»Sie wollen unseren Widerstand brechen«

In Guatemala wehren sich die Menschen gegen den Ausbau des Goldbergbaus

  • Andreas Boueke
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine Weggabelung im Wald, keine Autostunde von Guatemala-Stadt entfernt. Vor fünf Jahren hat sich hier eine aufmüpfige Frau mitten auf die enge Schotterpiste gestellt, um einen Lastwagen aufzuhalten. Er hatte Baumaterialien für die Goldmine El Tambor geladen. Als der Fahrer nach einer Weile beschloss, unverrichteter Dinge umzukehren, war das die Geburtsstunde der gewaltfreien Protestbewegung »La Puya«, benannt nach dem Waldstück.

Schon am ersten Tag des Protests schlossen sich Dutzende Anwohner der Umgebung dem Protest an. Felicia Murayes war von Beginn an dabei. Die Hausfrau mit flotter Zunge und herzlichem Lachen hat schon an vielen Demonstrationen teilgenommen, immer gewaltfrei: »Es ist uns gelungen, den Bau der Mine zwei Jahre lang zu verzögern. Wir haben den Eingang versperrt. Niemand konnte rein und niemand raus. Die Arbeiter mussten über Waldpfade gehen, um auf das Gelände der Mine zu gelangen. Benzin und Baumaterial wurde von Hubschraubern gebracht.«

Die Demonstranten haben ein Protestdorf gebaut, in dem man vor allem auf Frauen trifft, die sich nie zuvor an solchen Konflikten beteiligt hatten. Felicia Murayes erklärt: »Ich habe mich dem Widerstand La Puya angeschlossen, um das Leben zu verteidigen, das Wasser und die Natur. Das Minenprojekt hat sich oberhalb unserer Dörfer angesiedelt. Es verbraucht und verschmutzt große Mengen Quellwasser. Für uns bleibt immer weniger sauberes Wasser übrig.«

Während einer Mahnwache vor dem Eingang der Mine öffnet sich plötzlich das Tor. Rund dreißig wütende Arbeiter kommen aus dem Minengelände und beschimpfen die Demonstrantinnen: »Wir haben keine Angst vor euch«, rufen sie. »Wir respektieren die Menschenrechte, aber wenn wir auf Abschaum wie euch treffen, respektieren wir nichts mehr!«

Wie so oft ist Felicia Murayes an vorderster Front dabei. »Sie wollen unsere Hütten zerstören. Sie haben uns rausgezogen und verletzt. Sie wollen uns loswerden und den Widerstand von La Puya brechen.«

Wenn es mal wieder hoch hergeht in La Puya, kommen oft Hunderte Personen aus der Umgebung, um sich an dem Protest zu beteiligen. Das Mädchen Tanya ist meist auch dabei: »Als ich gesehen habe, wie sie Steine auf unsere Leute warfen, bin ich wütend geworden. Meine Mutter musste ins Krankenhaus. Da habe ich auch einen Stein geworfen.«

Dafür wurde Tanya von den anderen Frauen gerügt. Für sie ist die absolute Gewaltfreiheit des Protests oberstes Gebot. Auch deshalb ist das Mädchen so schockiert. »Jetzt muss ich weinen, weil es mich so zornig macht, dass sie so herzlos zu uns sind. Sie wollen nicht sehen, dass wir um unser Leben kämpfen. Sie bewerfen und attackieren uns, weil wir für unsere Rechte und für die Natur kämpfen.«

Tanya ist froh, dass es bislang noch keine Toten gegeben hat. Bei ähnlichen Protesten in anderen Landesteilen werden oft Menschen verletzt oder gar ermordet. Der Gründer des ökologischen Aktionszentrums CALAS, Yuri Mellini, hat einen Anschlag überlebt: »Plötzlich ist ein Mann vor mir aufgetaucht. Er hatte seine Pistole unter einer Zeitung verborgen und drückte einfach ab. Eine Kugel hat meine Lunge durchbohrt, eine andere mein Knie. Ich bin gestürzt. Dann stand er über mir. Er wollte mir den Gnadenschuss geben. Bis heute weiß ich nicht, warum er nicht noch ein letztes Mal abgedrückt hat.«

Der Arzt und Ökoaktivist Mellini überlebte schwer verletzt. Für ihn steht fest, dass er aufgrund seines Engagements für den Umweltschutz zur Zielscheibe eines Auftragskillers geworden ist. Im Laufe der vergangenen Jahre hat er mehrere Gerichtsverfahren gegen Bergbaukonzerne angestrengt. »Diese Schusswunden sind ein Ergebnis unserer Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte und der Natur. Immer wieder kämpfen wir gegen die Wirtschaftsinteressen von mächtigen Geschäftsleuten. Es ist nicht leicht, so zu arbeiten, wenn dein Gegenüber politische und wirtschaftliche Macht hat und außerdem noch gewalttätig ist.«

In keinem anderen Land Mittelamerikas gibt es so viele Wälder und so große Wasservorkommen wie in Guatemala. Trotzdem hat ein Drittel der Bevölkerung keinen Anschluss an Leitungswasser. Yuri Mellini ist sich sicher, dass die industrielle Verschmutzung des Wassers zahlreiche Krankheiten verursacht. Deshalb ruft er die Bevölkerung dazu auf, sich den ausländischen Investoren in den Weg zu stellen. Den gewaltfreien Protest in La Puya hält er für beispielhaft. »Besonders Tanya zeigt uns, wie selbst ein Mädchen die Stimme erheben kann. Sie hat die Angst verloren und ist Zeugin des Kampfes ihrer Gemeinde.«

Das Wohnhaus von Tanyas Familie steht ganz in der Nähe der Mine. Früher wollte sie Krankenschwester werden. Aber jetzt denkt sie darüber nach, in die Lokalpolitik zu gehen. Sie hofft, so mehr für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erreichen zu können. »Die Gesundheitsversorgung hier in der Region ist ziemlich schlecht. In der Krankenstation gibt es keine Medikamente.«

Im Erdgeschoss des öffentlichen Gesundheitszentrums von San José del Golfo warten einige Patienten auf den Arzt. Eine Frau klagt über Magenschmerzen, doch niemand kann ihr sagen, ob der steigende Arsengehalt im Wasser etwas mit ihren Beschwerden zu tun hat. Auch Doktor Rodolfo Cano ist sich nicht sicher, obwohl er für die Gesundheitsvorsorge am Ort zuständig ist. »Als wir immer mehr Arsen im Wasser der Umgebung von San José del Golfo gefunden hatten, mussten wir einige Brunnen schließen.«

Schon von Natur aus enthält das Wasser der Gegend eine so große Menge des giftigen Halbmetalls, dass sie um nahezu das Hundertfache höher liegt als der von der Weltgesundheitsorganisation vorgeschlagene Grenzwert von 0,01 Milligramm pro Liter. Das Zermalmen von tonnenweise Gestein in der Mine setzt noch mehr Arsen frei. Der Mediziner rechnet damit, dass sich die Wasserqualität weiter verschlechtert: »Neben den Magenerkrankungen wird es immer mehr chronische Probleme geben, außerdem Blasenkrebs und Lungenkrebs. Auch Diabetes kann auf Grund des Arsens entstehen.«

Doktor Cano kann sich vorstellen, dass in der Gegend eines Tages kein gesundes Leben mehr möglich sein wird: »Wenn der Schaden schlimmer wird, muss alles streng überwacht und die Bevölkerung umgesiedelt werden.«

Auch Tanya hat schon von Planspielen für eine Umsiedlung ihres Dorfes Choleña gehört. In der guatemaltekischen Geschichte gibt es viele Fälle, in denen solche Umsiedlungen auf Vertreibungen hinausliefen. Gerade verarmte und weitgehend wehrlose Bevölkerungsgruppen müssen immer wieder Platz machen für industrielle Großprojekte. Tanya weiß, dass die betroffenen Menschen so gut wie nie eine angemessene Entschädigung bekommen: »Es gibt eine Umweltstudie, in der von einer Umsiedlung der Gemeinden die Rede ist. Mehrere Dörfer grenzen direkt an die Mine. Wir sind sehr besorgt, dass wir unsere Heimat verlassen müssen, falls es uns nicht gelingt, das Projekt zu stoppen. Wohin sollten wir gehen? Die Regierung hat ja überall Bergbaulizenzen vergeben.«

Die Ortschaft San José del Golfo liegt am äußersten Rand eines wachsenden Gebiets, das als »trockener Korridor« bezeichnet wird, weil das Wasser dort so knapp ist. Trotzdem hat die Regierung Lizenzen für 15 Bergbauprojekte in dieser Gegend vergeben. Dafür hat Tanya kein Verständnis: »Früher sind wir mit meiner Mutter immer zu einem Bach gegangen, um Wäsche zu waschen. Heute ist das nicht mehr möglich, weil der Bach verschmutzt ist. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu kämpfen. Hoffentlich werden wir gewinnen, damit die Bergbaufirmen unser Leben nicht völlig zerstören. Am besten wäre es, wenn die Leute von der Mine einfach weggehen und nicht noch mehr kaputt machen.«

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