Französische LKW-Fahrer machen gegen Flüchtlingscamp mobil

Fernfahrer fordern schnelle Schließung des »Dschungels« von Calais / Brand in Pariser Flüchtlingsunterkunft

  • Bernard Schmid, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Zahlreiche Widersacher zählt das als »Dschungel« bezeichnete, großteils informelle Flüchtlingscamp in der östlichen Umgebung der Stadt Calais am Ärmelkanal. Dort warten Geflüchtete auf Möglichkeiten, auf die britischen Inseln zu gelangen. Örtliche Geschäftsleute machen die Migrantencamps in Calais für den »Imageverlust« der Region und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich. Doch die Stadt ist ökonomisch und sozial schon länger in der Krise. Im Jahr 2001 kam es zu Massenentlassungen beim Lebensmittelkonzern Danone, und auch die früher in Calais ansässige Textilindustrie wurde zum Großteil geschlossen.

Am Montag nun protestierten LKW-Fahrer gegen den »Dschungel«. Der Hintergrund: Migranten versuchen häufig auf den Zufahrtsstraßen zu den Häfen von Calais sowie benachbarter Städte, auf Lastwagen aufzusteigen. Die Fernfahrer befürchten im Falle der Entdeckung der »blinden Passagiere« die fälligen Geldstrafen für »illegalen Personentransport« bezahlen zu müssen. Ihr verbreiteter Unmut richtet sich jedoch gegen die Migrantinnen und Migranten. Am Montag verlangsamten sie mit einer sogenannten Schneckenoperation den Verkehr rund um Calais. Daran nahmen rund 80 LKWs statt. Sie wurden von örtlichen Landwirten mit ihren Traktoren unterstützt. In der Innenstadt fand gleichzeitig eine Menschenkette statt. Die Aktionen standen unter dem Motto: »Mein Hafen ist schön, meine Stadt ist schön.« Die amtierende konservative Bürgermeisterin Natacha Bouchart, die 2008 die französische Kommunistische Partei im Rathaus ablöste, setzte sich an die Spitze der mehreren Hundert Teilnehmenden.

Auch die der Kommunistischen Partei nahestehende CGT, im Hafen von Calais die stärkste Gewerkschaft, rief zur Unterstützung des Protests auf. Ihre Erklärung dazu ist höchst ambivalent. Neben einer Werbekampagne für den Hafen von Calais unter potenziellen Touristen und Besuchern in England, einem Konjunkturprogramm für die wirtschaftlich gebeutelte Stadt wird auch die Schließung des »Dschungels« gefordert - ohne Alternativen vorzuschlagen. Andererseits unterstreichen die Gewerkschafter aber, dass sie Verständnis für die Männer und Frauen haben, die vor unerträglichen Lebensbedingungen fliehen. Sie betonen, ihren Grundwerten treu zu bleiben. Das ist im allerbesten Falle als eine heikle Gratwanderung zu werten.

Das Lager von Calais, ursprünglich informell errichtet, verändert sich seit November letzten Jahres. Nach und nach wurde die Nordhälfte des Camps durch eine Containersiedlung ersetzt. Dieser vom Staat errichtete Teil wird indes von vielen Flüchtlingen und ihren Unterstützern abgelehnt. Unter anderem auch aufgrund der dort angewendeten Kontrolltechnologien, die eine weitgehend lückenlose Einlasskontrolle ermöglichen. So regelt eine biometrische Erkennung der Handflächen an den Außentoren den Zutritt.

Die Südhälfte des »Dschungels« besteht hingegen aus von den Bewohnern oder mit Hilfe von Unterstützern errichteten Zelten und Holzhütten sowie -häusern. Das Camp insgesamt soll derzeit von 9000 bis 10 000 Menschen bewohnt werden. Es ist damit gegenüber Anfang des Jahres - damals zählte es rund 6000 Bewohner - nochmals angewachsen. Calais und die französische Ärmelkanalküste insgesamt ist seit Jahren ein Anziehungspunkt für Geflüchtete, die von hier aus auf die britischen Inseln zu gelangen versuchen. Ihr Ziel ist England - sei es aufgrund familiärer Kontakte, sei es, weil der neoliberal durchregulierte Arbeitsmarkt dort immerhin überhaupt Arbeitsmöglichkeiten für sie bereit zu halten scheint, wenngleich oft unter schlechten Bedingungen.

Seit den von den damaligen Innenministern Frankreichs und Großbritanniens 2003 getroffenen Vereinbarung von Le Touquet ist jedoch die Grenzkontrolle des Vereinigten Königreichs auf das Südufer des Ärmelkanals vorverlagert. Und Frankreich verpflichtet sich, die Migranten von ihrem Lebenstraum abzuhalten, auf die britischen Inseln überzusetzen. Dadurch entsteht ein wachsender Rückstau am Südufer.

Seit dem britischen Brexit-Referendum allerdings drohten nun mehrere französische Politiker damit, Frankreich könne sich nicht länger an die Vereinbarungen gebunden fühlen und Großbritannien die zurückgehaltenen Migranten »schicken«. Jüngst änderte auch Nicolas Sarkozy seine Position und regte eine Kündigung oder Änderung der Vereinbarungen an. Allerdings nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern damit Frankreich die Geflüchteten los wird. Es ist schließlich Wahlkampf und Sarkozy möchte erneut Präsident werden.

Derweil wurde bekannt, dass in der Nacht zum Dienstag ein zur Aufnahme von 90 Migranten bestimmtes Gebäude in Forges-les-Bains, im südlichen Pariser Umland, ausgebrannt ist. Der gesamte Dachstuhl wurde zerstört. Voraus ging am Vorabend eine öffentliche Versammlung über das Flüchtlingsheim in angespannter Stimmung. Die Teilnehmer hatten sich allerdings gegen 23 Uhr ohne Zwischenfälle zerstreut. Die Polizei ermittelt, ob es sich um Brandstiftung handelt und ob ein Zusammenhang zu den laut gewordenen Gegnern der Aufnahmeeinrichtung besteht. Im Leserforum der konservativen Tageszeitung war am Dienstag unter anderem zu lesen: »Bravo! Die Franzosen wollen so etwas nicht.« Womit offenkundig die Aufnahme und nicht der Brand gemeint war.

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