Die Hassbeschleuniger

Wolfgang Hübner über die Kanalisierung von Zukunftsängsten auf den Weg des geringsten Widerstands

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Reaktionen auf den Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern lassen sich auf einen kurzen Nenner bringen: Der erneute Durchmarsch der Rechtspopulisten sei ein Ergebnis der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Das sagen, in Abstufungen und mit unterschiedlicher Stoßrichtung, Politiker von rechts bis links. Selbst die AfD äußert sich so, mit schadenfrohem Unterton.

Das ist zunächst eine Binsenweisheit. Jedes Wahlergebnis ist die Reaktion auf Politik. Was wäre im aktuellen Fall die politische Konsequenz? Aus linker Sicht der Versuch, menschenwürdige Bedingungen für alle zu gewährleisten, die hier leben, nach einer sozialen Perspektive für alle, ohne Ansehen ihrer Herkunft, nach einer humanen Steuerung der Fluchtbewegungen. Das ist am Ende eine Umverteilungsfrage. Aus rechter Sicht ist die Konsequenz die mehr oder weniger offen gestellte Forderung, Flüchtlinge abzublocken oder schnellstmöglich wieder rauszuschmeißen. Diese Front reicht von der Mitte bis ganz weit nach rechts außen, und die Petry-Partei ist ihr Außenbordmotor.

Das Neue in Deutschland ist, dass mit der AfD erstmals eine ernstzunehmende politische Kraft rechts von der Union entstanden ist, die dieser sogar gefährlich wird. Dass die wohlsituierten Rassisten nun ihren eigenen Verein haben und nicht mehr auf dem rechten Flügel der Union herummotzen, ist mehr als ein optischer Unterschied. Die kaltschnäuzige Dreistigkeit des Deutschnationalen entfaltet in der AfD eine ganz andere Dynamik, als sie es im Rahmen von CDU und CSU könnte. Die verängstigte Mittelschicht fährt rabiat die Ellenbogen aus. Nicht Solidarität, sondern Selbstbehauptung. Nicht Europa, sondern Egoismus. Nicht wir, sondern ich. Ganz abgesehen von ihrem insgesamt beängstigend reaktionären Weltbild: Die AfD spielt diejenigen, denen es demnächst schlechter gehen könnte, gegen die aus, denen es längst dreckig geht. Sie erntet damit auf einem Feld, das Rot-Grün-Schwarz-Gelb mit einer tiefgreifenden Prekarisierung in den Bereichen Arbeit und Soziales bestellt haben.

Dieser ungeheuren Wucht der Angst vor einer unsicheren Zukunft hat die etablierte Politik wenig entgegenzusetzen. Selbst aus den Äußerungen der SPD-Spitze zum Wahlerfolg im Nordosten spricht weniger eine schlüssige Erklärung dafür als vielmehr die pure Erleichterung darüber, dass es die Genossen diesmal nicht so dramatisch erwischt hat wie zuletzt in Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg.

Natürlich: Mecklenburg-Vorpommern ist nach wie vor eines der strukturschwächsten Bundesländer. Die Wirtschaftskraft ist unterentwickelt. Die Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise hoch; zwar hat sie sich seit den schlimmsten Zeiten vor 12, 13 Jahren halbiert – aber um welchen Preis? Niedriglöhne sind weit verbreitet, junge Leute wanderten auf der Suche nach einer Perspektive massenhaft ab. Gerade im Osten des Bundeslandes, in Ostvorpommern, bündeln sich diese Probleme – dort, wo jetzt die AfD auftrumpfte. Aber ist das die einzige Erklärung?

Die AfD zehrt immer noch von ihrem eigentlich längst verblassten Gründungsnimbus. Ins Leben gerufen wurde sie als professoraler Verein von Euroskeptikern; eine Gruppe konservativer Finanz- und Wirtschaftsfachleute wollte Deutschland gegen die Unwägbarkeiten der Eurokrise abschotten. Schon seit dieser Zeit wohnt der AfD das Egoistisch-Nationale inne; inzwischen hat es längst komplett und unverhüllt die Oberhand gewonnen, aber hinter der gutbürgerlichen Fassade, die einst Leute wie Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel aufgerichtet haben, versammeln sich die Wutbürger aus der Mittelschicht eher als in einer Partei, die von vornherein als Rassistenverein deklariert worden wäre.

Seit Jahren weisen Soziologen immer wieder auf rassistische Stereotype hin, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind – ziemlich unabhängig davon, ob gerade Konjunktur oder Krise herrscht. Im Krisenfall sind diese latenten Vorurteile schnell abrufbar. Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Hartz IV kanalisierte die PDS bzw. Linkspartei einen Großteil der Empörung, indem sie das Thema massenwirksam aufgriff und eine Lobby für die Schwächsten organisierte. Jetzt, in Zeiten realer und gefühlter Unsicherheit, ist die AfD mit einem sehr einfachen, eingängigen Erklärungsmuster (Merkel ist schuld) und mit einer Kampagne auf Kosten der Schwächsten zur Stelle: Die Flüchtlinge sollen weg. Das Unmutspotenzial sucht sich den Weg des geringsten Widerstands.

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