wirtschaftskompetente Frauen gibt es anscheinend nicht in den so genannten Volksparteien (in der DDR gab es eine – Christa Luft, Wirtschaftsministerin 1989/1990) .

Was hat nun diese männlich dominierte Wirtschaftskompetenz geschafft? Es kommt dann eine geballte Ladung von Erfolgsmeldungen, die an alte Zeiten im Zentralorgan erinnern. Aber zu den »Erfolgen« dieser Wirtschaftskompetenten gehören auch Wirtschaftskrisen, Euro-Krisen, Austeritätspolitik, Leistungsbilanzüberschüsse, Kinder- und Altersarmut, steigende Rüstungsexporte, Ungleichheit zwischen Nord und Süd usw. Das wird dann gern unter den Tisch gekehrt, daran sind andere Schuld. Aus ihrer Sicht stehen sich Linke und Wirtschaft ungefähr so gegenüber wie ein Vegetarier dem Fleischerhandwerk und hat natürlich keinerlei Kompetenz auf diesem Gebiet. Die einzige Kompetenz sei das Ruinieren einer ganzen Volkswirtschaft, das hätte die LINKE am Beispiel der DDR-Volkswirtschaft ja überzeugend gezeigt (die Kompetenz vieler DDR-Generaldirektoren, die sich hinter heutigen Konzernlenkern nicht verstecken müssen, im Gegenteil, wird dabei ignoriert). Dass man eine Volkswirtschaft auch ohne Planwirtschaft ruinieren kann, versucht die Finanzwirtschaft ständig zu beweisen. Kernländer der Marktwirtschaft stehen vor dem Staatsbankrott – diese utopische Vorstellung gab es noch nicht einmal im Parteilehrjahr.

Die Frage »Wirtschaftskompetenz der gesellschaftlichen Linken« steht deshalb im Raum und muss beantwortet werden. Man kann weit ausholen – Aristoteles hat vor über 2.000 Jahren den Begriff der Oikonomia für die natürliche Erwerbskunst geprägt. Diese Oikonomia - als Hausverwaltungskunst übersetzt – soll der Bedürfnisbefriedigung der Menschen durch die Beschaffung und Bewahrung der Güter, die für das Haus und den Staat nützlich und notwendig sind, dienen. Dieses Wort Oikonomia wurde zum Bestandteil der Alltagssprache vieler Völker. Aristoteles kannte auch eine widernatürliche Erwerbskunst. Er nannte sie Chrematistik, diesen Begriff haben die Völker wohlweislich nicht in ihren Sprachschatz übernommen. Manchmal scheint das Volk doch weiser zu sein als seine »Repräsentanten«. Diese widernatürliche Erwerbskunst ist durch das Streben nach Kapitalakkumulation geprägt – Tausch nicht zur Bedürfnisbefriedigung sondern zum Anhäufen von Reichtum. Und genau das predigt der herrschende Teil der Wirtschaftsakteure.

Die Auffassung des geistigen Vaters des Neoliberalismus Milton Friedmann, dass die soziale Verantwortung der Wirtschaft darin besteht, den Profit zu erhöhen, spiegelt genau dies wider. Wofür hat die Linke also Kompetenz? Ihre Kompetenz liegt bei der Oikonomia in Verbindung mit sozialer Verantwortung, nicht aber für Chrematistik. Da die Chrematistiker in der Öffentlichkeit dominieren, wenn wundert’s, dass sie dann den Oikonomen jegliche Kompetenz absprechen. Darauf könnte die Linke sogar stolz sein, denn Kapitalakkumulation ist nun tatsächlich nicht ihr Ding, auch qua Geburt.

Wenn die Linken also Wirtschaftskompetenz in Oikonomia haben – warum wird sie mitunter so schamhaft versteckt? In Programmdiskussionen und auf Parteitagen werden messerscharfe Polemiken über philosophische Grundfragen eines demokratischen Sozialismus debattiert, als ob schon morgen eine Volksabstimmung dazu anstünde. Transformationsmodelle werden entwickelt und mit Leidenschaft diskutiert. Manche Linke überbieten sich mit Umverteilungsvorschlägen, es gibt den Wettbewerb – wer fordert den höchsten gesetzlichen Mindestlohn usw.. Einigkeit besteht mitunter in der Frage, wer ist Schuld an allem – DIE Unternehmer! Aber ohne eine florierende Wirtschaft geht dies nun mal alles nicht.

Es kann (und muss) nur umverteilt werden, was vorher produziert wurde! Diese Binsenweisheit müsste eigentlich auch den Vertretern der »reinen Lehre« klar sein. Die vor einigen Jahren in einer linken ökologischen Konferenz geäußerte Vorstellung, eine demokratisch-sozialistische Volkswirtschaft sei mehr handwerklich als großindustriell organisiert, erscheint sehr fragwürdig. Wer Science-Fiction-Filme sieht – ein Handwerker hat die Raumschiffe der Zukunft bestimmt nicht gebaut (wobei interessanterweise in diesen Filmen nicht unbedingt von Kapitalismus gesprochen wird, das hat alles etwas urkommunistisches an sich).

Wo ist nun die Wirtschaftskompetenz der Linken? In vier Landesregierungen war bzw. ist die LINKE beteiligt und stellte in Schwerin, Potsdam und Berlin den Wirtschaftsminister, in Potsdam jetzt den Finanzminister; in Erfurt sogar den Ministerpräsidenten. Hat die SPD diese Ressorts dem kleineren Koalitionspartner als Kuckuckseier untergeschoben oder war man der Meinung, vielleicht können die es doch? Die prognostizierten fluchtartigen Absatzbewegungen der »Wirtschaft« waren weder aus Mecklenburg-Vorpommern noch aus Berlin oder Brandenburg festzustellen. Auch in Thüringen scheint aktuell keine besorgniserregende Fluktuation stattzufinden. Die »unpolitische Wirtschaft« hielt ihre Wahlversprechen nicht ein und blieb im Land, offensichtlich machten die betreffenden Minister einen guten Job. Berlin zehrt heute noch von der durch Harald Wolf verantworteten Wirtschaftspolitik. Dazu kommen die Wirtschaftsfachleute in den Landtagsfraktionen, Kommunalpolitiker auf den verschiedenen Ebenen – Landräte und Bürgermeister. Auch in der Bundestagsfraktion sind solche ausgewiesenen Fachleute anzutreffen. Es gibt sogar einen Unternehmerverband, der sich als links- und gemeinwohlorientiert charakterisiert. Die Partei hat also praktische Wirtschaftskompetenz, allerdings nicht im Interesse der Großkonzerne in Industrie und im Bankensektor, der Heerscharen von Lobbyisten sowie der alles beherrschenden Mainstream-Medien. Dies überlassen wir dann doch lieber den etablierten Wirtschaftskompetenzträgern (»Nieten in Nadelstreifen« hieß mal ein Bestseller).

Aber, liebe Freunde vom Parteivorstand und der Bundestagsfraktion (in dieser Reihenfolge) – warum versteckt Ihr diese Kompetenz? Wo ist das wirtschaftspolitische (nicht wirtschaftstheoretische) Zentrum der Partei, in dem gebündelte Wirtschaftskompetenz Antworten auf praktische und nicht nur auf visionäre Fragen gibt? Soziale Gerechtigkeit, höhere Hartz-IV-Sätze usw. müssen finanziert werden!

Und dazu braucht man WIRTSCHAFT! Dazu braucht man die vielen Tausende von kleinen und mittelständischen Unternehmen, von Solo-Selbständigen und Freiberuflern. Sie sind das Rückgrat dieser Wirtschaft. Auch ihre Interessen muss eine Partei vertreten, die zumindest in den neuen Bundesländern das ist, was man allgemein als Volkspartei bezeichnet. Der Berliner Linkenpolitiker Udo Wolf erklärte bei einem Unternehmerfrühstück im Juli, die LINKE hat ihre Erfolge in der Berliner Landesregierung schlecht kommuniziert. Genau das scheint das Problem zu sein. Tu was Gutes und rede auch darüber, überlass nicht dem politischen Wettbewerber die Früchte Deiner Arbeit!

Aber lieber wird darüber debattiert, ob die LINKE nun Angebots- oder Protestpartei sein will. Sie muss protestieren UND anbieten, anders kommt man nicht in eine Landesregierung und wird wiedergewählt, mitunter auch abgewählt. Aber das geht den wahren Wirtschaftskompetenten auch so – siehe FDP. Und wer die Gesellschaft (um)gestalten will, muss auch den Weg in die Parlamente gehen. Und dorthin kommt man nur auf den Weg über die Wahlurne.

Warum tun sich einige Vertreter der LINKE beispielsweise so schwer im Umgang mit Unternehmern? Ist es die Angst vor Kritik aus den eigenen Reihen, man würde mit den Ausbeutern paktieren? Freiwilliges oder unfreiwilliges Unternehmertum ist heute für Millionen von Menschen und deren Familien in diesem Land Erwerbstätigkeit und nicht Ausbeutung der Mitarbeiter, die Selbstausbeutung ist mitunter höher als die »Fremdausbeutung«. Ist es Bequemlichkeit, weil Unternehmer vielleicht andere Fragen stellen als die Gewerkschaftsvertreter?

Wir wissen es nicht, wir spüren es nur. Seit über 15 Jahren gibt es in Marzahn-Hellersdorf ein ausgezeichnetes Gesprächsformat – »Unternehmerfrühstück mit Schmalzstulle und Gurken«. Petra Pau, mit Direktmandat aus dem Stadtbezirk in den Bundestag gewählt, der Bezirksverband DIE LINKE und OWUS Berlin-Brandenburg sind Gastgeber dieses regelmäßigen Treffens. Versuche, ein ähnliches Format auch in anderen Wahlkreisen zu etablieren, sind bisher leider im Sande verlaufen.

Zu Wirtschaftskompetenz gehört auch das Vermitteln von Wissen. In wenigen Tagen wird Fidel Castro 90 Jahre alt. In einer seiner Reflexionen hat er im Oktober 2008 in der »Granma« geschrieben: »Wenn ein Volk den Analphabetismus hinter sich lässt, wenn es lesen und schreiben kann, und das für ein redliches Leben und Produzieren unerlässliche Minimum an Kenntnisse besitzt, hat es noch die schlimmste Form der Unwissenheit unserer Zeit zu überwinden: den wirtschaftlichen Analphabetismus. Nur auf dieser Weise könnten wir begreifen, was es sich auf der Welt ereignet.« Auf Menschen, die neue Fragen aufwerfen, muss zugegangen werden. Nicht alle Fragen können sofort beantwortet werden, auch jegliche Besserwisserei ist kein Ausdruck von Kompetenz. Die unendliche Weisheit einer Partei gehört der Geschichte an, zumindest die einer linken Partei. Aber die Wähler müssen das Gefühl haben, ihre Fragen wurden verstanden und es wird, möglichst gemeinsam, nach einer Lösung gesucht.

Wenn die gesellschaftliche Linke ihre auch vorhandene Wirtschaftskompetenz endlich unter dem Scheffel hervorholt, könnte der »interessegeleitete Aberglauben« verloren gehen. Wenn DIE LINKE dies verinnerlicht, kann sie sich zur wahren Partei des Mittelstands entwickeln, wie Gregor Gysi dies bereits im Bundestag unter dem Gelächter der »echten« Wirtschaftsfreunde konstatiert hat. Soll ihnen das Lachen doch vergehen! In diesem Sinne – vorwärts »Aus wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung«! OWUS arbeitet seit 22 Jahren nach diesem Motto.

Rolf Sukowski ist Vorsitzender des Vorstands OWUS e.V.

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