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  • Bauernkrieg in Thüringen

Panorama, Protest und Pflaumenmus

Die Städte Mühlhausen und Bad Frankenhausen feiern 500 Jahre Bauernkrieg mit einer eindrucksvollen Landesausstellung

Die »Eiserne Hand« des Götz von Berlichingen in Mühlhausens Marienkirche
Die »Eiserne Hand« des Götz von Berlichingen in Mühlhausens Marienkirche

Ein Dienstagvormittag in Mühlhausen. Mutter, Vater, Kind – vielleicht sieben Jahre alt – stehen vor der »Eisernen Hand« des Götz von Berlichingen. Der Junge starrt in die Vitrine, als wolle er prüfen, ob sich die metallene Prothese des schwäbischen Reichsritters womöglich durch Blicke in Bewegung versetzen ließe. Die Mutter liest laut vor, der Vater schaut hoch zum Gewölbe der Marienkirche. Licht fällt durch das Maßwerkfenster. Es riecht nach Staub, Stein, Eisen – Geschichte zum Greifen nah.

Seit Ende April zeigen die Mühlhäuser Museen gemeinsam mit Bad Frankenhausen die Thüringer Landesausstellung »Freiheyt 1525 – 500 Jahre Bauernkrieg«. In der Marienkirche und an drei weiteren Orten wird an den großen Aufstand von 1525 erinnert, der laut der DDR-Geschichtsschreibung die erste Revolution auf deutschem Boden darstellte – die »frühbürgerliche Revolution«. Der Anführer der Bauern, der radikale Theologe Thomas Müntzer, hatte im Arbeiter- und Bauern-Staat selbst eine Art Heiligsprechung erfahren – sein Antlitz zierte nicht nur den Fünfmarkschein, nein: Unzählige Straßen, Plätze, Schulen, Jugendklubs, Brigaden waren nach ihm benannt – dazu ein Kaliwerk und sogar ein Theater (Eisleben).

Marienkirche:
Alltag und Aufbruch

Der Ausstellungsteil »Die göttliche Ordnung« im Museum St. Marien
Der Ausstellungsteil »Die göttliche Ordnung« im Museum St. Marien

Die Historiker von heute sehen den Bauernkrieg widersprüchlicher, die Theologen sowieso. In der Thüringer Landesausstellung erzählen mehr 400 Exponate vom Alltag 1525, von den Forderungen der Bauern, der alltäglichen Gewalt, vom Ende der Revolte und von der späteren Rezeption der Ereignisse. Ein breites Bauernkriegspanorama, und ganz nebenbei gibt es auch zwei pittoreske Städtchen zu entdecken. Das wunderhübsche Mühlhausen mit seinen steilen Giebeldächern und reichlich Fachwerk, das bis 1990 stolz den Titel Thomas-Müntzer-Stadt trug. Hier sind etliche Straßenschilder rot statt blau einfärbt, weil gleich der ganze Straßenzug unter Denkmalschutz steht.

Die Stadt hatte oft Glück: Im Zweiten Weltkrieg unversehrt geblieben, mühte man sich auch in der DDR um einen Erhalt des historischen Erbes, vor allem wegen Müntzers Erbe. Nach der Wende schließlich flossen mehr als 80 Millionen Euro in die Restaurierung der Stadt. Die einstige Handelsstadt Mühlhausen erstrahlt in altem Glanz.

Eine 2,7 Kilometer lange Stadtmauer umgibt die Innenstadt, die elf Kirchengebäude aufzuweisen hat. Mittendrin überragt der Turm der imposanten Marienkirche alles: Mit seinen fast 87 Metern ist er der höchste Kirchturm Thüringens.

Der Ausstellungsteil in der seit 1975 säkularisierten Marienkirche hat neben der Hand des Götz von Berlichingen vor allem den bäuerlichen Jahreslauf im Blick – so, wie die Jahreszeiten auch im Leben der Bauern die Abfolge vorgaben: Saat, Ernte, Abgaben, Fastenzeiten. Das Alltägliche ist der Ausgangspunkt der Schau – ein Mühlenmodell, eine Waidkugel, ein Opferstock, ein Geldbeutel mit zerschlissenem Band. Skulpturen des Schnitzers Tilman Riemenschneider, eine Monstranz, eine Schafschere. Der bäuerliche Alltag entfaltet sich vor den Augen des Betrachters. Man erahnt die Armut, die Härte, die Zwänge und erkennt die immer höheren Auflagen, die die Bauern in Rage brachten.

Kornmarktkirche:
Blick auf die Geschehnisse

Nur ein paar Gehminuten von der Marienkirche entfernt liegt die Kornmarktkirche. Schon seit 1975 fungiert sie als Bauernkriegsmuseum. Im Teil der Landesausstellung 2025 liegen dort Flugschriften, Spottverse, Chroniken. Ein Raum weiter: Waffen, Waffen, Waffen – auch das sogenannte Runenschwert Thomas Müntzers. Gewalt war alltäglich im Alltag der Menschen, und der Bauernkrieg wurde mit besonderer Brutalität geführt. In den »Zwölf Artikeln« vom Februar 1525 forderten Bauern in Süd- und Mitteldeutschland die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Abschaffung von Frondiensten und Abgaben und die freie Wahl des Pfarrers. Im dritten Artikel heißt es: »Darum ergibt sich aus der Heiligen Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.«

Das Bauernkriegsdenkmal, eine sieben Meter hohe Bronzesäule, steht auf dem Platz vor der Kornmarktkirche, in der sich das Bauernkriegsmuseum befindet. Den Entwurf hatte Albrecht Dürer erstmals 1525 – also im Jahr des Kriegsendes und drei Jahre vor seinem Tod – veröffentlicht.
Das Bauernkriegsdenkmal, eine sieben Meter hohe Bronzesäule, steht auf dem Platz vor der Kornmarktkirche, in der sich das Bauernkriegsmuseum befindet. Den Entwurf hatte Albrecht Dürer erstmals 1525 – also im Jahr des Kriegsendes und drei Jahre vor seinem Tod – veröffentlicht.

Als die Bauern mit Verhandlungen nichts erreichten, zogen sie hinaus mit Spießen, Dreschflegeln, Axt und Feuer. Klöster fielen, Herrensitze brannten. Die Obrigkeit ließ nicht lange auf sich warten. Sie kam mit Reitern, mit Hakenbüchsen, mit dem Schwert. In der Schlacht bei Frankenhausen am 15. Mai wurden die Aufständischen durch ein Fürstenheer vollständig besiegt. Ein blutiges Gemetzel mit Tausenden Toten. Müntzer selbst wurde gefangengenommen und zwölf Tage später in Mühlhausen enthauptet. Doch ihr Ruf nach Freiheit verklang nicht, sondern hallte weiter durch die Jahrhunderte.

Kulturhistorisches Museum:
Rezeption und Deutung

Weiter geht der Spaziergang ins Kulturhistorische Museum Mühlhausens, wo die gesamte obere Etage für die Landesausstellung abgeräumt wurde. In den Räumen des früheren Gymnasiums geht es weniger um die Bauernkriegsereignisse selbst als um das, was danach aus ihnen gemacht wurde. Der Bauernkrieg als Deutungsangebot. Die ersten Drucke, die ersten Stiche, Romane, Gedenktafeln. Müntzer auf Plakaten, Müntzer als Wandkalender, Müntzer als Figur der DDR-Geschichtspolitik. Müntzer auf einem Anti-Atom-Plakat einer Norderstedter Umweltgruppe von 1982. Auch die Nazis hatten versucht, Müntzer für sich zu vereinnahmen.

Auf einem Bildschirm läuft ein Mitschnitt der Feierlichkeiten zum großen Bauernkriegsjubiläum 1975. Chöre, Reden, ein Festumzug, viele Kostüme. Bis heute schwärmen die alten Mühlhäuser von damals, für das Fest gab es einen Tag frei, die Kirchen wurden restauriert.

Legendär: das Runenschwert Thomas Müntzers im Kulturhistorischen Museum Mühlhausen
Legendär: das Runenschwert Thomas Müntzers im Kulturhistorischen Museum Mühlhausen

Doch auch 2025 will sich die 36 000-Einwohner-Stadt ins Zeug legen: »Wir wollen, dass die Einheimischen merken, dass sich etwas dreht. Und nicht nur die!«, sagt Birthe Frerichs vom Stadtmarketing mit Blick auf die erhofften Besucherscharen. Das Müntzer-Denkmal von 1901 wurde restauriert, ein Escape-Spiel zum Jahr der Freiheit lässt die jungen Besucher die Stadt spielerisch entdecken. Die heimische Brauerei kredenzt Müntzer-Bräu und die berühmte Pflaumenmus-Fabrik produziert »Freiheitsmus«: klassische Pflaume kombiniert mit Schlehe oder Quitte. Am 14. September soll in der Divi-Blasi-Kirche ein eigens für das Gedenkjahr komponiertes Müntzer-Oratorium uraufgeführt werden: »Das innere Wort«. Der heimische Bachchor – auch Bach wirkte mal kurz in Mühlhausen – probt schon intensiv.

»Natürlich erhoffen wir uns wegen der Landesausstellung noch mehr Besucher«, sagt Nancy Krug von der städtischen Touristinformation. 300 000 Tagesbesucher kommen pro Jahr in die »mittelalterliche Reichsstadt«, wie sich Mühlhausen vermarktet. »Aber es ist nicht leicht«, sagt Nancy Krug: »Alle Autobahnanschlüsse sind mindestens 30 Kilometer entfernt. Damit fallen wir bei vielen Busreiseanbietern durchs Raster.« Zumindest hat Mühlhausen noch die Bahnverbindung nach Erfurt, die vor allem am Wochenende eine Menge Gäste beschert.

Bad Frankenhausen:
Das Bild von der Welt

Davon kann Museumsdirektor Gerd Lindner im rund 60 Kilometer östlich gelegenen Bad Frankenhausen nur träumen. Der Kurort hat zwar ein gut besuchtes Sole-Wasserbad, einen Kirchturm, der schiefer ist als der Turm von Pisa, dazu Rehakliniken und gepflegte Parks. Aber keinen Bahnanschluss: »Wir sind so weit ab vom Schuss, wir haben nicht mal eine Bahnlinie hier«, sagt Gerd Lindner. »Mit dem Zug geht’s über Sangerhausen, dann mit dem Triebwagen bis nach Heldrungen, dann heißt es Busfahren!«

Doch das proppere Städtchen hat zum Glück einen anderen Besuchermagneten, er liegt oberhalb der Stadt an einem Hang. Hier oben steht das Panorama-Museum, ein DDR-Bau mit Weitblick. Darin: Werner Tübkes Monumentalgemälde »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland«, ein gigantisches Kunstwerk, gemalt von dem manischen Leipziger Malerfürsten zwischen 1976 und 1987, eröffnet kurz vor der Wende. Die Feierlichkeiten am 12. September 1989 waren einer der letzten öffentlichen Auftritte der SED-Führungsriege.

Das Politbüro hatte sich ein Heldengemälde erhofft, doch der eigensinnige Tübke malte mit seinen Helfern eine fragile Ordnung im Umbruch. 123 Meter im Umfang, 14 Meter hoch, rund 3000 Figuren sind zu sehen. Alchimisten, Fürsten, Gelehrte, Vogte, Wanderprediger, Kesselflicker, Landsknechte, Skelette. Der Blick springt: Auch Müntzer ist zu erkennen, aber nur leicht hervorgehoben. Stattdessen spannt Tübke den großen Bogen und zeigt in seinem riesigen Wimmelbild sein apokalyptisches Welttheater mit allerlei Anspielungen, die der DDR-Führung nur wenig gefallen konnten. »Es ist eine subjektive Annäherung eines einzelnen Künstlers, der viel Unterstützung hatte von Historikern und eine Unmenge an Quellen studiert hatte«, so Gerd Lindner. »Es geht immer um die Interpretation.«

Im Untergeschoss des Panorama-Museums ist der vierte Teil der Landeasausstellung zu sehen: »Der Welt Lauf«: Hier stehen Tübkes Panorama und die historischen Vorlagen im Dialog. Druckgrafiken, Flugschriften und Bildquellen werden kunsthistorisch betrachtet. Die Schau beleuchtet Werk und Kontext: Wie entstand das Bild? Welche berühmten Gemälde inspirierten Tübke zu seinem Monumentalwerk?

Unten in der Stadt Bad Frankenhausen wird anlässlich des Bauernkriegs-Gedenkens hingegen ganz handfest agiert: Das Gemetzel der Schlacht bei Frankenhausen wird am ersten Septemberwochenende nachgespielt, samt Landsknechtslager und Bauernlager. Ein großes Bauernkrieg-Reenactment. Bürgermeister Matthias Strejc berichtet von der aufwendigen Vorbereitung: Der Pyrotechniker, der die Kanonen knallen lässt, habe schon bei »›Fluch der Karibik‹ mitgewirkt. Viele Einheimische hätten ihre Kostüme selbst geschneidert, genäht wurde in Gruppen. Rund 1000 Mitwirkende aus dem In- und Ausland werden erwartet. »Vor 50 Jahren gab es einen großen Festumzug«, sagt Strejc. »Diesmal hat man sich bewusst für das Schlachtspektakel entschieden. Geschichte lebendig werden lassen!«

Tipps
  • Anreise: Nach Mühlhausen über die ICE-Bahnhöfe Göttingen, Erfurt und Eisenach. Von hier aus mit dem Regionalexpress in etwa einer Stunde nach Mühlhausen. Die Museen sind fußläufig in circa 20 Minuten erreichbar.
    Nach Bad Frankenhausen: Hier sind der Bahnhof Berga-Kelbra an der Strecke Halle-Göttingen, der Bahnhof Heldrungen an der Strecke Sangerhausen-Erfurt sowie der Bahnhof Sondershausen an der Strecke Nordhausen-Erfurt zu empfehlen. Von da jeweils mit dem Bus weiter. Vom Stadtzentrum zu Fuß in etwa 30 Minuten zum Panorama-Museeum.
  • Landesausstellung:
    www.bauernkrieg2025.de
  • Mühlhäuser Museen: Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10–17 Uhr. www.mhl-museen.de
  • Panorama Museum: Landesausstellung noch bis 17. August, ansonsten Dauerausstellung. Dienstag bis Sonntag, 10–17 Uhr.
    www.panorama-museum.de. (Profi-Tipp: Fernglas einstecken, dann sieht man viel mehr!) In Bad Frankenhausen ist auch das Regionalmuseum in Sachen Bauernkrieg lohnenswert.
  • Schlachtspektakel: Am 6. und 7. September in Bad-Frankenhausen. Tickets ab 11 Euro. https://bad-frankenhausen.de/events/die-schlacht-am-berg/
  • Allgemeine Infos: tourismus.muehlhausen.de
    www.bad-frankenhausen.de/kur-tourismus
    www.thueringen-entdecken.de
    1400 × 12 300 cm: Werner Tübkes Monumentalgemälde »Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland« von 1987, für das die DDR eigens ein Museum in Bad Frankenhausen errichtete
    1400 × 12 300 cm: Werner Tübkes Monumentalgemälde »Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland« von 1987, für das die DDR eigens ein Museum in Bad Frankenhausen errichtete

    Die Landesausstellung in Mühlhausen läuft bis 19. Oktober, die Schau im Panorama-Museum Bad Frankenhausen nur noch bis 17. August. Danach werden die Exponate zurückkehren, die Räume sich leeren. Die Erinnerung an den Bauernkrieg wird bleiben, wie auch der Geruch von Eisen, Stein und Staub.

    Die Recherche wurde unterstützt von Thüringen Tourismus.

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