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Geistig behinderte Menschen sterben oft einsam

Experten raten zur Vernetzung von Hospizvereinen und Palliativ-Teams

  • Lesedauer: 3 Min.

Augsburg. Der handliche Koffer aus hellem Holz trägt die blaue Aufschrift »Ich bin da«. Eine frohe, mutmachende Botschaft, wie sie auch viele ehrenamtliche Hospizhelfer verbreiten. Der Koffer enthält Hilfsmittel zur Kommunikation, die nötig sind, um todkranke Menschen mit geistiger Behinderung auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Die Materialien sollen helfen, auf die Bedürfnisse behinderter Patienten einzugehen. Bunte Piktogramme etwa zum Thema Schmerz machen eine Kontaktaufnahme möglich, wo die Sprache versagt.

Der Caritasverband für die Diözese Augsburg hat bereits vor zehn Jahren begonnen, eine christliche Hospiz- und Palliativkultur in seinen Einrichtungen der Behindertenhilfe zu etablieren. Eine Analyse des Ist-Zustandes lieferte zunächst Anhaltspunkte, wie es um die Begleitung der Behinderten in ihrer letzten Lebensphase bestellt ist. Und sie dokumentierte, wo Handlungsbedarf besteht. Hier entstand auch die Idee des »Ich-bin-da«-Koffers.

Die Umfragen belegten, dass sich die Mitarbeiter in den Heimen durchweg überfordert fühlten, wenn sie Hospizaufgaben übernehmen mussten. »Es kommen so Sätze wie: ›Dafür sind wir nicht ausgebildet‹ oder ›dafür sind wir nicht zuständig‹«, berichtet Barbara Hartmann, Dozentin für eine hospizliche Kultur und palliative Kompetenz. Dahinter stecke vielfach Angst, diesen schwierigen und zeitintensiven Aufgaben nicht gewachsen zu sein.

Hartmann zufolge muss das Heimpersonal in speziellen Kursen auf die Palliativpflege vorbereitet werden. Andernfalls sei es »schwer, eine positive Grundhaltung zum Umgang mit Tod und Sterben zu schaffen«, sagt die Sprecherin der bei der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin angesiedelten Arbeitsgemeinschaft »Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung«.

Die Frage, ob erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung bis zu ihrem Tod in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, erreiche inzwischen alle Wohnformen. »Die Frage ist nur, ob die Leitungen hinsehen und sich vorbereiten oder ob sie nur in der akuten Situation reagieren« - was ein Sterben im Krankenhaus oder in einem Pflegeheim zur Folge habe.

Auch Maximiliane Eisenmann, Fachreferentin für Behindertenhilfe beim Caritasverband für die Diözese Augsburg, sieht die Heimleitungen gefordert. Sie müssten bereit sein, »eine professionelle Begleitung in der letzten Lebensphase zu gewährleisten«. Das koste vor allem Zeit. »Und man muss externe Expertisen einholen und die Netzwerke etwa mit einem Hospizdienst dauerhaft pflegen.« Sie bedauert, dass Hospizpflege als Angebot für viele Menschen mit Behinderung in Deutschland noch nicht die Regel ist. »Außerdem gibt es kein einheitliches Konzept.«

Auch die Region Aachen gilt als Vorreiter bei der Ausweitung der Sterbebegleitung. Monika Winand, Leiterin des Fachbereichs Wohnen der Aachener Lebenshilfe: »Unser Ziel ist es, die Fachkräfte für diese neue Aufgabe bestmöglich zu qualifizieren.« Dazu gebe es regelmäßige Fortbildungen: »Wir haben ein Netzwerk aus Fachärzten und ambulanten Hospizdiensten geknüpft und wir berufen Runde Tische ein, wenn ein Bewohner lebensbedrohlich erkrankt.«

In Augsburg wurde die »Multiprofessionelle Weiterbildung Palliative Care« entwickelt. Sie vermittelt den Heimleitungen, wie palliative und hospizliche Begleitung und Versorgung am Lebensende organisiert und implementiert werden kann.

Wie das im Idealfall funktionieren kann, zeigt die Praxis: Die CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH hat mit dem Raphael Hospizverein Günzburg einen Kooperationsvertrag zur Palliativbegleitung für zwei Wohneinrichtungen Behinderter geschlossen. Gut drei Jahre lang habe man darauf hingearbeitet, miteinander Strukturen, Wissen und Vertrauen aufgebaut. »Diese Zusammenarbeit ist eine Bereicherung für uns«, sagt Ingrid Reimlinger, die Koordinatorin des Hospizvereins.

Neben all dem fachlichen Wissen, das die ehrenamtlichen Hospizhelferinnen mitbringen, ist es für Jeanette Simon wichtig, sich auch sprachlich auf die behinderten Patienten einlassen zu können und sensibel für deren Gestik zu sein. Das weiß auch Maximiliane Eisenmann: »Jeder Mensch kommuniziert, auch wenn das nicht immer über die verbale Sprache möglich ist«. In diesen Fällen kommt der Materialkoffer zum Einsatz und vermittelt ohne Worte: »Ich bin da.«

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