Vollendung, Vollstreckung

Vor fünfzig Jahren starb der bedeutende Theatermann Wolfgang Langhoff

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Er war Intendant. Er war Regisseur. Er war Schauspieler. Was er inszenierte, ging als hell, aufklärerisch in die Theatergeschichte ein. Er war es, der ab 1946 siebzehn Jahre lang das Deutsche Theater Berlin zu einer Gardestätte deutschen Schauspiels formte. DDR-Schauspiel. Er war es, der dem ästhetischen Antipoden Brecht nach 1945 die erste künstlerische Heimat für dessen »Berliner Ensemble« bot. Das war Solidarität, aber auch Überwindung, also Größe.

Wolfgang Langhoff, geboren 1901 in Berlin, aufgewachsen in Freiburg im Breisgau. Er fährt zur See, mit fünfzehn. Vielleicht ähneln die Planken ja durchaus den Bühnenbrettern: ein schwankendes Dasein auf unfesten Böden, und wie der Schauspieler von Abenteuern in den Welten Shakespeares oder Schillers träumt, so mag der Leichtmatrose davon fantasieren, in Taifunen, flimmernden Dschungeln, auf verrotteten Schaluppen und entlegenen Inseln Joseph Conrads Romane zu leben, die in immer neuer Brechung das hohe Gebot des Standhaltens und Überdauerns abwandeln.

Die Bühnen Königsberg, Thalia Hamburg, Wiesbaden, Düsseldorf. Er betreibt nebenbei kommunistisches Agitprop-Theater. Radikale Kritik des gesellschaftlichen Status quo: ein Kunst- und plötzlich auch Lebenselixier, das dem Schauspieler Kräfte zuschaufelt, die er genussvoll wieder ausgibt. Er bleibt, Ende der zwanziger Jahre, auch im kommunistischen Einsatz als Arbeiterspieler jener charmant parlierende Wohlständler, dem auf den Lastkraftwagen der proletarischen Sängertrupps in Düsseldorf noch die betont plebejisch aufgekrempelten Hemdsärmel etwas ganz und gar Stilsicheres geben. Um dessen Wirkungen er sehr wohl weiß.

Das Wort vom Salonkommunisten ist später zum verächtlichen Attribut geworden, Langhoff ist Salonkommunist in ganz anderem Sinne: Es musste doch sehr für Marx, Engels, Lenin sprechen, wenn deren aufstörende Ideen bis in die Hochburgen des bürgerlichen Kunstbetriebs dringen, bis in die Seelen jener Gutsituierten, die nicht nur in den Theatern, sondern überhaupt im Leben die besseren Karten haben. Als er noch in Wiesbaden spielte, hatte man diesen eleganten Künstler, mit Mops und Stöckchen, den »Prince of Wales« genannt. Jetzt verschenkt er seine Anzüge.

Wer kann es damals genau wissen: dass nämlich der Schritt nach links ein Schritt zur Todesgefahr hin ist. Dass Neigung zur Rebellion, die sich unter dem Kürzel KPD organisierte, bald schon in Konzentrationslager führen würde. Es ist eine Zeit, da man vor allem mit einem einzigen Verhängnis beschäftigt ist: Man unterschätzt, beinahe ausnahmslos, Hitler. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand wird Wolfgang Langhoff verhaftet. Konzentrationslager Börgermoor. Konzentrationslager Lichtenburg.

1934 die Entlassung, aufgrund einer Amnestie, ausgerechnet zu Ostern - im Todeslager Auferstehung, wahrlich. Bei einem seiner Kontrolltermine bei der Polizei, nunmehr in Berlin, sagt der Beamte seltsam untergründig: »Sagen Sie mal, ist da nicht noch eine Sache gegen Sie in Umlauf?« Durchdringender Blick. »Nein«, sagt Langhoff und geht hinaus. Er hat die Warnung verstanden und wohl einen jener lebensrettenden Momente erlebt, die in kein Geschichtsbuch eingehen und in keiner Widerstandschronik vermerkt sind. Er kann fliehen. Nach Exiljahren am legendären Schauspielhaus Zürich, kaum dass der Frieden eintritt, giert Langhoff nach Deutschland. Am Seemännischen hat er genippt, im Schauspiel ist er aufgegangen, der Schriftsteller blieb sein ungestillter Hunger; freilich: Der Erlebnisbericht aus dem Konzentrationslager, »Die Moorsoldaten«, wird ein Welterfolg.

1966, vor 50 Jahren, starb Langhoff. Der Nachruf der SED verschwieg, was den Künstler die Intendanz und die Gesundheit kostete: jener Konflikt Anfang der sechziger Jahre um ein Stück von Peter Hacks. »Die Sorgen und die Macht«. Mehr als ein Stücktitel. Es ist die Zeit, da Peter Huchel als Chefredakteur von »Sinn und Form« abgesetzt wird, nach vielen Demütigungen. Stephan Hermlin tritt als Sekretär der Sektion Literatur und Sprachpflege in der Akademie der Künste zurück, denn sein Lyrik-Abend für junge Dichter hatte die Parteiführung bösartig werden lassen. Günter Kunert wird wegen seiner Fernsehfilme »Monolog für einen Taxifahrer« und »Fetzers Flucht« angegriffen.

Anfang Oktober 1962 hat Hacks’ Stück am Deutschen Theater Premiere. »Neues Deutschland« vermeldet, der Autor greife »mitten in die Probleme eines sozialistischen Industriebetriebes. Wolfgang Langhoffs Inszenierung setzt die Akzente parteilich und künstlerisch vollendet.« Vollendung. Das Wort wird schon ein Vierteljahr später eine andere, eine traurige und verhängnisreiche Bedeutung erlangt haben: Am 9. Januar 1963 findet mit der 22. die letzte Vorstellung statt. Vollendung? Ende, Vollstreckung. Das Stück über ehrliche und unehrliche Arbeit in einem Braunkohlewerk (formalistische Übererfüllung des Plans ohne Rücksicht auf die Qualität der Produkte schadet dem Sozialismus!) wird plötzlich als Angriff aufs Heiligtum, Plan und Partei, gewertet. Hausautor Hacks wird entlassen, es vollzieht sich der größte Theaterskandal der DDR.

Wie immer in solchen stalinistischen Fällen: Die Zerstörung geschieht schleichend. Zunächst durchaus Zustimmung, dann die ästhetische Debatte mit Für und Wider, zunehmend die Verschärfung des Tons, das krude Umkippen in die politische Verdächtigung, in die Denunziation, ins krude Aburteil. Streit und Abwarten, überzeugte Einsicht und feiges Einknicken vermengen sich - aus redlichen Genossen sind im Nu regelrecht Klassenfeinde gezimmert. Wenige Wochen später heißt es in einer Information über ein Gespräch mit Langhoff in der ZK-Kulturabteilung, der Regisseur habe geäußert, »dass er eigentlich nicht mehr leben möchte. Er werde periodisch kritisiert.« Im Mai 1963 tritt er von seinem Intendanten-Amt zurück. Ein zurück Getretener.

Wolfgang Langhoff, der siebzehn Jahre Intendant ist, bis 1963, und Sohn Thomas Langhoff, der von 1991 an zehn Spielzeiten verantwortet, bringen es gemeinsam auf ein Konto von siebenundzwanzig Jahren Leitung am gleichen Haus. Matthias Langhoff, der zweite Sohn, begründete mit Manfred Karge an der Volksbühne eine Tradition des geistkühlen, pathosfreien Anarchismus. Nach Absetzung seiner Hacks-Inszenierung hatte Wolfgang Langhoff seine Familie darauf vorbereitet, dass er möglicherweise von heute auf morgen Kulturhausleiter in Stalinstadt oder sonst wo werde. Ein Jahr vor seinem Tod war der Regisseur Ehrenmitglied des Deutschen Theaters geworden. In seiner Rede dankt er den Kollegen, macht eine kleine Pause und fährt fort: »... danke ich meiner Partei und meiner Regierung aus tiefstem Herzen.« Erschütternd, in jeder Hinsicht.

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