Türkei weitet Offensive in Nordsyrien aus

Außenminister Cavusoglu: Werden kurdisches Streben nach eigenem Staat »durchkreuzen« / YPG beklagt »aggressive Einmischung«

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 15.00 Uhr: Biden: Türkei will lange in Syrien bleiben
Die Türkei bereite sich darauf vor, so lange in Syrien zu bleiben, wie es nötig ist, um den Islamischen Staat zu besiegen. Dies erklärte laut der Nachrichtenagentur Reuters der US-Vize-Präsident Joe Biden am Donnerstag.

Update 13.15 Uhr: Verwirrung um Abzug der YPG
Wie die irakisch-kurdische Nachrichtenagentur Kurdistan24 berichtet, soll sich die YPG aus Manbij offenbar zurückziehen, um die Kontrolle dem arabischen Stadtrat zu überlassen. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten hatten die nordsyrische Stadt vor zwei Wochen mit arabischen Partnern aus den Händen des IS befreit. Nun überlasse man die Stadt dem lokalen Rat, sagte angeblich ein Sprecher der YPG. Der Wahrheitsgehalt der Meldung kann derzeit nicht überprüft werden. Laut anderen Medienberichten verweigert die YPG einen Rückzug hinter den Euphrat-Fluss.

Update 12.45 Uhr: Islamistische Rebellen kämpfen untereinander
Laut der kurdischen Nachrichtenagentur DIHA sind unter verschiedenen islamistischen Gruppen in der Stadt Dscharabulus Kämpfe ausgebrochen. Bis zu 80 Milizionäre sollen dabei bisher gestorben sein.

Update 11.30 Uhr: KCK wirft Türkei vor, Dscharabulus in Übereinkunft mit IS eingenommen zu haben
Die kurdische Dachorganisation KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) verurteile die türkische Offensive in Nordsyrien als »Angriff auf alle Kurden«. In einer Erklärung, die die kurdische Nachrichtenagentur Firat News dokumentiert, wirft die Organisation der Türkei vor, Dscharabulus »in Übereinkunft mit dem IS« übernommen zu haben. Der Angriff auf die Stadt wertete die KCK als »Angriff auf die Demokratisierung Syriens« und auf die friedliche Koexistenz von Kurden, Arabern Assyrern, Turkmenen und anderen Ethnien. Die Türkei stelle im Mittleren Osten die »führende antidemokratische Kraft« dar. Die Dachorganisation ruft alle demokratischen Kräfte auf, Widerstand gegen die türkischen Angriffe zu leisten.

Update 10 Uhr: Zehn weitere türkische Panzer auf syrisches Gebiet vorgedrungen
Am Donnerstag sind zehn weitere türkische Panzer auf syrisches Territorium vorgedrungen. Auch mehrere Krankenwagen und schweres Baugerät wurden am Donnerstagmorgen über die Grenze gebracht, wie ein AFP-Fotograf berichtete.

Update 9.35 Uhr: Türkei will militärisches Vorgehen gegen Kurden fortsetzen
Nach der Eroberung von Dscharablus will die Türkei nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim ihre Militäreinsätze in der Region fortsetzen. Jetzt gehe es darum, die Kurdenmiliz YPG über den Euphrat zurückzudrängen. »Bis das verwirklicht ist, werden unsere Operationen weitergehen«, sagte Yildirim am späten Mittwochabend in einem Fernsehinterview. »Unsere Abmachung mit den USA lautet, dass sich die Kurden aus Manbidsch und der Region auf die Ostseite des Euphrats zurückziehen müssen«, führte Yildirim aus.

Update 9.25 Uhr: Röttgen: Kurden brauchen autonome Einheit in der Region
Im Interview mit dem Deutschlandfunk kritisierte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen das türkische Vorgehen gegen die Kurden in Nordsyrien. Es sei zwar zu begrüßen, dass die Türkei politisch und militärisch gegen den IS vorgehe, er missbillige aber die Offensive gegen die Kurden, die ein »wichtiger Partner des Westens« seien. »Die Kurden brauchen eine eigene autonome Einheit in der Region«, betonte Röttgen. Wie man sie auch territorial gestalte, sei »Teil der politischen Lösung«.

Türkei rühmt sich für Erfolg gegen Kurden

Berlin. Die Offensive von türkischer Armee, US-Kampfflugzeugen und syrischen Rebellen in der Stadt Dscharabulus ist laut dem autoritären Staatschef Recep Tayyip Erdogan erfolgreich gewesen. Er verkündete am Mittwochabend den Rückzug des IS aus Dscharablus und sagte, die Dschihadisten seien in Richtung der Stadt Al-Bab weiter südwestlich gezogen. Zuvor hatten bereits die Rebellen erklärt, sie hätten Dscharabulus vollständig eingenommen.

Aber das war keineswegs das einzige Motiv in Ankara. Erdogan erklärte offen, das militärische Vorgehen richte sich nicht nur gegen die IS-Kämpfer, sondern auch gegen kurdische Kräfte. Das türkische Regime sieht die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) als »Terrorgruppe« an. Die PYD zählt aber zu den Bündnispartnern des Westens gegen den IS. Ankara will jedoch die Ausweitung der kurdischen Einflussgebiete in Syrien und somit die Entstehung eines eigenständigen, kurdischen Autonomiegebietes verhindern. Erdogan wörtlich: Die Türkei wolle die Probleme im syrisch-türkischen Grenzgebiet beenden. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu drohte den Kurden im Norden Syriens. Der PYD und ihren Milizen warf er vor, den Kampf gegen den IS nur als Vorwand zu benutzen, um ein eigenes Herrschaftsgebiet in Syrien aufzubauen. »Wir werden diese geheime Agenda durchkreuzen«, sagte Cavusoglu.

Die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG - die Kampftruppe der PYD - haben vom IS in Syrien bereits mehrere Gebiete erobert und beherrschen den größten Teil der rund 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei. Die militärische Intervention der Türkei ist eine »aggressive Einmischung in syrische Angelegenheiten«, erklärte der Sprecher der YPG, Redur Xelil, laut der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch. Die Kurdenmiliz gehe davon aus, dass die Offensive das Resultat einer Vereinbarung zwischen dem Iran, der Türkei und der syrischen Regierung sei. Xelil fügte hinzu, dass über ein Rückzug nur das von der USA unterstützte Bündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) entscheiden würde.

Obwohl die USA die Kurden im Kampf gegen den IS unterstützen, machte US-Außenminister Joe Biden ihre Hoffnung auf einen eigenen Staat jetzt faktisch zunichte. Er forderte den Rückzug der syrischen Kurdenmilizen auf das Gebiet östlich des Flusses Euphrat. »Sie können und werden unter keinen Umständen amerikanische Unterstützung erhalten, wenn sie sich nicht an ihre Verpflichtung halten«, sagte Biden mit Blick auf die syrisch-kurdischen YPG-Einheiten.

An dem türkischen Militäreinsatz waren laut einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu rund 1500 syrische Aufständische beteiligt. Demnach handelte es sich um Kämpfer der Freien Syrischen Armee. Sie hätten auch das Dorf Keklidscha erobert, fünf Kilometer von Dscharablus entfernt und drei Kilometer hinter der Grenze. Die US-Streitkräfte setzten nach eigenen Angaben Kampfflugzeuge der Typen A-10 und F-16 ein. Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt, vermutlich starteten die Maschinen vom türkischen Stützpunkt Incirlik. Die Nachrichtenagentur Dogan vermeldete den Tod von 46 IS-Kämpfern. Dafür gab es aber keine unabhängige Bestätigung.

Bereits am Mittwoch hatte die kurdische Nachrichtenagentur Firat News berichtet, es seien bei den türkischen Angriffen auf Dscharabulus mindestens 29 Zivilisten ums Leben gekommen. Zudem berichteten lokale Quellen, dass auch die Stadt Keklice von türkischen Kampfjets bombardiert werde. Agenturen/nd

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