An der Copacabana der Armen

Im Strandbad Piscinão de Ramos entfliehen Rios Ausgeschlossene dem Alltag aus Bandenterror und Polizeigewalt

Während Olympiatouristen in Copacabana die Strände bevölkern, verbringen die Favela-Bewohner ihre Freizeit an einem Strand im Norden.

Wenn Fabiano Lopes einen Lieblingsort hat auf dieser Welt, dann liegt er wohl hier, im warmen Sand des Badesees Piscinão de Ramos: Laut dröhnt die Musik einer Baile-Funk-Band über den künstlich aufgeschütteten Strand. Unter Blechdächern wird getanzt: Frauen, deren Hüften im Takt kreisen, Männer, die sich an sie schmiegen. Im trübgrauen Wasser tollen ein paar Kinder kreischend mit einem Reifen, unter Sonnenschirmen sitzen ihre Eltern und dösen. Eine ältere Frau hat sich wegen der Hitze mit ihrem Klappstuhl gleich direkt in den See gesetzt. Fabiano, 14, steht unter dem roten Dach einer Baraca, an der er Bier, Guaranavita, Cola und Kokoswasser verkauft. »Ich treffe so viele Freunde, hier kenne ich fast jeden«, sagt er mit ausladender Geste: »Ich liebe es, hier zu sein.«

Piscinão de Ramos ist eine Art Copacabana der Armen: Während die Olympiatouristen die malerisch weißen Strände von Copacabana und Ipanema bevölkern, wo auch die reiche Oberschicht von Rio de Janeiro ihre Strandtücher ausbreitet, ist Piscinão eine Art Traumstrand für die Leute aus dem ärmeren Norden der Millionenstadt. Ein künstlicher Badesee, für den Wasser aus der schwerbelasteten Guanabara-Bucht eingeleitet wird, durch Filter zumindest vom Müll und Abfall befreit.

Kurz nach der Jahrtausendwende hat die Stadtverwaltung den See anlegen lassen. Und immer wenn es heiß wird in Rio de Janeiro, strömen die Massen in das Bad. Die Piscinão ist ein beliebtes Ausflugsziel für Farofeiros – die einfachen Leute, die sich so gern Farofa über ihr Essen streuen. In Fett geröstetes Maniokmehl: sättigend, schwer, ungesund.

Auch Fabiano ist ein Farofeiro, ein kleiner. Er hat Ferien, er kann jeden Tag hierher kommen und am Verkaufsstand von Suellen und Raissa mitarbeiten, nicht wie sonst nur am Wochenende. Das Churrasco (Grillfleisch) kostet hier nur einen Bruchteil dessen, was in der Südzone dafür zu bezahlen wäre, mit dem Bier und der Caipirinha ist es ganz genauso. Ansonsten herrscht ein Strandleben wie an Rios berühmten Atlantikstränden: Die Bikinis der Frauen bedecken auch hier nur das Nötigste, die Kinder lassen Pipas steigen, die selbstgebauten Bambusdrachen, deren Schnüre oft Hunderte Meter lang sind. Ein Idyll, wäre nicht das Wasser so brackig und der Gestank von der benachbarten Bucht so streng.
Fabiano hat es nicht weit von zuhause: fünf Minuten zu Fuß. Er muss nur über eine Brücke die achtspurige Avendida Brasil überqueren, auf der die Olympiagäste vom Flughafen auf dem Weg ins Stadtzentrum direkt an den großen Favelas und Armenvierteln vorbeirasen. Piscinão liegt im Favelakomplex Maré, einem unbefriedeten Stadtteil, in dem zwei Drogengangs und eine Miliz das Leben von 130 000 Menschen bestimmen. An diesem Nachmittag kracht es immer wieder in der Umgebung des Schwimmbads. Schüsse? »Nein, das sind nur Knaller, wie sie sonntags gern gezündet werden. Hier am Strand ist es sicherer als in Copacabana«, behauptet Fabiano. Man werde hier nie einen Arrastão erleben, einen jener typischen Überfälle, bei dem eine ganze Gruppe von Gangstern plötzlich einen Strandabschnitt heimsucht und beraubt. »Wer so was hier tut, ist ein toter Mann«, raunt Fabiano, »die Milizen erlauben so etwas nicht.«

Rios Milizen, die sich aus Ex-Militärpolizisten, Soldaten, Feuerwehrleuten und korrupten Politikern zusammensetzen, haben das Sagen in einem großen Teil der Favelas. Sie agieren mit Waffengewalt: ebenso brutal und unerbittlich wie anderswo die Drogenbanden oder die Pazifizierungspolizei UPP, die die Armenviertel befrieden soll. Für Piscinão bedeuten sie auch Schutz.

An der Baraca haben Fabianos Kolleginnen den Grill angeworfen. Zischend tropft das Fett aus Würsten und Hähnchenflügeln auf die weiße Glut. An den Rauchschwaden stolzieren kichernde Teenagermädchen vorbei. Fabiano schaut ihnen kurz hinterher, er hat sich hingesetzt und ist ins Erzählen gekommen. Milizen, Gangs und Tod: Damit kennt er sich aus. Jeder, der hier wohnt, tut das.

Wenn Fabiano Lopes einen Lieblingsort hat auf dieser Welt, dann liegt er wohl hier, im warmen Sand des Badesees Piscinão de Ramos: Laut dröhnt die Musik einer Baile-Funk-Band über den künstlich aufgeschütteten Strand. Unter Blechdächern wird getanzt: Frauen, deren Hüften im Takt kreisen, Männer, die sich an sie schmiegen. Im trübgrauen Wasser tollen ein paar Kinder kreischend mit einem Reifen, unter Sonnenschirmen sitzen ihre Eltern und dösen. Eine ältere Frau hat sich wegen der Hitze mit ihrem Klappstuhl gleich direkt in den See gesetzt. Fabiano, 14, steht unter dem roten Dach einer Baraca, an der er Bier, Guaranavita, Cola und Kokoswasser verkauft. »Ich treffe so viele Freunde, hier kenne ich fast jeden«, sagt er mit ausladender Geste: »Ich liebe es, hier zu sein.«

Piscinão de Ramos ist eine Art Copacabana der Armen: Während die Olympiatouristen die malerisch weißen Strände von Copacabana und Ipanema bevölkern, wo auch die reiche Oberschicht von Rio de Janeiro ihre Strandtücher ausbreitet, ist Piscinão eine Art Traumstrand für die Leute aus dem ärmeren Norden der Millionenstadt. Ein künstlicher Badesee, für den Wasser aus der schwerbelasteten Guanabara-Bucht eingeleitet wird, durch Filter zumindest vom Müll und Abfall befreit.

Kurz nach der Jahrtausendwende hat die Stadtverwaltung den See anlegen lassen. Und immer wenn es heiß wird in Rio de Janeiro, strömen die Massen in das Bad. Die Piscinão ist ein beliebtes Ausflugsziel für Farofeiros - die einfachen Leute, die sich so gern Farofa über ihr Essen streuen. In Fett geröstetes Maniokmehl: sättigend, schwer, ungesund.

Auch Fabiano ist ein Farofeiro, ein kleiner. Er hat Ferien, er kann jeden Tag hierher kommen und am Verkaufsstand von Suellen und Raissa mitarbeiten, nicht wie sonst nur am Wochenende. Das Churrasco (Grillfleisch) kostet hier nur einen Bruchteil dessen, was in der Südzone dafür zu bezahlen wäre, mit dem Bier und der Caipirinha ist es ganz genauso. Ansonsten herrscht ein Strandleben wie an Rios berühmten Atlantikstränden: Die Bikinis der Frauen bedecken auch hier nur das Nötigste, die Kinder lassen Pipas steigen, die selbstgebauten Bambusdrachen, deren Schnüre oft Hunderte Meter lang sind. Ein Idyll, wäre nicht das Wasser so brackig und der Gestank von der benachbarten Bucht so streng.

Fabiano hat es nicht weit von zuhause: fünf Minuten zu Fuß. Er muss nur über eine Brücke die achtspurige Avendida Brasil überqueren, auf der die Olympiagäste vom Flughafen auf dem Weg ins Stadtzentrum direkt an den großen Favelas und Armenvierteln vorbeirasen. Piscinão liegt im Favelakomplex Maré, einem unbefriedeten Stadtteil, in dem zwei Drogengangs und eine Miliz das Leben von 130 000 Menschen bestimmen. An diesem Nachmittag kracht es immer wieder in der Umgebung des Schwimmbads. Schüsse? »Nein, das sind nur Knaller, wie sie sonntags gern gezündet werden. Hier am Strand ist es sicherer als in Copacabana«, behauptet Fabiano. Man werde hier nie einen Arrastão erleben, einen jener typischen Überfälle, bei dem eine ganze Gruppe von Gangstern plötzlich einen Strandabschnitt heimsucht und beraubt. »Wer so was hier tut, ist ein toter Mann«, raunt Fabiano, »die Milizen erlauben so etwas nicht.«

Rios Milizen, die sich aus Ex-Militärpolizisten, Soldaten, Feuerwehrleuten und korrupten Politikern zusammensetzen, haben das Sagen in einem großen Teil der Favelas. Sie agieren mit Waffengewalt: ebenso brutal und unerbittlich wie anderswo die Drogenbanden oder die Pazifizierungspolizei UPP, die die Armenviertel befrieden soll. Für Piscinão bedeuten sie auch Schutz.

An der Baraca haben Fabianos Kolleginnen den Grill angeworfen. Zischend tropft das Fett aus Würsten und Hähnchenflügeln auf die weiße Glut. An den Rauchschwaden stolzieren kichernde Teenagermädchen vorbei. Fabiano schaut ihnen kurz hinterher, er hat sich hingesetzt und ist ins Erzählen gekommen. Milizen, Gangs und Tod: Damit kennt er sich aus. Jeder, der hier wohnt, tut das. Jeder weiß, wie schnell ein Menschenleben vorbei sein kann - zur Genüge. »Schau dir nur meine Familie an«, hebt Fabiano an, »die ist verrückt: Ein Bruder war bei den Bandidos, der andere arbeitet bei der BOPE.« BOPE ist die Abkürzung des Bataillons für spezielle Polizeioperationen. Die Männer des Sonderkommandos sind spezialisiert auf städtische Kriegsführung: Ihr Wappen ziert ein Totenkopf, sie rücken in Panzerfahrzeugen an und gehen mit Sturmgewehren und Handgranaten gegen die Milizen und Drogengangs vor. »In den Favelas hassen alle die BOPE, aber ich werde nach der Schule auch zu ihnen gehen«, sagt Fabiano.

Auf die Frage, warum er zur BOPE will, senkt Fabiano seinen Blick, er müht sich, seine Stimme noch fester klingen zu lassen: »Nun, weil mein großer Bruder, er ist 30, dort arbeitet. Aber vor allem, weil mein anderer Bruder im März erschossen worden ist, von der Polizei. Er war gerade erst 15, aber im Drogengeschäft, seit er elf war.« Der kleinere seiner Brüder sei eine Art Sicherheitschef der Gang gewesen. Auf einer Feier, die der Bruder mit seiner Freundin besuchte, sei es zu einer »Konfrontation« mit der Polizei gekommen. »Plötzlich waren Polizisten da, Schüsse fielen, am Ende war mein Bruder tot. Sein Sohn ist gerade ein Jahr alt.«

Während er von seinem toten Bruder spricht, wippen an seinen Füßen unruhig die Havaianas, die typisch brasilianischen Badeschlappen. »Mich haben die Bandidos auch gefragt, ob ich mitmache, die von der TCP, Terreiro Comando Puro. Drei Monate war ich dabei, dann bin ich weg. Nie wieder.« Seine Mutter habe ihn damals zurückgeholt, sagt er. Was er in seiner Zeit als Bandido erlebt hat, zeigt sich auch an den Narben, die auf seinem schwarzen Rücken hellbraun schimmern. Ein wenig Stolz schwingt mit, als der 14-Jährige sagt, er kenne sich nun gut mit Waffen aus: Pistolen, Maschinengewehre, er habe mit allem geschossen, sogar mit einer Bazooka, einer Panzerfaust: »Aber nicht allein, da war noch jemand dabei.«

Womöglich können ihm solche Fähigkeiten ja helfen, wenn er später bei der BOPE anheuert? »Ja, kann sein«, sagt er achselzuckend. Die Frage, was er sich von seinem Leben und seiner Arbeit bei der BOPE erhofft, kann ihn viel mehr begeistern: »Ich möchte dafür sorgen, dass es in Rio aufhört mit all den verschiedenen Fraktionen. Ich will die Favelas befrieden, das Sterben muss ein Ende haben.« Dass in Rio jede Woche etliche Polizisten in Auseinandersetzungen sterben, ist ihm egal: »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Jeder stirbt irgendwann.« Wenn alles gutgehe, werde er eine Frau und Kinder haben: »Ich wünsche mir eine Familie, in der ich respektiert werde.«

Am Strand von Ramos wird es dunkel, es ist halb sechs am Nachmittag. Auf der Tanzfläche hat es gerade eine Schlägerei gegeben, der Sänger der Band versucht, die Leute zu beruhigen. »Paz, paz!« (Frieden, Frieden!), ruft er. Kurz hält noch das Geschrei an, dann setzt die Musik wieder ein. Fabiano steht auf und zeigt, wie man richtig zu Baile-Funk tanzt: armkreisend, hüftschwingend, stapfend. »Mich lassen sie zu jedem Baile-Funk, ich komme überall rein. Außer in die Chapadão«, grinst er. Mit den Bandidos dieser Favela habe er schon Schüsse gewechselt. Zum Glück sei das jetzt vorbei. »Schön, dass ihr da wart«, sagt er am Ende eines entspannten Nachmittags an der Piscinão de Ramos. »Habt ihr gesehen, wie friedlich es hier ist?« Lachend reicht er zum Abschied die Hand. »Mir ist es ja selbst fast unheimlich, dass hier noch nie etwas passiert ist.«

Alle Personennamen wurden geändert.

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