Der Burkastreit als Revierkampf

Elsa Koester über eine patriarchale Diskussion um die weibliche Geschlechterrolle - und den Zwang, sich zu zeigen

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum etwas provoziert westliche Geschlechtervorstellungen so stark wie die Totalverhüllung der Frau. Frauen sind doch gerade dafür da, angeschaut zu werden, anschaulich zu sein. Über die Art, wie sie ihren Körper dafür aufbereiten, entscheidet die westliche Gesellschaft mit einem enormen Arbeitsaufwand. Da wird gestritten über Brustumfänge und Körperhaar-Entfernungsmethoden, da werden Wettkämpfe ausgeführt, daran feilen abertausende Arbeiterinnen in einer eigens erschaffenen Modeindustrie.

Bikini? Minirock? Rasierte Achseln oder Retro? Seit jeher ist es ein zentrales Thema westlicher Gesellschaften, wie Frauen in der Öffentlichkeit aufzutreten haben - und wie nicht. Männer haben dabei mehr als nur ein Wörtchen mitzureden. Kein Wunder, hängt an diesem Auftritt doch die gesamte Bevölkerungsorganisation, vom Kennenlernen bis zum Kinderkriegen, von der belobigenden Bestätigung des harten Körpertrainings bis zur imaginierten Affäre, die das Ego wieder aufrichtet. Frauen sehen aus. Männer sprechen an. Ihre Haare, ihre Augen, ihre Brüste, ihren Po: Jederzeit erfassen männliche Blicke auf der Straße, mit was für einer Frau sie es hier zu tun haben. Prüfen. Einschätzen. Kommentieren. Die Straße: der Heiratsmarkt und stetige Körper-TÜV des Westens. Ein »Fleischmarkt«, um in den Worten der britischen Feministin Laurie Penny zu sprechen, bei dem es darum geht, sich als möglichst »fickbar« darzustellen.

Eine burkatragende Frau ist damit der Inbegriff der Ablehnung des westlichen Geschlechtsmodells. Eine Totalverweigerung. Sie lässt keine prüfenden Blicke zu, gewährt keinerlei Zugriff auf die neoliberale Körperperfektionierung. Und noch schlimmer: Sie nimmt dem westlichen Genderregime die Kontrolle über das weibliche Gebaren - und hält es fest in der Hand muslimischer Männer. Die Burka ist ein Symbol im Kampf um die kulturelle Deutungshoheit über das Heiligste im Patriarchat: die Frau.

Was selbige denkt, will und vorhat, spielt in der Diskussion so gut wie keine Rolle. Um das einmal klarzustellen - nicht, dass das ernsthaft umstritten wäre: Natürlich ist die Burka ein brutaler Ausdruck von Geschlechterungleichheit. Es drängt sich jedoch die Frage auf, ob bei der extrem niedrigen Anzahl burkatragender Frauen in Europa die Diskussion um Gesichtsverschleierung tatsächlich die dringlichste in Sachen Sexismus ist. Mir würden da ganz andere einfallen: die Verhinderung von Vergewaltigungen auf dem anstehenden Oktoberfest zum Beispiel. Wenn den Pegida-Männern der Schutz von Frauen so wichtig ist, wieso zerbrechen sie sich jetzt nicht den Kopf, wie die alljährlichen sexuellen Übergriffe auf dem Bierfest endlich beendet werden könnten?

Zum anderen führt die Burkadiskussion wohl kaum dazu, dass weniger Frauen Burka tragen müssen. Denn dass der Westen von der Verschleierung nichts hält, ist für Muslime nun wirklich nichts Neues. Die Diskussion um Burka, Niqab und Hijab müssen muslimische Frauen schon selber führen - und das tun sie längst.

Und drittens scheint mir die unausgesprochene Erwartung nicht etwa zu sein, dass Frauen keine Burka tragen müssen, sondern folgende: Frauen sollen keine Burka tragen dürfen. Denn auch für die muslimische Frau soll gefälligst das westliche Unterwerfungsprinzip gelten. Sie soll sich als Objekt zeigen. Und der westliche Sexismus - der Kampf um Ausschnitte, Bäuche, Brüste und Ärsche, um Bein- und Schambehaarung, um Dominanz und Löhne, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung - der geht klar. Über den haben selbst die Herren von AfD oder Pegida schließlich jahrelang mitentschieden.

Im kulturellen Diskurs um die Burka spielen viele Aspekte eine Rolle: eine diffuse Angst vor einer kulturellen Überfremdung durch den Islam, auf die ein Burka-Verbot eine praktische, überblickbare Reaktion zu sein scheint. Eine Ohnmacht gegenüber den Amokläufen und Attentaten und der Wunsch, Handlungsmacht zu erlangen. Dass im Ergebnis auf die Regulierung der Frauenrolle gezielt wird, ist dabei kein Zufall. Instabile Frauenbilder verunsichern patriarchale Gesellschaften und provozieren Klärungsversuche. Beim Burkastreit geht es letztlich darum, wer hier über die Frauen bestimmt: das westlich-patriarchale Kulturmodell oder das muslimisch-patriarchale. Ein Revierkampf.

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